Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

„Jeder Tag fühlt sich an wie Urlaub“

Text von Sina Hoffmann
24.10.2023
Nachhaltigkeit

Ein Tiny House in der Eifel – 45 Quadratmeter für vier Personen. Hier leben Jennifer und Emanuel Dümmer mit ihren zwei Kindern. Wieder in eine größere Wohnung zu ziehen, ist für beide nur schwer vorstellbar.

Seit wann lebt ihr in eurem Tiny House?

Emanuel Dümmer: Ich habe schon in diesem Häuschen gewohnt, bevor ich Jenny kennenlernte. Nachdem ich von meiner Weltreise wieder kam, habe ich auf dem Hof meines Großvaters gelebt – zuerst im Wohnwagen, dann in einer kleinen Hütte auf acht Quadratmetern. 2017 beschloss ich, den alten Brandholzschuppen, in dem Geräte für den landwirtschaftlichen Betrieb lagerten, auszubauen. Das hat ein Jahr gedauert, weil ich ein begrenztes Budget hatte und darauf geachtet habe, möglichst nur recycelte Materialien zu verwenden.

Jennifer Dümmer: Emanuels Lebensstil hat sich in der Gegend rumgesprochen, das hat mich interessiert. Im Oktober 2019 haben wir uns schließlich verabredet. Ich habe mich im Haus von Anfang an wohlgefühlt, aber mir vorzustellen, dort zu wohnen, war etwas ganz anderes. Er hatte nur kaltes Wasser zum Duschen und eine Komposttoilette. Aber es ist einfach ein schöner Ort, an dem wir zur Ruhe kommen können. Jeder Tag fühlt sich an wie Urlaub.

Das österreichische Unternehmen Wohnwagon setzt auf autonomes Wohnen auf kleiner Fläche. Das spart Platz und ist nachhaltig. Wir haben uns angeschaut, wie so ein Tiny House entsteht. Zum Bericht

Duscht ihr immer noch kalt?

Jennifer: Fast ein Jahr lang sind wir draußen duschen gegangen – auch bei Minusgraden, aber immerhin hatten wir schon Warmwasser. Als ich vor eineinhalb Jahren das erste Mal schwanger geworden bin, war klar, dass wir ein richtiges Badezimmer brauchen. Das befindet sich nun im alten Bauernhaus, das heißt wir müssen trotzdem rausgehen, auch wenn es regnet und stürmt.

Was sind die größten Unterschiede zu einem normalen Haus?

Jennifer: Man merkt, wie schnell es unordentlich wird, wenn man zu viele Dinge hat. Ich habe viele Bücher über den minimalistischen Lebensstil gelesen und bin immer noch dabei, mich von Dingen zu trennen. Ich merke, wie befreiend das ist, wie viel weniger Arbeit ich habe und wie wenig Sachen ich brauche, um glücklich zu sein.

Klar: Im Sommer ist es wie im Paradies, wir sind praktisch den ganzen Tag draußen – der Garten ist wie unser Wohnzimmer. Aber im Winter ist es manchmal hart, wenn wir aufwachen und im Wohnzimmer nur zwei Grad sind. Dann machen wir als erstes den Ofen an. Als Mutter mache ich mir Gedanken, ob es den Kindern zu kalt ist. Aber ich glaube, das härtet auch ab. Seitdem ich hier wohne, bin ich deutlich weniger krank als früher.

 

Anhaltender Trend

Circa 50 Tiny-House-Siedlungen sind in den vergangenen Jahren in Deutschland entstanden, so eine aktuelle Studie des Landes Schleswig-Holstein. Das rege Interesse schlägt sich auch in den Auftragsbüchern der Hersteller nieder: „Im Jahr 2022 haben wir 31 Häuser gebaut, dieses Jahr werden es voraussichtlich mehr als 40“, so Adrian Burzec, Marketing-Manager von Berghaus Tiny House. Etwa 300 Anfragen gehen bei ihm pro Jahr ein. „Viele Kunden sehen Tiny Houses als eine Alternative zu größeren Häusern, weil diese kostengünstiger sind.“ Gefragt seien nachhaltige, langlebige und modulare Bauweisen. Auch digitale Helfer wie Apps zur Steuerung der Fußbodenheizung sind beliebt.

Eine große Hürde für die Aufstellung sind nach wie vor die baurechtlichen Vorschriften: Ein Tiny House mit festem Stellplatz wird als Einfamilienhaus eingeordnet und muss damit einhergehende gesetzliche Vorschriften wie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) erfüllen. Unterschiedliche Regelungen in den Landesbauordnungen verkomplizieren das Genehmigungsverfahren zusätzlich. Einige Kommunen setzen sich bereits dafür ein, nicht nutzbare Flächen bewohnbar zu machen, da der Wohnungsmarkt vor allem in größeren Städten angespannt ist.

 

Welche Vorteile bietet das Leben im Tiny House?

Emanuel: Gerade aktuell, wo Wohnraum so teuer ist, ist die Wohnraumgröße auch eine Finanzfrage. Der Mensch gewöhnt sich schnell an neue Umstände wie ein kleineres Haus. Und ein Tiny House bietet in meinen Augen nur Vorteile: Energieersparnis, kürzere Laufwege, Übersichtlichkeit. Die Leute bauen einfach zu groß. Ein Haus oder eine Wohnung war lange Zeit ein Statussymbol. Aber mittlerweile suchen viele wieder die Lebendigkeit, die Ehrlichkeit und die Authentizität. Für mich war es eine Herzensentscheidung mein Lebensstil so zu verändern.

Was sagen eure Familie und Freunde zu eurem Lebensstil?

Jennifer: Wir haben viel Besuch, die Leute sind gerne hier. Aber die wenigsten würden so leben wollen, weil es mit Arbeit verbunden ist: Wir hacken Holz für den Ofen, ernten unser eigenes Gemüse und verzichten auf manchen Luxus. Dafür muss man auch den richtigen Partner an seiner Seite haben.

Was macht ihr, wenn ihr mal Ruhe braucht? Kann man sich auf so engem Raum aus dem Weg gehen?

Jennifer: Für mich war das bisher kein Problem. Ich brauche meine Leute, meine Familie, um mich herum. Ich freue mich aber, wenn ich mal 20 Minuten in Ruhe baden gehen kann. Emanuel geht lieber in den Wald spazieren, wenn er Ruhe braucht.

Emanuel: Aktuell schlafen wir zu viert mit den Kindern im Schlafzimmer, das kann auf Dauer nicht so bleiben. Wir planen, das alte Bauernhaus zu einem Mehrgenerationenhaus mit mehreren Wohneinheiten auszubauen. Wir könnten dort einziehen, stellen uns aber die Frage, ob wir das wollen.

Jennifer: Ein kleines Häuschen macht eben weniger Arbeit und ist gemütlicher. Vielleicht bauen wir einfach noch ein Tiny House im Garten - als zweites Schlafzimmer. So hat jeder seine Privatsphäre.

10.000 Gegenstände

besitzt ein deutscher Haushalt im Durschnitt.

Quelle: Statistisches Bundesamt

1,9 Millionen

bezahlbare Wohnungen fehlen in Deutschland.

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung

Ähnliche Artikel