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Erdhügelhäuser: Wenn Hausbesitzern Gras über den Kopf wächst

Text von Jasmin Oberdorfer
03.06.2025
Nachhaltigkeit

Back to the roots: Manche Menschen zieht es zurück in die Höhle. Was in der Steinzeit ein dunkles Loch im rauen Fels war, ist heute ein Erdhügelhaus mit innovativer Technik. Eine Wohnform, die angesichts des Klimawandels durchaus an Reiz gewinnt. 

Wir alle brauchen ein Dach über dem Kopf – doch mit steigendem Wohnraumbedarf verschwinden unsere Böden zunehmend unter Beton. Nach Angaben des Umweltbundesamts hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland in den vergangenen 60 Jahren mehr als verdoppelt. Allein in den Jahren 2019 bis 2022 wurden im Durchschnitt täglich 52 Hektar betoniert, asphaltiert, gepflastert oder bebaut. 

Die stetig wachsende Versiegelung wirkt sich erheblich auf Umwelt und Klima aus: Pflanzen und Tiere verlieren ihren natürlichen Lebensraum, der Boden kann keinen Kohlenstoff mehr speichern, Regenwasser versickert schlechter und die Gefahr von Hochwasser steigt. Gleichzeitig heizen sich die Städte stärker auf, weil die Hitze kaum noch entweichen kann.

Ich habe mir Höhlenwohnungen indigener Völker angeschaut und festgestellt, dass sie Klimaeinflüsse hervorragend ausgleichen
Gerd Hansen, Architekt

Zur Lösung dieser Probleme tragen Konzepte bei, die Wohnraum schaffen, ohne weitere Flächen zu versiegeln. Eines davon gibt es schon seit 1991: Damals entstand im baden-württembergischen Bönnigheim bei Ludwigsburg das vermutlich erste Erdhügelhaus Deutschlands. Diese besondere Wohnform bewahrt nicht nur den natürlichen Boden, sondern bietet noch weitere Vorteile.

Leben unter der Erde – ein altes Prinzip neu gedacht

Gerd Hansen gehörte 1991 zum Architektenteam des Erdhügelhauses in Bönnigheim. Mit seinem auf nachhaltiges Bauen spezialisierten Unternehmen Archy Nova setzt er unter dem Namen Solarc bis heute solche Projekte um. Die Idee dazu entstand bei einem Studienaufenthalt in den USA. „Ich habe mir Höhlenwohnungen indigener Völker angeschaut und festgestellt, dass sie Klimaeinflüsse hervorragend ausgleichen“, sagt Hansen. Er stellte fest: „In den Höhlen ist die Temperatur immer relativ konstant, unabhängig von den äußeren Wetterbedingungen.“ Der Architekt übertrug dieses Prinzip in die Moderne, indem er ein tragfähiges Gewölbe mit zwei identischen Giebelseiten entwickelte und die beiden Längsseiten mit Erde überdeckte. 

Die tragenden Teile der zweistöckigen Gebäude bestehen aus Holz und erfüllen dank guter Dämmung den Passivhausstandard. Eine Spezialfolie hält Feuchtigkeit und Wurzeln zuverlässig fern. Selbst starker Dauerregen, der die rundherum aufgeschüttete Erde zusätzlich beschwert, kann den Häusern nichts anhaben. „Die gewölbte Konstruktion leitet die Kräfte sicher in den Boden ab“, sagt Hansen. Besondere Brandschutzauflagen müssen die Hauseigentümer nicht berücksichtigen.

Der Innenraum des Erdhügelhauses ist komplett frei gestaltbar. „Da das Gewölbe selbsttragend ist, können Bauherren die Innenwände ganz nach Wunsch setzen“, erläutert Hansen. Dennoch ähneln sich viele Grundrisse: Eine Giebelseite ist meist nach Süden ausgerichtet. Bodentiefe Fenster lassen viel Licht ins Wohnzimmer im Erdgeschoss und in die Zimmer darüber. Die andere Giebelseite zeigt nach Norden. Hier liegen hinter kleineren Fenstern meist Bad und Küche. Anna Knorr, die in einem Solarc-Erdhügelhaus wohnt, erklärte 2023 in einem Fernsehbeitrag des Hessischen Rundfunks, zunächst hatte sie „Sorge, dass es vielleicht ein bisschen dunkel ist“. Aber das Gegenteil sei der Fall: „Hier ist es hell und man ist automatisch naturverbunden.“

Großes Grundstück erforderlich

An der höchsten Stelle des Hauses bedecken rund 40 Zentimeter Erde die gewölbte Dachkonstruktion. Durch die geschwungene Form nimmt die Erdschicht zu den Seiten hin rasch zu und erreicht schließlich eine Dicke von mehreren Metern. Für ein Erdhügelhaus von Archy Nova ist eine Grundstücksbreite von mindestens 18 Meter erforderlich: zehn Meter für das Gebäude selbst und je vier Meter rechts und links für die flach auslaufende Erdaufschüttung. In dicht bebauten Städten mit hohen Grundstückspreisen kann das schnell zur Herausforderung werden. Außerdem verlangen die meisten Gemeinden eine Ausnahmegenehmigung für diesen Haustyp. „Der Umgang der Ämter mit solchen Bauformen ist sehr unterschiedlich“, sagt Hansen. Viele stünden dem Konzept aber offen gegenüber. 

Das angenehme Raumklima sorgt das ganze Jahr über für Behaglichkeit
Gerd Hansen, Architekt

Preislich ist der Unterschied zu einem herkömmlichen Einfamilienhaus eher gering, berichtet der Architekt: „Erdhügelhäuser mit geringer Wohnfläche sind im Vergleich etwas teurer, bei großer Wohnfläche sind sie aber oft günstiger als herkömmliche Energiesparhäuser.“

Erdhügelhäuser – prima fürs Klima

Die Hülle aus Erde bremst nicht nur die fortschreitende Versiegelung des Bodens, sie wirkt auch isolierend. Nach Hansens Erfahrung verbrauchen Bewohner eines Solarc-Erdhügelhauses im Durchschnitt lediglich rund 3.000 Kilowattstunden Heizenergie pro Jahr. Zum Vergleich: In herkömmlichen Einfamilienhäusern liegt der jährliche Verbrauch zwischen 15.000 und 20.000 Kilowattstunden. Anna Knorr und ihre Familie geben monatlich nur rund 60 Euro für Heizung und Warmwasser aus. Der Architekt empfiehlt aufgrund des niedrigen Wärmebedarfs den Einbau von strombetriebenen Infrarot-Heizkörpern, die an der Wand oder an der Decke montiert werden. Das Heizsystem lässt sich mit einer Photovoltaikanlage kombinieren, die einen Großteil des benötigten Stroms liefert. 

Aufgrund der isolierenden Erdschicht bleiben Erdhügelhäuser aber nicht nur im Winter warm, sondern auch im Sommer kühl. „Das angenehme Raumklima sorgt das ganze Jahr über für Behaglichkeit“, so Hansen. So lassen sich Hitzesommer ganz ohne Klimaanlage gut überstehen. 

Erdhügelhaus-Siedlung – noch viel Potenzial zu heben

Solarc hat bislang rund 30 Erdhügelhäuser realisiert. Hansen, dessen Firma sich vor allem auf große Wohnbauprojekte konzentriert, würde gerne mehr Siedlungen mit dieser Hausvariante bauen. Doch Partner für solche außergewöhnlichen Bauvorhaben zu finden, erweist sich als schwierig. Dabei ist er überzeugt: Wäre das Angebot an Erdhügelhäusern größer, würden sich auch mehr Menschen darauf einlassen.

Wer einmal zur Probe in einem Erdhügelhaus wohnen möchte: Im Feriendorf Auenland im thüringischen Wald kann man eines von insgesamt acht Hobbit-Häuschen buchen – von Tolkiens Erzählungen „Der Hobbit“ und „Herr der Ringe“ inspirierte Unterkünfte.

35 Prozent 
des Energieverbrauchs entfallen in Deutschland auf den Betrieb von Gebäuden. 
Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

300 Tonnen 
Erde schützen und klimatisieren das Solarc-Erdhügelhaus.
Quelle: Archy Nova

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