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Smart Health – Digitalisierung in der Medizin

Text von Jasmin Oberdorfer
11.06.2024
Nachhaltigkeit

Die Digitalisierung verändert nicht nur das gesellschaftliche Leben und unser Arbeiten. Auch in der Medizin ist sie längst angekommen und nimmt Einfluss auf die Forschung, den Klinikalltag und die Patientenversorgung. 

Etwa 58 Prozent der rund 7,8 Millionen schwerbehinderten Menschen in Deutschland sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts von einer körperlichen Behinderung betroffen. Während bei elf Prozent die Funktion von Armen oder Beinen beeinträchtigt ist, sind vier Prozent blind oder sehbehindert. Ebenfalls vier Prozent leiden unter Schwerhörigkeit, Gleichgewichts- oder Sprachstörungen. Hinzu kommen Krankheiten, die mit kognitiven Beeinträchtigungen einhergehen. So lebten zum Ende des Jahres 2021 in Deutschland beispielsweise fast 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. 

Um Behandlungsmethoden zu verbessern und Geräte zu optimieren, die Betroffenen im Alltag helfen, setzt die Medizin auf Smart Health: Während Künstliche Intelligenz (KI) präzisere Diagnosen ermöglichen, tragen fortschrittliche Sensoren zu einer kontinuierlichen Überwachung von Patienten oder der Verbesserung von Prothesen bei. Gleichzeitig eröffnen 3D-Druck- und Bioprinting-Verfahren neue Perspektiven im Bereich der regenerativen Medizin. 

 

Die Radiologie basiert bislang überwiegend auf einer rein visuellen Bewertung von Bilddaten durch den Arzt
Christiane Lindig, Co-Founderin AIRAmed

Technologie eins: Künstliche Intelligenz in der Medizin 

KI ist in der Lage, enorme Datenmengen zu verarbeiten. Dadurch ergeben sich in der Medizin zahlreiche Einsatzbereiche. Zum Beispiel entwickeln Forschende am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf derzeit eine intelligente Software, die im OP warnen soll, wenn das Skalpell des Chirurgen sensiblen Gewebeschichten zu nahekommt. Bis die Software bei Operationen assistiert, dauert es aber noch ein paar Jahre. 

Schon jetzt erfolgreich angewendet wird KI bei der Auswertung medizinischer Bildaufnahmen: AIRAmed, ein Spin-off des Universitätsklinikums Tübingen, liefert mithilfe von KI präzise Messwerte für die Früh- und Differentialdiagnostik von Krankheiten, die mit einem Rückgang des Hirnvolumens einhergehen, wie zum Beispiel Alzheimer und andere Demenzen. „Die Radiologie basiert bislang überwiegend auf einer rein visuellen Bewertung von Bilddaten durch den Arzt“, sagt Co-Founderin Christiane Lindig. Verglichen mit dem menschlichen Auge sei die Software AIRAscore jedoch in der Lage, Veränderungen im Gehirn schon früher zu registrieren. 

Dazu berechnet sie auf Grundlage von Bilddaten aus der Magnetresonanztomographie (MRT) Volumina verschiedener Gehirnareale und Gehirnsubstanzen und vergleicht sie mit Daten einer Kontrollgruppe. Lindig: „Der Abbau von Nervenzellen im Gehirn beginnt, zum Beispiel bei Alzheimer, schon Jahre bevor sich erste Symptome im Verhalten des Patienten zeigen. Allerdings nimmt das Hirnvolumen ab einem gewissen Alter bei jedem Menschen ab. Daher ist es für Ärzte schwierig, mit dem bloßen Auge zu bewerten, ob Veränderungen noch altersgerecht, normal oder schon auffällig sind.“ Doch diese Früherkennung ist immens wichtig, damit Therapien gestartet und entsprechende Medikamente verabreicht werden können.

Technologie zwei: mehr Gefühl mit Sensoren

Einmal nicht aufgepasst, schon hat man sich am Kaffee die Zunge verbrannt. Zum Glück ist für die meisten von uns der Griff zur heißen Tasse Vorwarnung genug und wir nippen nur vorsichtig am Getränk. Anders ergeht es Trägern von Prothesen: Eine künstliche Hand nimmt die Temperatur der Tasse nicht wahr. Erst der Schmerz im Mund lässt Rückschluss darauf zu. Das könnte sich mit der Smart Skin von Anna Maria Coclite bald ändern. 

Die Forscherin hat am Institut für Festkörperphysik der Technischen Universität Graz eine künstliche Membran aus einem Polymer und Zinkoxid entwickelt, die der menschlichen Haut ähnelt. Sensoren messen gleichzeitig Temperatur, Feuchtigkeit sowie Druck und setzen die Daten in elektronische Signale um. „Genau so funktioniert auch unsere Haut“, erklärte Coclite im Oktober 2022 auf der TEDxVienna-Konferenz. Wie die Signale zum Beispiel von einer mit Smart Skin ausgestatteten Prothese über die Nervenbahnen zum Gehirn gelangen, gilt es noch zu entwickeln. In die andere Richtung läuft der Informationsfluss schon: Intelligente Prothesen wie die von Ottobock setzen Bewegungssignale um, die vom Gehirn an den Unterarm gesendet werden. 

Beim Bioprinting werden Biotinten mittels 3D-Druckverfahren schichtweise zu Gewebestrukturen zusammengesetzt.

Technologie drei: Trommelfelle aus dem 3D-Drucker 

Beim Bioprinting werden Biotinten mittels 3D-Druckverfahren schichtweise zu Gewebestrukturen zusammengesetzt. Die Tinten bestehen aus pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Zellen und Hilfsstoffen, die die Zellen zusammenhalten. Als Klebstoff eignen sich beispielsweise modifizierte Gelatine oder spezielle Bestandteile aus der Braunalge. Nach dem Druck kommt das Konstrukt in einen Inkubator, wo es in einer nährstoffreichen Lösung wachsen kann. Das Ziel: menschliches Gewebe künstlich herstellen.

Professor Michael Gelinsky, Leiter des Zentrums für Translationale Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung an der Technischen Universität Dresden, ist skeptisch, ob es in den nächsten Jahrzehnten gelingen wird, auf diese Weise voll funktionsfähige innere Organe zu drucken: „Ich sehe unter anderem physikalische Grenzen: Für den Druck von Organen mit komplexen Zellstrukturen ist eine hohe Auflösung notwendig.“ Die Folge: Bei großen Objekten, wie Nieren oder Lebern dauert der Druckvorgang sehr lange. „Wenn die letzten Zellen gedruckt sind, könnten die ersten schon abgestorben sein“, sagt Gelinsky. Der Wissenschaftler hält es für wahrscheinlicher, dass zukünftig Spenderorgane von genetisch veränderten Tieren transplantiert werden.

Es gibt aber andere, vielversprechende Anwendungsgebiete für das Bioprinting: Experimente mit Miniaturmodellen wie Mini-Herzen aus dem 3D-Drucker helfen Forschenden, zu verstehen, wie der Körper funktioniert. An gedrucktem Gewebe werden zudem Medikamente getestet. Und auch die Herstellung von Knorpel- und Knochenmaterial für die rekonstruktive Chirurgie macht laut Gelinsky Fortschritte. 
Schon etwas weiter ist die Medizin beim 3D-Druck von Körperteilen aus Kunststoff. In Gelinskys Labor wurde aus nur zehn Mikrometer dünnen Thermoplastfäden ein Trommelfell in der Größe einer Reißzwecke gedruckt.

Es könnte künftig Trommelfelle ersetzen, die bislang aus körpereigenem Knorpel nachgebaut wurden. Gelinsky: „So ersparen wir dem Patienten nicht nur die OP zur Knorpelentnahme. Da das künstliche Trommelfell viel bessere Schwingungseigenschaften hat, hört er damit voraussichtlich auch viel besser.“ Ob der 3D-Nachbau auch im lebenden Organismus funktioniert, muss aber erst noch getestet werden.

61 Prozent 
der krankenversicherten Deutschen sehen die Nutzung von Künstlicher Intelligenz in der Medizin als Chance.
Quelle: Deloitte

14,6 Milliarden US-Dollar
Beträgt der weltweite Umsatz mit KI im Gesundheitssektor. 2028 soll die Zahl auf rund 103 Milliarden US-Dollar steigen. 
Quelle: Statista

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