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Gemeinsam in die Klimawende investieren

Text von Lilian Schmitt
10.11.2023
Gesellschaft

Als Mitglied einer Energiegenossenschaft kann jeder Einzelne in eine PV-Anlage oder ein Windrad investieren und so zur Klimawende beitragen. Die Bürgerenergiegenossenschaft Region Regensburg eG zeigt, wie es funktioniert.

Eine Neuregelung des EEG (Erneuerbaren Energiegesetzes) sieht vor, Strom bereits im Jahr 2035 fast vollständig aus erneuerbaren Energiequellen zu erzeugen. Um diese Mega-Energiewende zu schaffen, kommt es auf jede grün produzierte Kilowattstunde an. Hiervon können auch engagierte Bürgerinnen und Bürger profitieren, die sich zum Beispiel zu Energiegenossenschaften zusammenschließen und sich auf diesem Weg für mehr erneuerbaren Strom und Wärme einsetzen – so geschehen in Regensburg.

Strom vom Dach – auch für Mieter

Im Neubaugebiet des Regensburger Stadtbezirks Burgweinting hat die Wohnungsgenossenschaft NaBau eG schon vor rund zehn Jahren das „Haus mit Zukunft“ gebaut, ein generationenübergreifendes und inklusives Wohnprojekt. Die Immobilie umfasst 35 Wohneinheiten und weist eine Besonderheit auf: Die Energie für Strom und Wärme stammt vom eigenen Dach. Im Auftrag der NaBau betreibt die Bürgerenergiegenossenschaft Region Regensburg eG (BERR) dort seit 2014 eine Photovoltaikanlage. Diese liefert pro Jahr rund 90.000 Kilowattstunden Ökostrom. Die Bewohner des Hauses verbrauchen etwa ein Viertel der Energie direkt, überschüssige Mengen speist die BERR ins öffentliche Stromnetz ein.

Die BERR ist eine von rund 900 Energiegenossenschaften (EGs) in Deutschland. In diese investieren Menschen gemeinsam, um Energie zu erzeugen oder zu speichern und ihre Ressourcen miteinander zu teilen. Nach Angaben des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands sind mittlerweile 220.000 Bürgerinnen und Bürger mit Einlagen in Höhe von rund 1,84 Milliarden Euro dort engagiert.

In einer EG kann jeder Mitglied werden und entscheiden, ob er einen oder mehrere Anteile erwirbt. Über diese werden die Anlagen der EG finanziert. Die jeweilige Satzung der Genossenschaft schreibt fest, wie viel so ein Anteil kostet – im Fall der BERR fallen jeweils 500 Euro an. Schon mit einem Anteil ist man bei den Versammlungen stimmberechtigt. Ein wichtiger Fakt: „Wir beschließen hier jede Entscheidung demokratisch und jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig davon wie viele Anteile er besitzt“, sagt Justin Schlecht von der BERR. Wer Anteilseigner einer EG ist, bekommt in der Regel auch eine jährliche Rendite ausgezahlt.  

Theoretisch kann jeder eine Energiegenossenschaft gründen.
Burghard Flieger, Vorstand innova eG

Gründen? So geht’s!

„Theoretisch kann jeder eine Energiegenossenschaft gründen“, sagt Burghard Flieger. Der Vorstand der innova eG, einer Beratungs-, Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft für genossenschaftliche Lösungen, berät EGs bei der Gründung und im Alltagsgeschäft. Für die Gründung müssen mindestens drei Personen eine Satzung formulieren und eine Versammlung einberufen. Dort wählen sie den Vorstand und den Aufsichtsrat der Gemeinschaft. So weit, so einfach. Doch die Beteiligten müssen zusätzlich beweisen, dass die Genossenschaft wirtschaftlich tragfähig ist. „Die Vorstände sollten sich daher in der Energiebranche mit den rechtlichen Anforderungen auskennen“, sagt Flieger. Dies erweist sich oftmals als schwierig, denn „die meisten sind ehrenamtlich in einer Genossenschaft tätig. Maximal ein Drittel der EGs können sich bezahlte Vorstände leisten, die für ihr Engagement eine finanzielle Entschädigung erhalten“, sagt der Berater. Im Fall der BERR ist ein Mitglied mit Expertise sogar fest angestellt: Justin Schlecht ist studierter Elektro- und Informationstechniker. Der 25-Jährige ist für die Betreuung der Anlagen in über 40 Projekten rund um Regensburg zuständig.

Doch auch, wenn die BERR zahlreiche Photovoltaik-Anlagen betreibt, darf sie ihren Genossenschaftsmitgliedern den Sonnenstrom nicht zur Verfügung stellen. „Leider lassen die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland das momentan noch nicht zu“, sagt Schlecht. Während Einfamilienhäuser die selbstproduzierte Energie direkt, ohne für den Solarstrom zu bezahlen, verbrauchen oder speichern können, wird dieses Privileg den Mietern in einem Mehrfamilienhaus wie dem „Haus der Zukunft“ verwehrt. Sie profitieren lediglich vom sogenannten Mieterstrom: Die Bewohner können auf Basis eines Stromvertrags mit der BERR die Energie vom eigenen Dach beziehen. Weil der Strom direkt ins Hausnetz eingespeist wird und nicht durch das öffentliche Netz fließt, entfallen Stromsteuern, Umlagen des Netzbetreibers und andere Abgaben – der Mieterstrom-Tarif von der BERR fällt also viel günstiger aus als der Strompreis, den die herkömmlichen Energieversorger anbieten können. Dabei gilt: „Je mehr Strom von der Anlage auf dem eigenen Dach bezogen wird, desto mehr sparen die Mieter“, erzählt Schlecht. Bewohner von Mehrfamilienhäusern mit BERR-Anlagen zahlen so unter Umständen weniger als 20 Cent pro Kilowattstunde für den Solarstrom.

 

Digitaler Stromzähler

Bis Ende 2032 sollen in deutschen Haushalten digitale Stromzähler, sogenannte Smart Meter, flächendeckend in Betrieb sein. Dies hat die Bundesregierung im April 2023 im Rahmen des Smart-Meter-Gesetzes beschlossen. Dann können Verbraucherinnen und Verbraucher zum Beispiel per App ihren eigenen Stromkonsum besser nachvollziehen und wissen etwa, wann welches Gerät wie viel Energie verbraucht.

Dank Smart Meter erhalten Stromanbieter und Energiegenossenschaften erstmals detaillierte Informationen zum Strombedarf ihrer Kunden. Auf dieser Basis können sie dann Stromerzeugung und -verbrauch mithilfe von Speichern oder Zukäufen besser aufeinander abstimmen.

 

Wie viele Anteile am Windrad dürfen es sein?

Damit EGs zur Klimawende beitragen können, setzen sie aber nicht nur auf Strom und Wärme aus Sonnenenergie. Zu Schlechts Aufgaben zählt seit neuestem auch die Planung von Windrädern. So ist auch Peter Fürmetz auf die BERR aufmerksam geworden. Als bekannt wurde, dass in seiner Heimatgemeinde Sinzing der Bau eines BERR-Windrads geplant sei, war er zunächst skeptisch. „Mir ging es wie so vielen: Ich bin zwar für die Energiewende – aber bitte nicht in Sichtweite der eigenen Wohnung“, sagt Fürmetz. Um aus dem Zwiespalt herauszukommen, beschäftigte er sich intensiv mit den Themen Klimawandel, erneuerbare Energien und Energiegenossenschaften. „Die Idee, dass Bürgerinnen und Bürger gemeinschaftlich in erneuerbare Energien investieren und dadurch eine regionale und dezentrale Energieversorgung aufbauen können, hat mich beeindruckt“, sagt Fürmetz, der inzwischen auch Windrädern in der Nachbarschaft etwas abgewinnen kann.

Der Blick auf die Zukunftsaussichten seiner sieben Enkelkinder motivierte ihn, sich aktiv an der Energiewende zu beteiligen. Der 70-Jährige engagiert sich mittlerweile als Aufsichtsrat bei der BERR - das Konzept der EG aus Regensburg hat ihn voll überzeugt.

3.000.000 Tonnen
CO2 wurden 2022 durch Energiegenossenschaften im Strombereich vermieden.
Quelle: Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband

5.200 Euro
zahlt ein Energiegenossenschaftsmitglied jährlich im Durchschnitt ein.
Quelle: Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband

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