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Gut, besser, Superblock

Text von Lilian Schmitt
12.06.2023
Gesellschaft

Darmstadt plant ein Quartier fast ohne Autos. Die Idee kommt aus Barcelona. Aber auch andere Städte denken Mobilität neu - dazu mehr in der Bildergalerie unten.

Kinder spielen auf der Straße, Erwachsene sitzen auf Parkbänken und trinken Kaffee. Kein Hupen, kein Motorenlärm stört die Idylle. So könnte es zumindest bald in Darmstadt aussehen, denn die knapp 160.000 Einwohner große Wissenschaftsstadt plant einen autoarmen Wohnblock, einen sogenannten Superblock.

Von Katalonien nach Hessen

Das Vorbild, dem Darmstadt nacheifert, stammt aus Barcelona. Die spanische Stadt hat im Jahr 2017 im Viertel Poplenou mehrere Häuserblöcke zum Superblock zusammengefasst (katalanisch: Superilla). Innerhalb des Areals sind einige Straßen für den Autoverkehr komplett gesperrt. Dort, wo Autos fahren dürfen, gilt maximal Tempo 20, Fußgänger und Fahrradfahrer haben grundsätzlich Vorfahrt. Gleichzeitig werden die Straßen zum öffentlichen Garten: Hochbeete, neue Blumenkübel und Bäume schmücken die Plätze. Anwohner sollen so frische Luft statt Abgase einatmen und in der Nachbarschaft zusammenkommen.

Nun will auch Darmstadt das Konzept für ein Jahr testen. Im Auge hat die Stadtverwaltung dafür den Lichtenbergblock im Norden der Stadt – er ist Teil des Martinsviertels, eines der älteren Quartiere der hessischen Stadt. Der Vorschlag, den Superblock dort zu testen, stammt von der Bürgerinitiative Heiner*blocks (die Darmstädter bezeichnen sich selbst als „Heiner“). „Wenn wir nicht jetzt anfangen, die Lebensqualität in den Stadtvierteln zu steigern, wird sie in Zukunft stark abnehmen“, sagt Mitinitiator Maximilian Keiner. Darmstadt verfolgt mit diesem Projekt gleich vier Ziele: weniger Verkehr, weniger Lärm, bessere Luft und höhere Lebensqualität.

Freie Fahrt gehört der Vergangenheit an

Um Autos weitgehend aus dem Superblock zu verbannen, dürfen nur noch Anwohner und Lieferverkehr rein, aber auch nur über einige wenige Straßen des Viertels. Der Durchgangsverkehr muss künftig draußenbleiben. Weil sich auf dem benachbarten Rhönring, einer der Hauptverkehrsadern der Stadt, oft Staus bilden, nehmen viele Autofahrer derzeit noch die parallel verlaufende Liebfrauenstraße als Ausweichroute. Und die geht mitten durchs Quartier. „Das wollen wir nun verhindern und den Verkehr dort besser ordnen und beruhigen“, erklärt Sabrina Hadwiger, die für die Umsetzung des Superblocks verantwortlich ist.

Parken kostet künftig

Doch zuvor muss noch die Parkraumbewirtschaftung im Viertel neu sortiert werden: Ab November will die Stadt Parkscheinautomaten aufstellen und Parkgebühren erheben. Anwohner können eine Parkgenehmigung beantragen, die 120 Euro im Jahr kostet. Das Parken im Martinsviertel soll somit kostenpflichtig werden – und so die Autos von der Straße holen. „In der Regel verschwinden so schon einmal zehn Prozent der Pkws von der Straße, weil sie dann auf privaten Stellplätzen oder in Garagen parken, anstatt bequem vor dem Haus“, sagt Stadtrat und Mobilitätsdezernent Michael Kolmer.

Anschließend möchte Darmstadt das Carsharing Angebot auf öffentlichen Plätzen ausweiten. Erst danach soll der Verkehrsversuch „Superblock“ starten – voraussichtlich im Frühjahr 2024. „Der Frühling ist als Start gut geeignet, weil die Menschen dann ohnehin viel draußen sind. So werden die Vorteile des Superblocks besser sichtbar“, sagt Kolmer.

Klagen gegen Fahrverbote

Nicht allen Anwohnern dürfte die Idee gefallen, dass sie bald nur noch in Ausnahmefällen mit dem Auto bis vor die Haustür fahren und parken können. Das zeigt ein ähnliches Projekt in Hamburg: Eine Durchfahrtsbeschränkung für Autos im Hamburger Stadtteil Ottensen sorgt für Klagen. Im Oktober 2022 hatte das Gericht die Sperrung zunächst gekippt. Doch seit Anfang 2023 hat das autoarme Vorhaben wieder grünes Licht. „Das Wichtigste ist, die Akzeptanz der Anwohnenden zu erreichen“, sagt denn auch Verkehrsplanerin Hadwiger. Schon allein aus diesem Grund will die Stadtverwaltung den Anwohnern im Spätsommer im Rahmen verschiedener Beteiligungsformate die Möglichkeit geben, das Projekt mitzugestalten. „Die Bevölkerung soll wissen, dass wir das Konzept erst testen und gucken, ob es überhaupt funktioniert. Verkehrsversuche sind wichtig in der Mobilitätswende“, sagt Stadtrat Kolmer. Damit aus dem Versuch ein bleibendes Vorhaben wird, braucht die Stadt messbare Verkehrszahlen, die zeigen: Lärm und Durchgangsverkehr haben tatsächlich abgenommen. Erst dann will die Stadt weitere Superblocks planen.

 

Superblocks weltweit

Autofreie Stadtviertel kennt man eher aus großen Metropolen wie Barcelona oder London. Hier eine Auswahl an weltweiten Superblocks:

Barcelona
In einigen Vierteln Barcelonas können Kinder seit 2017 ungestört von Autos auf der Straße spielen. Mehr als 500 Superblocks möchte die katalanische Stadt einrichten. Studien des Gesundheitsamtes in Barcelona zeigen, dass der Stickstoffdioxidgehalt der Luft in den Superblocks um 25 Prozent zurückgegangen ist.

Gent
Im Jahr 2017 sperrte Gent den Verkehr in einem großen Bereich ab, der eine ältere Fußgängerzone erweiterte. So drängt die belgische Stadt die Autos in den umliegenden Gebieten auf eine Ringstraße. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Radfahrer im Stadtzentrum Gents um 25 Prozent. Unternehmen wie DHL nutzen jetzt elektrische Lastenfahrräder, um Pakete auszuliefern.

Paris
„Plan Vélo“ nennt die Pariser Stadtverwaltung ihr ambitioniertes Programm: ein Radnetz von hunderten von Kilometern. Es ist eines der größten Projekte der Radverkehrsförderung weltweit.

London
Für das Mini-Hollands-Programm investiert London 100 Millionen Pfund. Das Programm soll drei äußere Stadtbezirke in Fahrradzentren verwandeln. Sie sind mit einer hochwertigen Infrastruktur im niederländischen Stil ausgestattet.

Helsinki
In Helsinkis Neubaugebiet Kalasatama gibt es für keine der neuen Wohnungen einen Parkplatz. Stattdessen nutzen sie die "Mobility as a Service"-App für den öffentlichen Nahverkehr, für Bike- oder Car-Sharing und für Taxis.

Ljubljana
Seit 2007 ist das Zentrum von Ljubljana autofrei. Das Ergebnis: die Zahl der Autofahrten am Gesamtverkehr sind gesunken – von 58 Prozent im Jahr 2003 auf heute etwa 39 Prozent.

Kopenhagen
Kopenhagens Einwohner legen täglich 1,2 Millionen Kilometer mit dem Rad zurück. So kommt die dänische Hauptstadt ihrem Ziel näher, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Vorbild Kopenhagen: Die Copenhagenize Design Company vergibt im Rahmen des Copenhagenize Index Noten an Städte für ihre Bemühungen, das Fahrrad als Verkehrsform zu etablieren.

Wien
Im Wiener Stadtteil Favoriten bekamen Fußgänger durch ein geplantes „Supergrätzl“ mehr Platz. Das Projekt endete 2022, Zukunft ungewiss.

300 x 300 Meter
misst der geplante Superblock in Darmstadt.
Quelle: Stadt Darmstadt

22 Prozent
beträgt der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr auf Darmstadts Straßen.
Quelle: Stadt Darmstadt

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