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E-Autos als Stromspeicher

Text von Jasmin Oberdorfer
16.06.2025
Unternehmen

Elektrofahrzeuge haben große Batterien. Parkt das Auto, bleiben sie ungenutzt – bis jetzt. Mit dem Konzept Vehicle-to-Grid (V2G) werden sie zu mobilen Energiespeichern, die dabei helfen, das Stromnetz stabil zu halten. Damit die nachhaltige Idee richtig in Fahrt kommen kann, müssen allerdings noch einige Hürden beseitigt werden.

Deutschlands Strommix wird von Jahr zu Jahr grüner: 2024 stammten knapp 60 Prozent der hierzulande erzeugten Energie aus erneuerbaren Quellen. Vor allem Wind (31,5 Prozent) und Sonne (13,8 Prozent) trugen dazu bei. Tendenz steigend. Wie viel Ökostrom aber am Ende tatsächlich ins Netz fließt, hängt nicht nur vom Bau neuer Windräder und Solaranlagen ab. Auch das Wetter spielt eine zentrale Rolle: Je nach Windstärke und Sonnenscheindauer produziert das System mal zu viel, mal zu wenig Strom. 

Deshalb sind flexible Speicherlösungen notwendig – und die stehen in der Garage: E-Autos mit bidirektionaler Ladefunktion können überschüssige Energie aufnehmen und sie bei Engpässen wieder zurück ins Netz geben. Vehicle-to-Grid (V2G) heißt das Konzept, das Stromsysteme stabil hält und flexibler macht – ein wichtiger Baustein für die Energiewende. „V2G verringert Investitionen in Großspeicheranlagen, denn die Fahrzeuge sind ja schon längst da“, erklärt Matti Sprengeler, Manager für Strategie und Geschäftsentwicklung bei der Business Unit Energy des Münchener Ladeinfrastrukturanbieters The Mobility House.  

Das Auto: ein mobiles Kraftwerk

Mit V2G stellen E-Autofahrer dem Energiemarkt ihre Fahrzeugbatterie als Stromspeicher und -reserve zur Verfügung. Produzieren Wind- und Solaranlagen besonders viel Strom, speichern die Autos die günstige Energie. Sobald der Bedarf im Netz steigt, geben sie – bis zu einem gewissen Grad – einen Teil davon wieder ab und können damit den Anteil erneuerbarer Energien im Netz erhöhen. Zudem tragen sie zur Stabilisierung des Strompreises bei. „Mittels V2G verschmelzen Verkehrs- und Energiesektor und erhöhen sektorübergreifend die Effizienz des gesamten Systems.“ sagt Jens Hinrich Prause, Manager Ladeinfrastruktur Technik und Energiesysteme bei der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur. Auch für die Nutzer lohnt sich das Prinzip: Wer Strom einspeist, profitiert von finanziellen Vorteilen. Das ständige Be- und Entladen schadet der Batterie dabei nicht. Prause erklärt: „Studien zeigen, dass es sogar besser für die Batterie ist, wenn ihr Ladestand zwischen 40 und 80 Prozent schwankt, statt dauerhaft hoch zu sein.“

Drei Voraussetzungen für V2G in Deutschland 

Bis V2G in Deutschland im Alltag ankommt, sind noch drei Hürden zu nehmen. Erstens, die Standards: Noch längst nicht alle Autos und Ladestationen sind V2G-fähig. Zudem gibt es bislang nur herstellerspezifische Angebote. „Auto und Ladestation müssen exakt zusammenpassen und sich mit dem Energiemanagementsystem zu Hause koppeln lassen“, so Prause. Standardisierungsgremien und Industrie arbeiten aktuell an Normen, die voraussichtlich ab 2028 systemübergreifende Lösungen ermöglichen. 

Zweitens, die Digitalisierung: Ohne Smart Meter funktioniert die genaue Abrechnung nicht. Wer, wann und wie viel Strom speichert oder ins Netz abgibt, muss sich präzise belegen lassen. „Der Strommarkt tickt in 15-Minuten-Intervallen“, sagt Sprengeler und weiß: „Nur mit einer exakten Steuerung lassen sich variable Stromtarife wirklich nutzen.“ Während Länder wie Frankreich, Großbritannien und die Niederlande beim Smart-Meter-Ausbau weit vorangeschritten sind, steckt er in Deutschland noch in den Anfängen – auch wegen der Netzstruktur. Hierzulande arbeiten mehr als 850 Stromnetzbetreiber, die jeweils ihre IT- und Abrechnungssysteme anpassen müssen. Zum Vergleich: In Frankreich ist ein einziger Anbieter für 95 Prozent der Stromempfänger zuständig. 

Drittens, die Regulatorik: Einheitliche Regeln für die Rückspeisung stehen in Deutschland noch aus. Aktuell besteht eine Doppelbelastung: „Bezieht man Strom, fallen Steuern, Abgaben und Netzentgelte an. Gibt man ihn per V2G zurück, zahlt derjenige, der ihn anschließend nutzt, erneut“, erklärt Prause. Eine zentrale Forderung ist deshalb die Befreiung von Netzentgelten für den zwischengespeicherten Strom.

V2G rollt weltweit an

Dunkelflauten, die etwa im Winter 2024 auch in Deutschland die Strompreise kurzfristig extrem hochtrieben, könnten den V2G-Trend beschleunigen. Denn besonders Länder mit starken Strompreisschwankungen wie Großbritannien und die Niederlande setzen auf die innovative Technologie, Frankreich ist ebenfalls führend in Europa. In Ländern wie Norwegen hingegen sorgt die flexibel steuerbare Wasserkraft bereits für ein ausgeglichenes Stromnetz. Der Bedarf an zusätzlichen Speichern wie V2G ist dort entsprechend niedriger.

In den USA gewinnt V2G vor allem für kommerzielle Betreiber an Bedeutung. Sprengeler berichtet: „The Mobility House optimiert in mehreren Bundesstaaten das Energiemanagement von Schulbusflotten. Die Busse fahren nur zweimal täglich kurze Strecken, besitzen aber große Batterien.“ Nachts und während der Schulpausen lassen sich diese optimal ins Stromnetz integrieren. 

V2G: erste marktreife Lösung in Frankreich

Das weltweit erste kommerzielle V2G-Angebot hat The Mobility House 2024 in Zusammenarbeit mit Mobilize, einer Tochtergesellschaft von Renault, nach eigenen Angaben in Frankreich auf den Markt gebracht. Es besteht aus vier Komponenten: dem Renault 5, der Ladestation Mobilize Powerbox, einem speziellen Energievertrag sowie einer App. Die Steuerung der optimalen Lade- und Entladezeiten übernimmt The Mobility House. „Der Fahrer muss das Fahrzeug nur zu Hause einstecken“, sagt Sprengeler. „Wenn er in der App beispielsweise eingestellt hat, dass das Auto immer einen Mindestladezustand von 50 Prozent haben und fünf Stunden später auf 90 Prozent geladen sein soll, nutzen wir die Batterie nur innerhalb dieses Ladebereichs und Zeitrahmens.“ 

Einige Hundert Kunden hat The Mobility House nach Unternehmensangaben in Frankreich bereits. Manche von ihnen gaben Feedback in den sozialen Medien ab. Sprengeler erzählt: „Ein Kunde postete, dass er seinen Wagen in einem Monat für 59 Euro geladen hat und damit 1.200 Kilometer gefahren ist. Durch unseren Service bekam er 51 Euro zurück – seine effektiven Kosten für die Fahrt lagen also bei nur acht Euro.“ Der Anwender kommt damit der Vision des Ladeinfrastrukturanbieters schon sehr nah: Besitzer von E-Autos sollen für die Energie, die sie zum Fahren benötigen, gar nichts mehr bezahlen, findet Sprengeler.

Das nächste Projekt des Münchner Unternehmens steht schon in den Startlöchern: The Mobility House und Mercedes-Benz haben sich zusammengetan, um V2G mit der neuesten E-Auto-Generation einzuführen – diesmal sogar europaweit.

431,5 Milliarden 
Kilowattstunden Strom wurden 2024 in Deutschland erzeugt und ins Netz eingespeist.
Quelle: Destatis

15 Millionen
zugelassene E-Autos bis 2030 hat sich Deutschland vorgenommen. 
Quelle: Deutscher Bundestag 

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