Klimaneutrale Krankenhäuser?
Foto: Camilo Jimenez, Unsplash
Der Klimawandel schadet der Gesundheit – und das Gesundheitswesen trägt mit seinen Emissionen erheblich zum Klimawandel bei. Immer mehr Kliniken und Medizintechnikhersteller suchen daher nach nachhaltigen Lösungen: Die einen optimieren Behandlungen oder recyceln Narkosegase, andere entwickeln energiesparende Technik.
Der Klimawandel macht Menschen krank: Hitzetage belasten den Kreislauf, Luftverschmutzung schlägt auf die Lunge, neue Krankheiten breiten sich aus – und ausgerechnet der Gesundheitssektor trägt nicht unerheblich zu den deutschen Treibhausgasemissionen bei. Er verursacht jährlich rund 68 Millionen Tonnen CO₂, das entspricht etwa sechs Prozent des Kohlenstoffdioxidausstoßes in Deutschland. Trend: eher zunehmend. Aber Beispiele aus der Praxis zeigen, dass es im Klinikalltag zahlreiche Ansatzpunkte gibt, um nachhaltiger zu werden.
Klinikalltag im Einklang mit dem Klimaschutz
Um Klimaschutzmaßnahmen effizient umzusetzen, braucht es zunächst verlässliche Zahlen. Das Universitätsklinikum Freiburg hat deshalb gemeinsam mit dem Öko-Institut und mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt den CO₂-Rechner CAFOGES für Krankenhäuser entwickelt – ein frei zugängliches Tool, Grundlage des KliMeG-Rechners, der bereits über 200 Einrichtungen unterstützt. So können Kliniken zum Beispiel Emissionen aus Stromverbrauch, Wärme, Abfall und Materialbeschaffung nach international anerkanntem Standard erfassen.
Die Erfahrung aus Freiburg zeigt: Es lohnt sich. Dank technischer Umstellungen konnte das Klinikum seit 2019 rund 40.000 Tonnen CO₂ einsparen. Allein die zentrale Wäscherei spart jährlich 712 Tonnen CO₂ und nicht zuletzt 200.000 Euro Betriebskosten. Im Bereich Ernährung haben gezielte Maßnahmen zur Reduktion von Lebensmittelabfällen zu 65 Prozent weniger Speiseabfall geführt und über 20 Tonnen CO₂ eingespart. „Das umfassende Messinstrument aus Freiburg lässt Berechnungen für direkte und indirekte Emissionen eines Klinikums zu, jedoch bestehen im Bereich der Lieferketten noch große Wissenslücken“, sagt Andy Maun, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Freiburger Universitätsklinikum.
Medizinische Geräte optimieren, Altgeräte aufarbeiten
Dabei spielen gerade Pharmahersteller, Zulieferer und Medizintechnikhersteller eine Schlüsselrolle für die Klimabilanz einer Gesundheitseinrichtung. Bildgebende Systeme wie CT- und MRT-Scanner sind nicht nur im Betrieb echte Stromfresser – auch für ihre Herstellung benötigt man wertvolle Rohstoffe, deren Gewinnung und Verarbeitung ebenfalls wieder CO2-Emissionen freisetzen. Eine Lösung: Kreislaufwirtschaft. „Wer etwa ein aufgearbeitetes CT einsetzt, kann bis zu 86 Prozent der CO2-Emissionen des Materials einsparen. Das entspricht rund 24 Tonnen im Vergleich zu einem neuen System“, sagt Katharina Hesels, Head of Business Line Asset Lifecycle Development bei Siemens Healthineers. Während die EU entsprechende Normen 2019 auf den Weg gebracht hat und Deutschland zu den Vorreitern beim Einsatz aufgearbeiteter Systeme zählt, liegt der weltweite Anteil gebrauchter Geräte bislang bei nur etwa fünf Prozent. Grund dafür sind oft regulatorische Hürden.
Fortschritte gibt es aber auch bei der Technik von Neugeräten. Effizientere Betriebsmodi sorgen dafür, dass moderne Geräte nicht rund um die Uhr laufen. Dank einfacher Mittel wie einer Zeitschaltuhr sind die Geräte trotzdem zu Schichtbeginn einsatzbereit. Siemens Healthineers zufolge reduzieren zudem Innovationen wie etwa die Dry-Cool-Technologie den Bedarf an Helium am MRT von bisher bis zu 1.500 Litern auf weniger als einen Liter. Das zur Magnetkühlung eingesetzte Helium ist zwar kein Treibhausgas, aber ein Nebenprodukt der Erdgaserzeugung, auch der Transport ist energieintensiv. Künstliche Intelligenz wiederum verkürzt die Scanzeiten bei MRT-Untersuchungen um bis zu 60 Prozent: weniger Scanzeit bedeutet niedrigeren Energieverbrauch. Das senkt nicht nur den ökologischen Fußabdruck und entlastet Patienten, sondern spart auch Geld – ein gewichtiges Argument in einem Gesundheitssystem unter Kostendruck.
Ohne Qualitätseinbußen: Ressourcensparen bei der Dialyse
Um eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu gewährleisten, aber trotzdem Ressourcen zu sparen, beschäftigen sich Mitarbeitende der Märkischen Kliniken in Lüdenscheid seit vielen Jahren mit der Umstellung auf klimafreundliche Prozesse. Zum Beispiel in der Nephrologie: „Wir wollten wissen, ob wir bei gleichbleibender medizinischer Qualität Ressourcen sparen können, indem wir Temperatur und Wassermenge minimal reduzieren“, erklärt Jan Galle, Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren. Immerhin verbraucht eine Dialyse rund 150 Liter auf 37 Grad erhitztes Wasser, hinzu kommt die energieintensive Reinigung der Geräte.
Am Klinikum durchgeführte Studien zeigen: Die Qualität der Behandlung bleibt auch mit sparsamerem Ressourceneinsatz gewährleistet. „Wir waren auf die Ergebnisse ziemlich stolz und haben sie auch kommuniziert“, erinnert sich Galle. Doch Patientenverbände äußerten schnell Bedenken um die Patientensicherheit. Das Team musste klarstellen: Die Qualität der Behandlung steht immer an erster Stelle.
Klimaschutz im OP: Narkosegas-Recycling
Eine weitere Emissionsquelle im Klinikbetrieb findet sich direkt im OP-Raum und auf der Intensivstation: Narkosegase. Mitunter sind sie sogar deutlich klimaschädlicher als CO₂. „Bisher gelangt ein Großteil dieser Gase ungefiltert in die Atmosphäre“, sagt Stefan Wirtz, Chefarzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin und perioperative Schmerztherapie am Helios Klinikum Bad Saarow. Um das zu vermeiden, haben die Helios Kliniken deshalb Recyclingsysteme mit Aktivkohlefiltern eingeführt. Sie fangen die Gase direkt am Gerät auf, um sie zu recyceln, wiederzuverwenden und die Emissionen so um 20 Prozent zu senken.
Für das Klinikpersonal ändert sich wenig: Den Umgang mit den Filtern und die jährliche Sensorprüfung lernen die Angestellten unkompliziert in Schulungen. Auch die Patienten reagieren positiv: „Sie bekommen höchste medizinische Sicherheit und begrüßen, dass wir gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck der Behandlung verkleinern“, so Wirtz.
Ansätze gibt es viele, doch Standards sowie knappe personelle und finanzielle Ressourcen bremsen Veränderungen. Doch schon kleine Maßnahmen könnten die Emissionen deutlich senken. Der Lüdenscheider Nephrologe Jan Galle räumt mit einer Maximalvorstellung auf: „Ein Krankenhaus wird nie völlig klimaneutral sein.“ Aber zumindest ein bisschen klimaneutraler ist möglich.
7 Stunden
Vollnarkose mit Desfluran entsprechen dem CO₂-Ausstoß einer 7.850 Kilometer langen Autofahrt.
Quelle: Berliner Charité
25 Tonnen
Müll fallen an der Berliner Charité täglich an.
Quelle: Berliner Charité
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