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Wohnen für autarke Minimalisten

Text von Imke Reiher
24.04.2023
Gesellschaft

Das österreichische Unternehmen Wohnwagon setzt auf autonomes Wohnen auf kleiner Fläche. Das spart Platz – und ist nachhaltig.

Was brauchst Du eigentlich für ein gutes Leben? Auf diese Frage stößt jeder früher oder später, der sich mit Wohnwagon beschäftigt. Das österreichische Unternehmen wurde im Herbst 2012 von Theresa Mai und Christian Frantal gegründet und spezialisierte sich auf den Bau kleiner Wohneinheiten. Bewohner leben in diesen sogenannten Tiny Houses autark und vor allem auch nachhaltig: Strom, Wärme und Wasser werden möglichst in Eigenregie produziert – eine Kreislaufwirtschaft im Kleinen, die langfristig zudem äußerst kostengünstig ist.

Die Idee der Österreicher kommt gut an, auch wenn es ein mühsamer Weg bis hierher war. Denn in den ersten Jahren standen vor allem Forschung und Entwicklung auf der Agenda der beiden Gründer: Nicht nur die Anfangsfinanzierung via Crowdfunding galt es zu stemmen. Sie mussten auch die technische Realisierung ihrer Vision austüfteln. „Die Entwicklung autarker Systeme hat viel Zeit benötigt – wir mussten viel probieren, verwerfen und neu konzipieren, um das Maximum herauszuholen“, erinnert sich Mai. Eine 100-prozentige Unabhängigkeit gibt es jedoch nicht, da die vorhandene Technik, beispielsweise eine Photovoltaikanlage, auch gewartet werden muss.

Wie lebt es sich in einem Tiny House? Für Jennifer und Emanuel Dümmer fühlt sich jeder Tag an wie Urlaub. Mit ihren zwei Kindern wohnen sie auf 45 Quadratmetern. Zum Interview.

Überschaubar, nachhaltig und regional

Nachdem in den ersten Jahren nur eine Handvoll Tiny Houses entstanden sind, hat Wohnwagon das Tempo im Lauf der Zeit deutlich anziehen können. Mittlerweile kann das Gründer-Duo bereits auf mehr als 130 erfolgreich realisierte Wohnprojekte zurückblicken, weitere 50 sind für dieses Jahr geplant. „Damit sind unsere Kapazitäten ausgelastet“, sagt Theresa Mai, die ein tatkräftiges Team aus mittlerweile 50 Leuten hinter sich weiß.

Produziert wird im österreichischen Gutenstein, wobei das Team auf zwei Dinge besonderen Wert legt: hochwertige nachhaltige Baustoffe und Naturmaterialien wie Holz und Lehm sowie möglichst regionale Bezüge und Gewerbe. „Wir isolieren zum Beispiel mit Schafwolle, die wir von der Firma Isolena aus Oberösterreich beziehen“, sagt Mai. Der Vorteil dieses Naturprodukts: Es reguliert die Feuchtigkeit und bindet Schadstoffe. Gerade in kleinen Wohnräumen ist dies besonders wichtig, da Wasser vom Duschen und Kochen hier schneller kondensieren und zu Schimmel führen kann. Und auch Lehmputz kommt bei den Tiny Häusern zum Einsatz: „Ein natürliches Baumaterial mit sehr geringer Herstellungsenergie und tollen Gestaltungsmöglichkeiten. Durch die Mischung mit Stroh entstehen beispielsweise interessante Oberflächen”, so Mai.

Wer sich für ein Tiny House der Österreicher interessiert, muss ein Mindestbudget von 80.000 Euro einkalkulieren. So viel kostet die kleinste Basisvariante der Modulelemente, die im Durchschnitt sieben Wochen Bauzeit benötigt. Nach dem Baukastenprinzip lassen sich die einzelnen, circa 25 Quadratmeter großen Module zu größeren Wohneinheiten von bis zu 100 Quadratmetern zusammenlegen. „Zudem können wir individuelle Wünsche wie ein besonderes Bett oder einen besonderen Schrank genauso berücksichtigen und begleiten unsere Kunden gerne mit individueller Planung“, sagt Mai. Die Wartezeit für ein Wohnwagon-Bauprojekt beträgt aktuell zwischen zehn und zwölf Monaten. Etwa 70 Prozent der Interessenten wollen das Haus laut Mai als ihren Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt nutzen.

Baurecht als potenzielle Stolperfalle

Neben den handwerklichen und technischen Anforderungen gibt es bei den Wohneinheiten auch etliche baurechtliche und regulatorische Auflagen zu beachten, die zur potenziellen Stolperfalle werden können. So muss geklärt sein, ob auf dem Grundstück überhaupt ein Wohnwagon oder Modulhaus stehen darf. „Es gibt Abbruchbescheide und verweigerte Genehmigungen, wenn der Bau rechtlich nicht sauber abgewickelt werden kann“, warnt Mai. De facto gelten auch die kleinsten Modelle rein rechtlich als Wohngebäude – und die dürfen nun einmal nicht auf jeder Art von Grundstück stehen, oder mitunter womöglich nur für eine bestimmte Zeit. „Man muss sich im Baurecht schon gut auskennen“, sagt Mai. Das ist auch ein Grund, warum die Kundschaft von Wohnwagon bisher primär in Deutschland, der Schweiz und Österreich zu finden ist – hier hat Wohnwagon entsprechende Experten vor Ort.

Eine der häufigsten Fragen, die Mai gestellt wird: Wie finde ich das passende Grundstück? „Viele wollen kein eigenes Land kaufen, sondern pachten“, sagt Mai und weiß: „Da bewegt man sich abseits vom klassischen Grundstücksmarkt.“ Dieses komplexe Thema greifen Mai und ihre Kollegen deshalb auch regelmäßig in hauseigenen Webinaren auf – darunter auch zu Naturbaustoffen, autarker Strom- und Wasserversorgung. Mit Online-Fragestunden, Workshops und einem Webshop offeriert Wohnwagon zahlreiche andere Angebote rund um ökologisches und autarkes Wohnen. Zum Thema Wasserautarkie etwa: „Membran-Filtersysteme erzeugen aus gesammeltem Regenwasser Trinkwasser”, sagt Mai und ergänzt: „Dank der Bio-Toiletten, die wir bei fast jedem Projekt verbauen, sparen wir pro Person und Jahr etwa 12.000 Liter Trinkwasser ein.”

Wer unsicher ist, ob das Wohnen im nachhaltigen und autarken Tiny House wirklich etwas für ihn ist, kann dies auch erstmal austesten. Zum Beispiel in Deutschland im niederbayerischen Oberschneiding und Reisbach Niederhausen. Die Preise starten ab 130 Euro pro Tag. Probewohnen ist laut Mai auch noch aus einem anderen Grund sinnvoll: „Es ist etwas anderes, wenn man die Materialien riecht und fühlt, als wenn man sich das Ganze nur auf Bildern anschaut.“

Große Zukunftspläne

Auch wenn die Kleinhäuser derzeit im Fokus stehen, denken Mai und ihre Kollegen bereits in größeren Dimensionen: „Wir möchten die Zukunft des Wohnens mitgestalten und sehen es – auch mit Blick auf das Kreislaufdenken – als Riesenchance, sozial neue Nachbarschaften aufzubauen und Gemeinschaft neu zu denken“, sagt Mai. Der Plan ist, neben Einzel-Wohnmodulen künftig auch komplette Projekte für große Grundstücke anzubieten. Hier soll sich die Gemeinschaft einige Räumlichkeiten teilen, etwa eine Werkstatt, eine Sauna oder den Garten. Was sich auch bei diesem Zukunftsprojekt nicht ändern wird, ist der Anspruch an die hohe Qualität der Wohnofferten. „Wer billig baut, baut teuer“, sagt Mai.

40 Prozent
der Deutschen können sich vorstellen, in einem Tiny House zu wohnen.
Quelle: Statista

11,8 Tonnen
CO2 jährlich spart ein, wer sein 240-Quadratmeter-Haus gegen ein 17 Quadratmeter großes Tiny House eintauscht.
Quelle: Colby Universität

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