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Klimaschutz – wie gut ist Deutschland wirklich?

Text von Sina Hoffmann
08.05.2024
Nachhaltigkeit

Das Umweltbundesamt hat die Emissionsbilanz für das Jahr 2023 vorgelegt. Das Ergebnis: In Deutschland sind die Emissionen im Rekordtempo gesunken – so schnell wie noch nie in den vergangenen 30 Jahren. Ist Deutschland nun Europas Muster-Klimaschützer?

Endlich einmal eine gute Bilanz: 673 Millionen Tonnen CO2-Emissonen vermeldete das Umweltbundesamt für das Jahr 2023 . Im Jahr zuvor waren es noch 750 Millionen Tonnen. Damit konnte Deutschland deutlich größere Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2045 erzielen als gedacht – und von der Bundesregierung geplant. Sogar das ehrgeizige Zwischenziel, die Emissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent auf 438 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 zu senken, scheint nun erreichbar. Doch der Bericht des Umweltbundesamts zeigt auch, dass die guten Zahlen nur zu einem kleinen Anteil auf nachhaltige, langfristig wirkende Klimaschutzmaßnahmen zurückzuführen sind. Für den Großteil der CO2-Einsparungen sind laut Think Tank Agora Energiewende aktuelle Krisen und deren Folgeeffekte wie Inflation, Produktionsrückgänge und Stromeinsparungen verantwortlich. Mit anderen Worten: Ohne Krisen sind die Klimaziele immer noch kaum erreichbar.

Licht und Schatten der Emissionsbilanz

Die folgenden Infografiken lenken den Blick auf die wichtigsten Ergebnisse der Emissionsbilanz und zeigen, welche Wirtschaftsbereiche für den „Erfolg“ verantwortlich sind – und welche nicht:

 

 

Im Vergleich zu 2022 sind die CO2-Emissionen in Deutschland insgesamt um 10,1 Prozent auf 673 Millionen Tonnen gesunken. In allen sechs untersuchten Sektoren wurde 2023 Treibhausgas eingespart. Dabei haben vier Sektoren ihre Klimaziele für 2023 sogar übererfüllt. Die Bereiche Verkehr und Gebäude hängen jedoch zurück und haben die gesetzten Ziele erneut verfehlt.

 

 

Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung betrug im Jahr 2023 56 Prozent – so viel wie nie zuvor. Gleichzeitig sank der Anteil fossiler Energieträger an der Stromerzeugung auf ein Rekordtief. Die Stromproduktion aus Erneuerbaren stammt vor allem aus der Solarenergie: So wurden im vergangenen Jahr mehr als eine Million neue Photovoltaikanlagen installiert – ein Rekordwert.

 

 

Im Jahr 2023 ist die Stromproduktion in Deutschland gegenüber 2022 um 11,8 Prozent zurückgegangen. Daher hat Deutschland deutlich mehr Strom aus insgesamt elf europäischen Ländern importiert und weniger exportiert. Laut Statistischem Bundesamt wurden im zweiten Quartal 2023 7,1 Milliarden Kilowattstunden Strom mehr ein- als ausgeführt – was eng mit der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke im vergangenen April zusammenhängt, denn die drei Meiler produzierten in etwa diese Menge Strom. Die Hälfte der Importe stammte aus erneuerbaren Quellen und kam vor allem aus Frankreich. Ein weiterer Grund für die rückläufige Stromproduktion ist, dass Wirtschaft und Privatverbraucher aufgrund der Krisen weniger Strom verbraucht haben.

Wie der deutsche Strommarkt funktioniert, hat Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, im Interview mit der Bethmann Bank Tenor erklärt.

 

 

Der Landwirtschaftssektor ist, was seine Emissionsbilanz angeht, auf einem guten Weg, und das hat zwei Gründe: Zum einen halten Landwirte weniger Tiere, weil immer mehr Verbraucher auf gute Haltung achten oder sogar komplett auf Fleisch verzichten. Zum anderen nutzen immer weniger Bauern synthetischen Dünger, der nach der Austragung auf den Feldern große Mengen an umweltschädlichem Lachgas freisetzt – fast zwölf Prozent der landwirtschaftlichen Flächen werden nun ökologisch bewirtschaftet.

 

 

Der große Emissionsrückgang in der Industrie wird durch die negative konjunkturelle Entwicklung und die gestiegenen Herstellungskosten sowie durch Produktionsrückgänge bestimmt. Lediglich 15 Prozent der Einsparungen im Vergleich zu 2022 sind laut einer Berechnung von Agora auf nachhaltige Veränderungen zurückzuführen. Der Großteil geht auf kurzfristige Effekte wie krisenbedingte Produktionsrückgänge zurück. Insbesondere die Produktion der energieintensiven Industrie brach um elf Prozent ein.

 

 

Der Verkehrssektor hat bereits zum dritten Mal in Folge die vorgegebenen Jahresziele überschritten. Ein Grund: Während die ⁠Fahrleistung⁠ im Straßengüterverkehr leicht abgenommen hat, hat der Pkw-Verkehr 2023 sogar leicht zugenommen. 

Elektroautos machten 2023 an den Gesamt-Neuzulassungen nur einen Anteil von 19 Prozent aus. Durch die gestrichene Kaufprämie ist der Anteil Anfang 2024 sogar auf zwölf Prozent abgesunken. Um das von der Bundesregierung gesetzte Ziel zu erreichen, bis zum Jahr 2030 etwa 15 Millionen Elektroautos auf die Straßen zu bekommen, müsste der Anteil an den Neuzulassungen schon jetzt rund 90 Prozent betragen.

 

 

Eine effiziente und naheliegende politische Maßnahme im Verkehrssektor wäre die Einführung eines Tempolimits. Immerhin auf 70 Prozent des insgesamt 13.000 Kilometer langen deutschen Autobahnnetzes gibt es derzeit noch keine Geschwindigkeitsbegrenzungen. 

 

 

Ein Blick auf mögliche Emissionseinsparungen, die bis zum Jahr 2030 erreicht werden könnten, stimmt positiv: Die vier Sektoren, die bereits jetzt gut dastehen, werden ihre Ziele laut Prognose weiterhin übererfüllen. Obwohl die Sektoren Verkehr und Gebäude ihre Klimaziele verfehlen – sollte die Politik keine weiteren Maßnahmen treffen –, erwartet das Umweltbundesamt sektorübergreifend eine Übererfüllung der Ziele von 47 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Die Prognose des vergangenen Jahres wies noch eine Verfehlung von 331 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent aus. 

Warum die neuen Emissionsprognosen für das Jahr 2030 nun auf einmal so gut ausfallen, hat der Think Tank Agora aufgeschlüsselt: Demnach gehen nur 20 Prozent der Einsparungen auf nachhaltigen Klimaschutz zurück. Der größte Teil hängt mit den Auswirkungen der aktuellen Krisen zusammen (37 Prozent). Zum Beispiel geht das Umweltbundesamt bei der Berechnung der Treibhausgas-Projektionen im Industriesektor davon aus, dass die Industrie mindestens bis zum Jahr 2028 mit Konjunktur- und Produktionsrückgängen zu kämpfen haben wird. Sollte sich die Wirtschaft schneller erholen, werden die Ziele allerdings verfehlt.

Copyright Bilder: wortwert – stock.adobe.com

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