Beton – CO2-Schleuder oder CO2-Speicher?

Foto: Oliver Ulerich, Unsplash
Beton ist unverzichtbar – und schlecht fürs Klima. Doch die Baubranche arbeitet an Lösungen: KI reduziert den Klinkeranteil im Zement und Recyclingbetriebe zeigen, wie Abbruchbeton CO2 dauerhaft binden kann.
Bauen mit Beton ist ein Problem fürs Klima. Rund 34 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen stammen aus dem Bau- und Gebäudesektor, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen. Aber einfach ersetzen können wir den Baustoff nicht. Beton hat Eigenschaften, die ihn in manchen Bereichen unverzichtbar machen: Das Gemisch aus Zement, Sand oder Kies und Wasser ist einigermaßen flexibel formbar, aber im trockenen Zustand dauerhaft stabil – heutige Bauingenieure schwärmen von der Langlebigkeit römischen Betons. Was also tun? Man kann die Herstellung CO2-ärmer gestalten. Oder man nutzt Beton als CO2-Speicher.
Zement ist ein Klimakiller
Am ungünstigen CO2-Fußabdruck ist der Zement schuld – ein Gemisch aus Zementklinker und Zusatzstoffen wie etwa Gips. Beim Brennen des Zementklinkers, der wiederum je nach Sorte größtenteils aus Kalkstein besteht, entstehen direkte Kohlenstoffdioxid-Emissionen. Das heißt: Wenn man Zement herstellen will, produziert schon der chemische Prozess an sich CO2 als Abfallstoff. Hinzu kommen Treibhausgas-Emissionen durch den Einsatz fossiler Brennstoffe. Schließlich ist eine Temperatur von etwa 1.450 Grad Celsius notwendig, um Zementklinker zu brennen. Diese Kombination ist ein wahrer Klimakiller: In Deutschland entstehen bei der Produktion einer Tonne Zement rund 600 Kilogramm CO2.
Um dem entgegenzuwirken, hat das Berliner Start-up Alcemy eine KI entwickelt. Sie analysiert chemische, mineralogische und partikelbezogene Daten und erstellt Echtzeit-Qualitätsprognosen. So können die Hersteller den Anteil des Zementklinkers am Endprodukt auf ein Optimum senken, ohne dass die Festigkeit darunter leidet. Seit 2024 ist der CO2-verminderte Zement in Deutschland baurechtlich zugelassen und wird zum Beispiel bei Bauprojekten in Köln und Düsseldorf verwendet.
Aus Betonschutt wird CO2-Speicher
Jedes Kilogramm Treibhausgas, das nicht in die Atmosphäre gelangt, zählt – aber was tun mit Emissionen, die nicht vermeidbar sind? Für Sebastian Rauscher liegt ein Teil der Antwort im Beton, genauer gesagt im Abbruchbeton. Der Bauingenieur ist der Überzeugung: „Aus klimatechnischer Sicht ist es Verschwendung, das CO2-Aufnahmepotenzial von Beton nicht zu nutzen.“

Die Alcemy-Gründer Leopold Spenner (r.) und Dr. Robert Meyer (l.), Foto: Alcemy
Selbstverständlich, man könnte das Material als Füllmasse in Löcher kippen. Aber als Speicher ist Beton viel nützlicher. Rauscher ist Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung beim Baustoffrecycler Feeß in Kirchheim unter Teck. Das mittelständische Unternehmen gehört zu den Vorreitern der Branche in puncto Kreislaufwirtschaft: „Wir arbeiten daran, Wertschöpfungsketten ein bisschen effizienter zu gestalten und beschäftigen uns mit Materialien, die aktuell noch nicht hochwertig recycelt werden“, sagt Rauscher.
Das Zauberwort, um aus Betonschutt wieder einen Rohstoff mit Klimamehrwert zu machen, lautet Karbonatisierung. Bei diesem chemischen Prozess nimmt der Zement im Beton das Kohlenstoffdioxid in der Luft auf und reagiert zu Kalkstein und Wasser. Es braucht dafür nur das CO2 aus der Luft. In der Baubranche ist dieser Prozess eigentlich gefürchtet. Denn an Bauwerken aus Beton führt genau diese Reaktion zu Schäden: Der Beton beginnt abzublättern, das zuvor umhüllte Stahlgerüst ist nicht mehr vor Korrosion geschützt, das gesamte Bauteil verschleißt, die Stabilität leidet. Je mehr Kohlenstoffdioxid mit dem Beton reagiert, desto schneller läuft diese Reaktion ab.
Flüssiges CO2 für klimafreundlicheren Zement
Lässt man Beton einfach an der Luft liegen, passiert das automatisch, aber es dauert relativ lange. Beim Baustoffrecycler Feeß läuft seit Februar 2025 eine Anlage, die den Prozess beschleunigt und aus dem Schutt neues Material für den Straßenbau oder für die Herstellung von Zement macht. „In unserer Karbonatisierungsanlage besprühen wir den Abbruchbeton mit reinem CO2 – innerhalb weniger Stunden mineralisiert es in den Poren des Betons so zu Kalkstein“, erklärt Rauscher. Das flüssige Kohlendioxid stammt aus Biogasanlagen aus dem nahen Elsass und wird so dauerhaft gebunden. „Pro Tonne Recyclingmaterial speichern wir auf diese Weise bis zu 25 Kilogramm Kohlendioxid, das sonst in die Luft geblasen worden wäre“, erklärt Rauscher. Je feiner die Körnung des Kalksteins, desto höher ist seine CO2-Speicherkapazität.

Baustoffrecycler Feeß, Foto: Feeß
Feeß hat für die mit Unterstützung des baden-württembergischen Umweltministeriums gebaute Anlage einen niedrigen Millionenbetrag investiert. Die Anlage trage sich wirtschaftlich knapp, viel Gewinn mache das Unternehmen damit noch nicht, sagt Rauscher. Der gewonnene Kalkstein ist zwar ein hochwertiger Baustoff, aber auch etwas teurer, und der Markt ist aktuell nicht bereit, höhere Preise dafür zu zahlen. Mit einem höheren Preis für CO2-Zertifikate könnte sich das ändern. Rauscher sieht auch öffentliche Auftraggeber in der Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen: „Wenn die öffentliche Hand Recyclingmaterial in ihre Ausschreibungen aufnimmt, hätte das sicher Signalwirkung.“
Dem Bauingenieur und seinem Arbeitgeber geht es jedoch nicht allein um die finanzielle Bilanz des Unternehmens. Es geht ihnen auch um die Umweltbilanz des Baumaterials Beton. Die Karbonatisierung, sagt Rauscher, funktioniere in industriellem Maßstab, die gewonnenen Produkte seien teils hochwertiger als Neumaterial. Auf Veranstaltungen erklärt der Bauingenieur das auch regelmäßig dem Fachpublikum. Er komme sich gelegentlich schon wie ein Wanderprediger vor, sagt er, aber das mache nichts: „Mein Job macht mir Spaß. Und es ist mir einfach wichtig, den Leuten zu erklären, wie wir CO2 aus der Atmosphäre holen können – und zu zeigen, dass es funktioniert.“
46 Prozent
beträgt der Anteil von Beton am in Deutschland verwendeten Baumaterial.
Quelle: Nationales Materialkataster Deutschland
1 Prozent
beträgt der Anteil nachwachsender Materialien am in Deutschland verwendeten Baumaterial.
Quelle: Nationales Materialkataster Deutschland

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