Hamburgs neues Grünviertel
Klimafreundlich, lebenswert, bezahlbar – im Südosten Hamburgs entsteht auf mehr als 100 Hektar ein neues Stadtviertel. Es ist das zweitgrößte Neubauprojekt der Hansestadt.
Hamburg braucht dringend mehr Wohnraum: Etwa 50.000 Wohnungen fehlen, schätzt der Hamburger Mieterverein. Um die Lücke zu schließen, baut die Stadt nicht nur bestehende Viertel aus, sondern plant auch komplett neue Quartiere am Stadtrand. Eines davon ist Oberbillwerder: Im Bezirk Bergedorf soll, wo heute noch Getreide wächst, ein innovatives und grünes Quartier mit bis zu 7.000 Wohnungen entstehen.
„Schon seit den 1970er-Jahren ist das Gebiet Oberbillwerder für den Wohnungsbau vorgesehen“, erklärt Sabine de Buhr, städtebauliche Leiterin der für das Projekt zuständigen Planungsgesellschaft IBA Hamburg. Die Stadt hat das Unternehmen im Jahr 2016 damit beauftragt, das neue Quartier zu konzipieren. Die IBA organisierte daraufhin mehrere Workshops und Diskussionsrunden, bei denen Bürger und Experten ihre Ideen für das neue Viertel einbringen konnten. Es folgte ein EU-weiter Wettbewerb, den ein internationales Planungsteam aus Deutschland, den Niederlanden und Dänemark gewann – mit dem Entwurf „The Connected City“. Darauf aufbauend erstellte die IBA den finalen Masterplan für das neue Viertel.
Ein Lebensraum mit Schwammfunktion
Was beim Blick auf den Plan sofort auffällt, ist der ringförmige farbige Streifen, der Grüne Loop. „Er soll Herzstück des Stadtteils sein: Ein Park, der alle fünf Quartiere Oberbillwerders verbindet“, erklärt Projektleiterin de Buhr. Der Loop bietet nicht nur Raum für Tiere, Pflanzen, Picknicks und Volleyball, sondern schützt Oberbillwerder auch vor Überschwemmungen. Bei starkem Regen kann der neu angelegte Bach, der sich etwas tiefergelegt im Grünen Loop befindet, über die Ufer treten und die umliegenden Grünstreifen fluten, ohne dass das Wasser bis zu den Häusern vordringt.
„In Zeiten, in denen Starkregenereignisse immer häufiger werden, sind großzügig angelegte, temporäre Rückhalte- und Versickerungsflächen wie in Oberbillwerder bei der Planung neuer Viertel unabdingbar“, findet Wolfgang Dickhaut, Professor für umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung an der HafenCity Universität Hamburg. Er saß in einer der ersten Expertenrunden zur Planung Oberbillwerders und verfolgt das Projekt seitdem. Neben der Schwammfunktion hebt Dickhaut noch eine weitere Eigenschaft des Grünen Loops hervor: „Die Feuchtigkeit, die aus ihm verdunstet, kühlt die Umgebung.“ Das sei speziell in Oberbillwerder wichtig, denn Felder und Wiesen, die jetzt zu Bauland werden sollen, helfen bisher, die Temperaturen in den umliegenden Vierteln abzusenken. „Mit dem Grünen Loop bleibt die kühlende Funktion dieser Fläche trotz der Bebauung zumindest teilweise erhalten“, sagt der Experte.
Autoarme Straßen für mehr Lebensqualität
Für besonders zukunftsweisend hält Dickhaut das Mobilitätskonzept des neuen Quartiers: Autos sollen weitgehend aus dem Stadtbild verschwinden. Die Idee erinnert an das autofreie Viertel Merwede im niederländischen Utrecht. Komplett auf Pkws verzichten will man in Oberbillwerder allerdings nicht. Zwar soll es auch in Hamburgs Südosten keine Parkplätze an der Straße geben. Anwohner und Besucher dürfen allerdings weiterhin mit dem Auto durch das Viertel fahren und zum Aus- und Beladen vor ihrer Wohnung halten. Abstellen können sie ihr Fahrzeug dann in einem von bis zu 13 sogenannten Mobility Hubs – mehrstöckigen Gebäuden, die neben Parkplätzen auch Supermärkte, Kultureinrichtungen und Arztpraxen beherbergen sollen. Von dort aus kommen sie mit dem Fahrrad, E-Bike oder kleinen, autonomen Shuttlebussen bis vor die Haustür.
Aber auch zu Fuß soll der Weg von den Parkplätzen nach Hause machbar sein: Da die Mobility Hubs gleichmäßig über das Viertel verteilt sind, sind es von jedem von ihnen maximal 250 Meter und damit höchstens fünf Minuten bis nach Hause, rechnet Projektleiterin de Buhr vor. Und auch ins Hamburger Zentrum kommt man aus Oberbillwerder gut ohne Auto. Das neue Viertel liegt direkt an der S-Bahn-Station Allermöhe. Von dort aus ist es eine knappe Viertelstunde mit der S2 bis zum Hauptbahnhof.
Fast autarke Versorgung mit grüner Energie
In puncto Energieversorgung haben sich die Planer ebenfalls hohe Ziele für das neue Viertel gesetzt: Wärme und Strom sollen ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammen – bis zu 90 Prozent davon in Oberbillwerder selbst erzeugt. „Dazu bauen wir Wärmepumpen ein, die die Wärme aus Luft und Abwasser für die Haushalte nutzbar machen, und installieren Photovoltaikanlagen auf geeigneten Dächern und an Fassaden“, erklärt de Buhr.
Raum für Begegnungen eingeplant
Doch Oberbillwerder soll nicht nur ein nachhaltiges, sondern auch ein soziales Viertel werden. Geplant sind zahlreiche Quartiersplätze, die zum Verweilen einladen, verschiedene Sportstätten und ein Schwimmbad. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg wird im Viertel einen Standort eröffnen. Hinzu kommen mindestens 14 Kitas, zwei Grundschulen und ein Bildungs- und Begegnungszentrum, das eine Stadtteilschule, ein Gymnasium und außerschulische Bildungsangebote vereint.
Damit sich neben gutverdienenden Singles und jungen Familien auch Studierende und Senioren das Leben im neuen Stadtteil leisten können, setzen de Buhr und ihr Team auf den in Hamburg üblichen Drittelmix: ein Drittel geförderte Wohnungen, ein Drittel Mietwohnungen und ein Drittel Eigentum. Die stark gestiegenen Baupreise stellen das Projekt jedoch vor große Herausforderungen. Um die geplanten Wohnungen im neuen Viertel weiter zu moderaten Preisen anbieten zu können, prüft Hamburg derzeit, wie sich günstiger bauen lässt – dabei geht es vor allem darum, Vorschriften zu lockern.
Wenn der neue Stadtteil Oberbillwerder komplett fertig ist, möchte Projektleiterin de Buhr „auf dem zentralen Quartiersplatz erst einmal in Ruhe einen Cappuccino genießen“. Bis dahin hat sie noch alle Hände voll zu tun: Die ersten Erschließungsarbeiten für das Viertel sind Ende 2025 geplant, zwei Jahre später soll dann der Hochbau starten.
15.000 Menschen
sollen im neuen Viertel Oberbillwerder wohnen.
Quelle: IBA Hamburg GmbH
118 Hektar
misst das neue Quartier Oberbillwerder und ist damit fast eineinhalb Mal so groß wie der Schlosspark von Versailles.
Quelle: IBA Hamburg GmbH
Unser Nachhaltigkeitsnewsletter Be.Wirken
Kleine Flugzeuge sind um ein Vielfaches klimaschädlicher als andere Verkehrsmittel. Während Umweltorganisationen daher ein Verbot fordern, setzen Politik und Luftfahrtverbände auf nachhaltige Technologien. Te:nor fasst den aktuellen Stand der Debatte zusammen.
Das waren Zeiten: Schnell mal übers Wochenende für 9 Euro nach London oder Ibiza fliegen. Heute fragt jeder nach der CO2-Bilanz, Flugtickets sind fast unbezahlbar geworden. Und wir besinnen uns auf eine alte Tugend: Romantisches Reisen mit dem Nachtzug.
Was junge Menschen politisch bewegt, wird zu wenig gehört, meint Claudia Langer von der Generationen Stiftung. Im Interview berichtet sie von der Lobbyarbeit für die Interessen der jungen und kommenden Generationen.
Während manche noch überlegen, ob eine Führungsposition mit einem Mann oder einer Frau besetzt werden soll, stellt Naomi Ryland die aktuellen Unternehmensstrukturen gänzlich in Frage. Die Unternehmerin und Autorin skizziert eine Arbeitswelt, in der jeder sein Glück finden kann.