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Speicher auf vier Rädern

Text von Lilian Schmitt
24.08.2023
Nachhaltigkeit

Wer unabhängig vom Energieversorger werden möchte, kommt trotz Photovoltaik-Anlage auf dem Dach nicht an einem Stromspeicher vorbei. E-Autos können diese teuren Geräte ergänzen und so zu einem wichtigen Faktor der Energiewende werden.

In Zukunft werden wahrscheinlich vor allem Elektroautos durch die Straßen fahren. Diese Fahrzeuge sind mit Energie vollgeladen, stehen aber 90 Prozent der Zeit einfach nur herum. Dabei könnten sie in dieser Zeit als Batteriespeicher dienen. Zum Beispiel für Photovoltaik-Anlagen, deren Speicher oft nicht ausreicht, um den kompletten produzierten Strom aufzufangen, oder deren Speicherkapazität vor allem nachts oder an schattigen Tagen sehr schnell erschöpft ist.

Mobile Stromquellen

Das Unternehmen Wallbox Chargers aus Barcelona setzt bereits auf E-Autobatterien als Speichererweiterung. Das spanische Start-up stellt Wallboxen her. Diese Wandladestationen versorgen nicht nur Elektro-Autos mit Energie. 23 Leaf-Modelle des japanischen Kfz-Herstellers Nissan liefern über die Wallboxen zudem einen Teil des Stroms für die Büros. Das Prinzip ist simpel: In der Nacht lädt das Unternehmen die E-Autos auf - dann ist Strom aus der Steckdose am günstigsten. Am Tag nutzt Wallbox Chargers die Energie aus den Autobatterien zusätzlich zum Strom, den die Solarpaneele auf dem Dach produzieren. Bidirektionales Laden nennen Fachleute diese Technologie, mit der sich die Firma selbst versorgen kann.

Eine intelligente Software sorgt dafür, dass immer genug Energie vorhanden ist. Die KI weiß zum Beispiel, wie viel Energie Wallbox Chargers verbraucht, welcher Speicher angezapft werden kann und wann die E-Autos wieder aufgeladen sein müssen, damit sie fahrbereit sind. „Wir sparen jährlich 85.000 Euro an Energiekosten. Die Investition in die Autos und in die interne Ladeinfrastruktur hat sich in weniger als fünf Jahren amortisiert“, sagt Gründer Eduard Castañeda. Im nächsten Schritt möchte er die Technologie auf die komplette Stadt übertragen. Dies ist jedoch mit einem Haken für Verbraucher verbunden: Die dafür benötigte spezielle Wallbox, die Strom in beide Richtungen zwischen E-Auto und Hausnetz leiten kann, kostet mit rund 3.200 Euro deutlich mehr als herkömmliche Varianten.

Auf Te:nor-Anfrage sagt VW, dass seine ID-Modelle prinzipiell schon jetzt in der Lage seien, bidirektional zu laden. Sobald kompatible Wallboxen zur Verfügung stünden, reiche ein einfaches Software-Update.

Von Wechselstrom zu Gleichstrom – und zurück

Und es ist noch eine weitere Investition notwendig: Wer ein E-Auto zum bidirektionalen Laden nutzen möchte, muss einen Zwischenschritt einplanen. Denn Elektroautos fahren mit Gleichstrom (DC), im Haushalt wird aber nur Wechselstrom (AC) genutzt. Deshalb braucht man einen Gleichrichter, der den Wechselstrom aus dem Stromnetz in Gleichstrom für die Batterie umwandelt. Dieser Gleichrichter sitzt entweder im Bordladegerät des Autos oder in einer DC-Wallbox. Soll der Strom wieder ins Hausnetz zurückfließen, braucht man zudem einen Wechselrichter.

„Prinzipiell benötigen die Autos keine zusätzliche Hardware, aber ihre Software muss für bidirektionales Laden freischaltbar sein“, sagt Timo Kern, Leiter für Energiesystem und Märkte bei der Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft (FFE). Die FFE testete bis Ende 2022 in einem zweijährigen Pilotversuch bidirektionales Laden. In Zusammenarbeit mit BMW und dem Lüdenscheider Wallbox-Hersteller Kostal erprobte die FFE das Konzept für verschiedene Szenarien. Denn die Rückspeisung funktioniert nicht nur im privaten Bereich, sondern auch im industriellen Kontext: Je größer der Fuhrpark, desto mehr überschüssige Energie aus erneuerbaren Quellen kann in den E-Fahrzeugen zwischengespeichert werden. Daran, dass sich die Technologie durchsetzt, hat Kern keinen Zweifel: „Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien steigt der Bedarf, bis 2030 wird das Thema noch wichtiger werden“, prognostiziert der FFE-Forscher.

In Deutschland soll bidirektionales Laden schon in zwei Jahren marktreif sein. Das versprechen zumindest Autohersteller wie BMW und VW. Auf Te:nor-Anfrage sagt VW, dass seine ID-Modelle prinzipiell schon jetzt in der Lage seien, bidirektional zu laden. Sobald kompatible Wallboxen zur Verfügung stünden, reiche ein einfaches Software-Update aus und die ID-Modelle können auch Strom abgeben. Eine solche Wallbox möchte das VW-Tochterunternehmen Elli bereits 2024 auf den Markt bringen. Aktuell verspricht VW, dass die Autos bis zu 10.000 Kilowattstunden entladen können, ohne dass das bidirektionale Laden Einfluss auf die Garantieleistung des Autos hat. Zum Vergleich: 10.000 Kilowattstunden Strom reichen im Durchschnitt für vier Zwei-Personen-Haushalte, um sie ein Jahr lang komplett mit Strom zu versorgen. Eine E-Batterieladung hält bis zu fünf Tage lang Waschmaschine, Herd, Kühlschrank, TV und andere elektrischen Geräte am Laufen.

Zwei Seiten der Medaille

Das bidirektionale Laden von E-Autos kann ein wichtiger Baustein für die Klimawende sein: „Der Energiemarkt wird zunehmend dezentraler und volatiler. Auf diese steigende Zahl an Erzeugungsanlagen und Verbrauchern muss das Stromnetz reagieren können. Um einen zusätzlichen Netzausbau möglichst gering zu halten, sollten die Möglichkeiten des unidirektional gesteuerten als auch des bidirektionalen Ladens berücksichtigt werden“, sagt Doris Johnsen, stellvertretende Projektleiterin der Begleitforschung des Förderprogramms „Elektro-Mobil“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).Umso wichtiger wird es in Zukunft sein, „mit flexiblen Speichermöglichkeiten Nachfrage und Angebot von grünem Strom auszugleichen und Spitzen abzufedern“, so Johnsen. „Nutzer können durch bidirektionales Laden zum einen ihren Stromverbrauch nachhaltiger gestalten und zum anderen das Netz entlasten“, sagt auch Eduard Castañeda.

„Im Idealfall ist das intelligente Laden in einigen Jahren auch bei jenen Personengruppen angekommen, die nicht über eigene Ladestationen verfügen“, sagt Johnsen. Zum Beispiel in Wohnquartieren, die ein Carsharing-Angebot für alle Anwohner eingeführt haben: Die E-Autos der Flotte könnten Energie ins öffentliche Netz oder in Büro- sowie Mehrfamilienhäuser des Viertels einspeisen. Für diese Superblocks ist auch Barcelona weltweit bekannt. Dass sich die Idee von Eduard Castañeda durchsetzt, ist also gar nicht so abwegig.

74 Prozent
des erzeugten Nettostroms in Deutschland stammt aus erneuerbaren Quellen.
Quelle: Energy-Charts

470.000 E-Autos
wurden 2022 zugelassen.
Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt

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