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„Wir wollen auf versteckten Elektroschrott aufmerksam machen“

Text von Marie Welling
26.08.2025
Unternehmen

Das britische Start-up Pulpatronics hat eine nachhaltigere Alternative zu RFID-Etiketten entwickelt. Im Interview erklärt Gründerin und CEO Chloe So, wie die neuen Etiketten funktionieren – und warum die herkömmlichen Modelle umweltschädlich sind. 

Frau So, RFID-Etiketten begegnen uns im Alltag ziemlich oft, zum Beispiel bei fast jedem Einkauf. Wie funktioniert die Technologie dahinter? 

Chloe So: Die Abkürzung RFID steht für Radio Frequency Identification. Solche Etiketten helfen uns, einzelne Artikel, wie beispielsweise ein T-Shirt, im Laden oder im Lager zu identifizieren. Das funktioniert über eine Metallantenne und einen Chip, beides ist im Etikett eingearbeitet. Auf dem Chip werden die Daten des Produkts gespeichert – also etwa Größe und Farbe des T-Shirts. Diese werden mithilfe von Funkwellen an ein Lesegerät übermittelt. Das Verkaufspersonal muss also nicht mehr jedes Produkt einzeln abscannen, um einen aktuellen Überblick über den Warenbestand zu erhalten. Stattdessen laufen die Mitarbeitenden einfach mit dem Lesegerät durch den Laden – die Informationen werden automatisch übertragen. Außerdem sichern die Etiketten vor Diebstahl und vereinfachen das Abkassieren an der Kasse. 

Sie haben mit Barna Soma Biro zusammen im Jahr 2023 das Start-up Pulpatronics gegründet und wollen eine umweltfreundlichere Alternative zu RFID-Etiketten schaffen. Was ist das Problem mit herkömmlichen Schildern? 

Herkömmliche RFID-Etiketten bestehen nicht nur aus Papier, sondern unter anderem auch aus Plastik, Silikon und außerdem aus Metallen, aus denen die Antenne und der Mikrochip gemacht sind. Die Materialien sind eng miteinander verbunden, sodass sich die einzelnen Komponenten nur schwer recyceln lassen. Dadurch entsteht eine große Menge Elektroschrott, der für die meisten Konsumenten unsichtbar bleibt: In der Regel werfen wir die Etiketten in den Restmüll. Unser Start-up versucht auf den versteckten Elektroschrott aufmerksam zu machen. 

Ein normales RFID-Etikett verursacht in der Produktion rund 3,5 Gramm CO2. Das hört sich nicht viel an, aber bei Milliarden von Etiketten weltweit ist die Summe enorm.
Chloe So, Co-Founder & CEO Pulpatronics

Wie wollen Sie das Problem lösen?

Wir ersetzen die Metallantenne durch eine kohlenstoffbasierte Alternative. Dafür nutzen wir Lasertechnologie, die den Kohlenstoff des Papiers in eine leitfähige Struktur verwandelt. Die Struktur, die durch den Laser entsteht, ähnelt Graphen. Das Graphen bildet unsere leitfähige Antenne. 

Klingt einfach. Funktioniert es?

Ja, aktuell sind wir dabei, die Technologie zu optimieren, so dass man die Etiketten auch aus größerer Entfernung scannen kann, wie das bei Antennen in herkömmlichen RFID-Etiketten der Fall ist. 

Brauchen Sie für Ihre Technologie weiterhin Mikrochips?

Ja, vorerst nutzen wir sie weiterhin, um Produktinformationen zu speichern. Unser Problem ist, dass die bestehende RFID-Infrastruktur – etwa die Lesegeräte – auf Mikrochips ausgelegt ist. Einzelhändler oder Logistikunternehmen können also nicht einfach die herkömmlichen Etiketten durch die von Pulpatronics ersetzen. Langfristig wollen wir aber ein vollständig metallfreies und chiploses Produkt entwickeln. Das wäre wesentlich ressourcenschonender und außerdem umweltfreundlicher, weil kein Elektroschrott mehr entstehen würde. Das Etikett könnte dann problemlos im Papiermüll landen und anschließend recycelt werden. 

Könnte man damit auch CO2 einsparen?

Ja, sicher. Ein normales RFID-Etikett verursacht in der Produktion rund 3,5 Gramm CO2. Das hört sich erst einmal nicht viel an, aber bei Milliarden von Etiketten, die Unternehmen weltweit nutzen, ist die Summe enorm. Unsere neue Lasertechnologie könnte die Emissionen um 60 Prozent reduzieren, das heißt wir verbrauchen weniger als ein Drittel der Emissionen herkömmlicher Modelle.

Sparen die Unternehmen damit auch Geld oder sind die Pulpatronics-Etiketten teurer?

In der Regel kostet die Produktion von RFID-Etiketten zwischen 5 und 15 Cent pro Stück – abhängig davon, wie groß die bestellte Charge ist und wie spezifisch das Etikett sein soll. Aktuell gehen wir davon aus, dass wir diese Kosten um 30 Prozent reduzieren können. Das würde auch Einzelhändlern helfen: Wenn ein großes Modeunternehmen wie Zara unsere Etiketten nutzen würde, könnten sie damit Millionen von Euro einsparen. 


Über das Start-up Pulpatronics

Im Jahr 2023 arbeiteten Chloe So und Barna Soma Biro an einer gemeinsamen Gruppenarbeit am Royal College of Art und Imperial College in London. Das Projekt der beiden 28-Jährigen: metallfreie und chiplose RFID-Etiketten. Aus der Uni-Arbeitsgruppe entstand nur kurze Zeit später Pulpatronics. Im Frühjahr 2024 gewann das junge Unternehmen den Green Alley Award, ein Preis für Start-ups, die mit ihrem Geschäftsmodell zur Kreislaufwirtschaft beitragen. Ende des Jahres 2024 sammelte Pulpatronics außerdem fast 500.000 Euro bei Investoren ein, um ihr Etikett weiterzuentwickeln und erste Pilotprojekte durchzuführen.

Welche Branchen neben dem Einzelhandel nutzen die Label noch? 

Vor allem für die Logistik sind die Etiketten interessant, weil man Waren dadurch genau nachverfolgen kann. Mittlerweile kommen sie aber auch in der Gesundheitsbranche zum Einsatz, etwa bei der Medikamentenverfolgung, oder in der Viehzucht, um Tiere zu identifizieren. Wir gehen davon aus, dass jährlich mehr als 45 Milliarden Einweg-RFID-Etiketten produziert werden. Der Markt wird bis zum Ende des Jahrzehnts voraussichtlich 36 Milliarden US-Dollar schwer sein. 

Sind Ihre Etiketten bereits in einer dieser Branchen im Einsatz?

Wir sind noch immer in der Entwicklungsphase unseres Produkts. Unser nächster Schritt ist es, die Etiketten gemeinsam mit Unternehmen zu testen. Große globale Unternehmen wie Decathlon, Ralph Lauren oder Lacoste haben schon ihr Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet. Das bestärkt uns enorm und motiviert uns, unser Produkt weiterzuentwickeln. 

1,1 Gramm CO2
verursacht ein Pulpatronics-Etikett in der Produktion. 
Quelle: Pulpatronics

4,1 Milliarden Euro
betrug der Marktwert aller genutzten RFID-Etiketten 2024 in der Logistik.
Quelle: Horizon Grand View Research

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