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Nachhaltigkeit im Baukastenprinzip

Text von Sina Hoffmann
18.11.2025
Nachhaltigkeit

Lange Planungszeiträume, steigende Baukosten und Klimakrise – der Bausektor steht vor großen Herausforderungen. Serielles Bauen gilt als vielversprechende Lösung. Ein französisches Unternehmen zeigt: Bauzeiten und CO₂-Emissionen von Häusern können um mehr als die Hälfte sinken. Auch in Deutschland gewinnt diese nachhaltige Bauweise an Bedeutung.

Die beiden Zahlen sind gewaltig: Rund 320.000 neue Wohnungen werden jährlich in Deutschland benötigt und bundesweit gelten etwa 42 Prozent der bestehenden Immobilien als sanierungsbedürftig. Für den Bausektor gibt es also viel zu tun. Mit konventionellen Bauweisen werden die Herausforderungen jedoch kaum zu bewältigen sein – zu langsam, zu teuer, zu ressourcenintensiv sind die etablierten Prozesse. Und sie sind zu wenig nachhaltig: Auf das Konto des Gebäudesektors gehen knapp ein Drittel der gesamten CO₂-Emissionen, so das Umweltbundesamt. Die Lösung könnte in der seriellen Bauweise liegen: Module werden industriell vorgefertigt, zur Baustelle transportiert und dort nur noch zusammengesetzt. So lassen sich Wohnungen schneller, günstiger und mit weniger Materialeinsatz errichten oder sanieren – und damit auch mit geringeren Emissionen. Das französische Start-up Muance zeigt, wie serielles Bauen dank biobasierter Materialien sogar noch klimafreundlicher sein kann.

Serielles Bauen: nachhaltige Hausmodule aus Miscanthus

Für seine klimafreundlichen Module nutzt das 2020 gegründete Unternehmen CO₂-armen Leichtbeton kombiniert mit einem eigens entwickelten Dämmstoff aus Miscanthus-Fasern. Die Vorteile der Pflanze: Sie wächst schnell, bindet CO₂, kommt ohne Dünger und Pestizide aus. Auch in Deutschland beschäftigen sich Forscher mit dem natürlichen Baustoff, zum Beispiel das Innovations-Netzwerk Bio Innovation Park Rheinland e. V.. „Diese Methode wird aber bisher kaum in großem Maßstab in der Praxis angewendet – wir gehören zu den Pionieren auf diesem Gebiet“, erklärt Gründer und CEO Lionel Morenval. Er hat nachgerechnet: Der CO₂-Fußabdruck eines Muance-Gebäudes ist um bis zu 60 Prozent geringer im Vergleich zur herkömmlichen Bauweise. Möglich wird das nicht nur durch innovative Materialien, sondern auch durch kurze Transportwege – alle Baustoffe stammen aus einem Umkreis von 50 Kilometern rund um den Firmensitz im nordostfranzösischen Vatry.

Das Stichwort Nachhaltigkeit prägt auch die Abläufe in der Muance-Fabrik selbst. Für jedes Bauprojekt programmieren die Mitarbeiter einen digitalen Zwilling. So lässt sich nicht nur die Qualität der Module optimieren, sondern auch der Materialeinsatz genau vorhersagen. Das sorgt, ganz nebenbei, für finanzielle Planungssicherheit. „Unsere Module werden im Werk bis zu 85 Prozent vorgefertigt“, erklärt Morenval. Auf der Baustelle müssen sie meist nur noch verbunden und montiert werden – größere Anpassungsarbeiten vor Ort fallen selten an.

Unsere Module werden im Werk bis zu 85 Prozent vorgefertigt.
Lionel Morenval, Gründer und CEO Muance 

Der gesamte Bauprozess ist zudem unabhängig von schlechter Witterung oder von anderen Gewerken. Das verkürzt die Bauzeit um die Hälfte, wie etwa bei einem Projekt in Fismes, einer Kleinstadt im Département Marne: Dort baute Muance im Jahr 2025 14 zweistöckige Einfamilienhäuser für die soziale Wohngesellschaft Plurial Novilia. Jedes Haus wurde innerhalb von nur drei Arbeitstagen fertiggestellt.

Klimafreundliche Modernisierung mit wenig Lärm und Schmutz

Nicht nur bei Neubauten, auch bei der Sanierung von Bestandsgebäuden eröffnet die serielle Bauweise neue Möglichkeiten. Mit dem Kompetenzzentrum Serielles Sanieren entwickelt die Deutsche Energie-Agentur (dena) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie einen Markt für serielle Sanierungslösungen nach dem Energiesprong-Prinzip, wonach Gebäude in wenigen Wochen klimafreundlich und wirtschaftlich modernisiert werden sollen. Auch dabei kommen möglichst biobasierte Materialien wie Holz, Stroh, Hanf und perspektivisch weitere schnell nachwachsende Rohstoffe wie Miscanthus zum Einsatz. Die sanierten Häuser sollen idealerweise einen Net-Zero-Standard erreichen, also so viel Energie erzeugen, wie sie verbrauchen. „Die Bewohner können während der Arbeiten in ihren Wohnungen bleiben, die Belastungen durch Lärm und Schmutz halten sich auf der Baustelle in Grenzen“, beschreibt Nico Gorsler, Teamleiter am Kompetenzzentrum Serielles Sanieren der dena, die Vorteile.

Sanieren im Tagestakt mit seriell gefertigten Modulen

Ein Pilotprojekt, das nach der Energiesprong-Methode saniert wurde, steht in Mecklenburg-Vorpommern: Hier hat die Firma Halm erstmals ein Haus mit vorgefertigten Holz-Stroh-Modulen saniert. Die vollständig kreislauffähige Gebäudehülle aus Strohdämmung und Holzrahmen schont Ressourcen und bindet Emissionen – pro Quadratmeter Wand werden etwa 80 Kilogramm CO₂ gespeichert. Dank digitaler Planung konnte die neue Fassade innerhalb von drei Tagen am Altbau montiert werden.

 

Tatsächlich gelten etwa 30 Prozent des deutschen Gebäudebestands als geeignet für serielle Sanierungen.

Seit dem Start der Energiesprong-Initiative 2017 wurden bundesweit rund 500 Projekte auf den Weg gebracht – das entspricht 25.000 Wohneinheiten. Vor allem das Programm Bundesförderung für effiziente Gebäude sorgt seit seiner Einführung im Jahr 2023 für Aufschwung: Innerhalb von zwei Jahren stieg der Anteil serieller Sanierungen bei den EH40- und EH55-Sanierungen von knapp zwei auf 23 Prozent. „Wir stehen aber noch am Anfang“, betont Gorsler. Tatsächlich gelten etwa 30 Prozent des deutschen Gebäudebestands als geeignet für serielle Sanierungen – das sind rund sieben Millionen Wohneinheiten. 

Mehr Dynamik für die Bauwende und die Nachhaltigkeit

Serielle Bau- und Sanierungsmethoden bringen also Tempo in die Bauwende. Und nachwachsende Rohstoffe, kreislauffähige Materialien und effiziente Bauplanungen sorgen für mehr Nachhaltigkeit. Dennoch werden viele Projekte ausgebremst. „Die beiden größten Herausforderungen sind die Kosten und die bürokratischen Regelungen, insbesondere das Vergaberecht“, sagt Gorsler. 

Er nennt zwei Beispiele aus der Praxis: Kommunale und landeseigene Wohnungsunternehmen müssen ihre Bau- und Sanierungsaufträge in vielen kleinen Losen ausschreiben. Was als Wettbewerbsschutz für kleinere Anbieter gedacht ist, führt in der Regel zu langwierigen Verfahren, wenn man mit seriellen Sanierungsprojekten von der Einzel-Losvergabe abweichen möchte. Außerdem erschweren unterschiedliche Landesbauordnungen die Skalierung und damit den Wissenstransfer: In dem einen Bundesland verfahrensfrei durchführbare serielle Sanierungsmaßnahmen können in einem anderen Bundesland einen langwierigen Baugenehmigungsprozess erfordern. Darüber hinaus muss eine bereits geprüfte Fassadenlösung im nächsten Bundesland oft wieder von Grund auf geprüft werden, das kostet Zeit und Geld. „Damit nachhaltige Lösungen künftig zum Standard werden, braucht es mehr politischen Rückenwind, etwa durch gezielte Förderungen und praxisnahe Regeln“, sagt Gorsler. Er ist sich sicher: Nur so kann in den kommenden Jahren ausreichend sozialer, nachhaltiger und klimagerechter Wohnraum entstehen.

11,5 Prozent
der Wohnungen in Deutschland werden seriell gebaut. 
Quelle: BBSR

30 Tonnen
CO2 bindet die Pflanze Miscanthus pro Hektar Anbaufläche.
Quelle: Landwirtschaftskammer NRW

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