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Appetit auf PET

Text von Klara Walk
03.06.2025
Nachhaltigkeit

Wer Kunststoffe recyceln will, könnte in Zukunft die Dienste von mikrobiologischen Helferlein in Anspruch nehmen: Enzyme, die PET in seine Bestandteile zerlegen. Deutsche Wissenschaftler und Gründer arbeiten daran, sie in industrielle Recyclingprozesse zu integrieren.

Getränkeflaschen und Lebensmittelverpackungen bestehen oft aus PET (Polyethylenterephthalat). In Europa wird ein großer Teil davon gesammelt und verwertet, aber nicht jede PET-Verpackung lässt sich unkompliziert wiederverwerten. Verunreinigungen, etwa durch Mischmaterialien, bringen mechanische und chemische Recyclingmethoden an ihre Grenzen. Forscher arbeiten deshalb an sogenannten biobasierten Lösungen. Das Ziel: das PET so sauber in seine molekularen Bestandteile zu zerlegen, dass diese Stoffe wieder dem Materialkreislauf zur Verfügung stehen und zu neuen Kunststoffen synthetisiert werden können. Mit dabei: deutsche Forscher und ein deutsches Start-up.

Enzyme: die Schere in der Zelle

Enzyme sind der Schlüssel zum Recycling auf molekularer Basis. Es gibt sie in jeder lebenden Zelle. „Das sind Proteinbausteine, die – sehr verkürzt gesagt – unter anderem Stoffe in ihre molekularen Bestandteile spalten können“, erklärt Wolfgang Streit, Molekularbiologe an der Universität Hamburg. Die Enzyme reagieren mit einzelnen Molekülen oder Molekülketten, docken an sie an und zerlegen so längere chemische Strukturen in kürzere Teile. In der Regel tun sie das sehr spezifisch – ein bestimmtes Enzym schneidet nur einen bestimmten Teil aus einer Struktur. Auf diese Art helfen die Biokatalysatoren etwa bei der Verdauung: Menschlicher Speichel enthält das Enzym Amylase, das Stärke aus Brot oder Kartoffeln in kleinere Zuckerbausteine zerlegt. Die sind für den Körper besser zu verstoffwechseln.

Schnelligkeit ist im Zusammenhang mit Plastik zersetzenden Enzymen ein wirtschaftlicher und ökologischer Vorteil.

Nach dem gleichen Prinzip spalten andere Enzyme den Kunststoff PET in seine Bestandteile. So wie PET46: ein Biokatalysator, der zuerst in einem Tiefsee-Organismus gefunden wurde. Allerdings haben Mikrobiologe Streit und sein Team ihn nicht buchstäblich aus der Tiefsee gefischt. Statt mit Kescher und Probenflasche sind sie mit einem Suchalgorithmus in den Tiefen öffentlich verfügbarer Forschungsdatenbanken auf Enzymjagd gegangen. Diese Suche war Teil des vom Helmholtz-Instituts Geomar koordinierten Projekts PLASTISEA, an dem neben den Hamburgern unter anderem Fachleute aus Kiel und Düsseldorf beteiligt waren.

Schnellere Enzyme, weniger Kosten, weniger CO2

Den hoffnungsvollsten Kandidaten, eben PET46, haben die Forscher im Labor synthetisiert und in E. coli-Bakterien kultiviert. „Wir konnten zeigen, dass dieses Enzym PET schneller abbaut als vergleichbare Arten“, fasst Streit zusammen. Denn neu ist die Entdeckung, dass Enzyme Kunststoffe abbauen, nicht. Das französische Unternehmen Carbios zum Beispiel setzt einen anderen Proteinbaustein ein und plant eine Recyclinganlage in großem Stil. Innerhalb von 12 Stunden bis 14 Stunden soll es dort den Kunststoff abbauen. „PET46 hat das Potenzial, mindestens genauso schnell zu arbeiten“, sagt Streit.

Schnelligkeit ist im Zusammenhang mit Plastik zersetzenden Enzymen ein wirtschaftlicher und ökologischer Vorteil. Denn um PET zu spalten, braucht es eine Enzymlösung in einem Reaktor, der bei Temperaturen von circa 70 Grad Celsius über mehrere Stunden hinweg arbeitet. Das kostet Energie, somit auch Geld und belastet die CO2-Bilanz. „Selbst wenn der Prozess am Ende nur zehn Prozent schneller abläuft, weil das Enzym aktiver ist, spart man im großen Maßstab signifikant“, erklärt Streit. Und: Je aktiver ein Enzym, desto weniger Enzymmasse muss die Lösung im Reaktor aufweisen.

In Konkurrenz zu Carbios will Streits Team nicht gehen. „Der Tiefseeorganismus, in dem wir unseren Wildtyp gefunden haben, existiert seit Milliarden Jahren. Wir möchten verstehen, wie die Evolution das Enzym so weit gebracht hat, dass es PET spaltet, um mit diesem Wissen das enzymatische Recycling insgesamt voranzubringen“, erklärt Streit.

Lösung fürs Plastikproblem?

Auch beim Start-up ESTER Biotech aus Leipzig beschäftigt man sich mit dem Thema PET-Recycling via Enzym. Forscher der dortigen Universität haben mit PHL7 ein weiteres Enzym gefunden, das PET schnell in seine Monomere zerlegen kann. Nun arbeiten sie daran, diesen Fund konkret nutzbar zu machen und industriell anwendbare Prozesse zu erforschen, zu testen und gemeinsam mit Industriepartnern in Pilotprojekten zu etablieren. „Enzymatisches Recycling verbindet Natur und Technik – und schafft damit neue Chancen für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft“, begründet Martin Hirschfeld das Engagement des Leipziger Teams. Gefunden haben sie den Wildtyp von PHL7 übrigens in einem Laubhaufen auf einem Leipziger Friedhof.

Unsere Vision ist ein enzymatischer Ansatz, der künftig das Sortieren von Kunststoffabfällen deutlich vereinfachen könnte.
Martin Hirschfeld, Managing Director ESTER Biotech

Um ihre Entdeckung weiter zu verbessern, haben die Leipziger eine präzise Messtechnik entwickelt und patentieren lassen – sie unterstützt die zielgerichtete Enzym-Entwicklung mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Man könne das durchaus eine kleine Revolution nennen, heißt es seitens des Unternehmens. Hirschfeld und seine Kollegen suchen nun einen strategischen Investor, der mit ihnen gemeinsam zeigt, dass enzymatisches Recycling ökologisch und ökonomisch lohnend ist. „Die ab 2030 ausgeweiteten, verbindlichen Rezyklatquoten der EU erhöhen den Druck auf den Markt – insbesondere bei lebensmitteltauglichen Kunststoffen ist das Angebot begrenzt. Spürbare Preissteigerungen gelten daher als wahrscheinlich“, erklärt Hirschfeld. 

Doch um recyceltes PET zum Beispiel als Lebensmittelverpackung verwenden zu können, muss es sehr sauber sein. Hier sehen Hirschfeld und seine Kollegen Vorteile bei den Enzymen, denn die sind wählerisch: „Unsere Vision ist ein enzymatischer Ansatz, der künftig das Sortieren von Kunststoffabfällen deutlich vereinfachen könnte. Unterschiedliche Enzyme zielen jeweils auf bestimmte Kunststoffarten – Enzym A spaltet Kunststoff A, Enzym B spaltet Kunststoff B und so weiter. Störstoffe oder Verunreinigungen werden dabei weitgehend toleriert oder ignoriert, was den Prozess robuster gegenüber gemischten Abfällen macht“, skizziert Hirschfeld eine mögliche Prozesskette.

Das weltweite Plastikproblem können die Biokatalysatoren mit Appetit auf PET nicht lösen, sagen sowohl Streit als auch Hirschfeld. Aber als Teil eines Kreislaufsystems für Kunststoffverpackungen könnten sie dabei helfen, zumindest eines der Probleme mit Plastik zu lösen: Immer noch müssen Entsorgungsbetriebe trotz aufwendiger Sammlungen insbesondere Mischmaterialien verbrennen, weil der Kunststoff einfach nicht sauber genug zum Recyceln ist. Hier könnten Kunststoff recycelnde Enzyme helfen. Aber: „Fünf bis sieben Jahre Forschung und selbstverständlich viel Geld“ brauche es wohl noch, sagt Streit.

52 Prozent
beträgt der Anteil von recyceltem PET an der Produktion von PET-Getränkeflaschen in Deutschland.
Quelle: Forum PET

68,9 Prozent
der Kunststoffverpackungen wurden 2023 in Deutschland recycelt.
Quelle: Zentrale Stelle Verpackungsregister, Umweltbundesamt 

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