„Jede zusätzliche Solaranlage stabilisiert den Strompreis“
Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, erklärt im Interview, wie der deutsche Strommarkt funktioniert und was sich in den nächsten Jahren verändern wird.
Herr Quaschning, viele finden die Strompreise in Deutschland zu hoch. Wie setzen sich diese eigentlich zusammen?
Volker Quaschning: Der Haushaltsstrompreis hat verschiedene Komponenten. Eine davon sind die Kosten für die Stromerzeugung – diesen relativ geringen Anteil erhalten die Kraftwerke. Dazu kommen die Netzentgelte für den Transport des Stroms. Neben der Mehrwertsteuer gibt es noch zahlreiche weitere Umlagen und Abgaben, die einen hohen Anteil ausmachen. Alles zusammen ergibt einen Preis, der bei mehr als 30 Cent pro Kilowattstunde liegt. Damit ist unser Strom im europäischen Vergleich recht teuer.
Wann sollte ich den Anbieter wechseln?
Zunächst einmal: Anbieter zu vergleichen ist immer gut. In der Regel bietet der Grundversorger nicht die günstigsten Konditionen. Ein monatliches Strompreis-Hopping ist aber nicht sinnvoll – das bringt am Ende nur wenige Euro Ersparnis und ist sehr aufwändig. Eine Bindung von einem Jahr oder länger halte ich dagegen für vernünftig, da - mal abgesehen von der Energiekrise - die Schwankungen innerhalb eines Jahres normalerweise gering sind. Ich empfehle aber, nicht nur auf den Preis zu achten, sondern auch auf die Qualität, und einen Versorger mit Ökostrom zu wählen. Nur so bringen wir die Energiewende voran.
Aber ist Ökostrom wirklich grün?
Bei großen Anbietern ist das schwer nachzuvollziehen. Die haben meist einen Tarif, der grünen Strom verspricht, und einen zweiten, der dreckigen Strom beinhaltet. Der Strom kann dann beliebig hin- und hergeschoben werden. Nur unabhängige, grüne Stromanbieter setzen sich zu 100 Prozent für Nachhaltigkeit ein - eine gute Übersicht finden Sie auf Utopia . Ökostromtarife haben den Vorteil, dass sie oft sogar günstiger sind und zum Beispiel in der vergangenen Energiekrise deutlich stabiler waren, weil sie einen höheren Anteil an erneuerbaren Energien enthalten und zu diesem Zeitpunkt vor allem Erdgas teuer war.
Sie sprechen es schon an: Der Preis an der Strombörse kann stark schwanken. Lohnt sich ein dynamischer Stromtarif?
Die Preise richten sich immer danach, wie viel Strom erzeugt werden kann. Daher schwanken sie stark. Auf den Punkt gebracht heißt das: Wenn der Wind weht und die Sonne scheint, ist der Strompreis niedrig und die Versorger können günstig einkaufen. Bei wenig Wind und Sonne müssen Kraftwerke einspringen und der Strom wird teurer. Bislang schließt der Großteil der Privatkunden einen Festpreistarif ab. So kostet jede Kilowattstunde immer gleich viel.
In Zukunft …
… werden die Preisschwankungen zunehmen, weil der Anteil der erneuerbaren Energien steigt. Der variable Tarif wird dann zum Standard, da die Stromanbieter die Schwankungen an die Kundinnen und Kunden durchreichen wollen. Daher müssen die Menschen ihr Verhalten anpassen, also zum Beispiel die Wäsche waschen und das Auto aufladen, wenn die Sonne scheint. Das hilft dann nicht nur dem Einzelnen, seine Stromkosten zu senken, sondern auch dem Gesamtsystem, weil wir weniger teure Speicher bauen müssen.
Wie wird sich der Strompreis langfristig entwickeln?
Die Energiewende – damit meine ich wirklich jedes Windrad und jede Solaranlage – sorgt dafür, dass sich der Strompreis stabilisiert. Dafür müssen wir aber zunächst Netze und Speicher ausbauen, also investieren. Daher werden die Preise in nächster Zeit steigen. Wenn wir die Energiewende vollzogen haben und das Netz mit 100 Prozent erneuerbaren Energien läuft, werden die Strompreise stabil bleiben und sich nicht mehr verändern. Und wir sind unabhängig von Ereignissen, die auf der Welt passieren, da wir unseren eigenen Strom produzieren.
Werden die zunächst steigenden Preise die Energiewende nicht ausbremsen?
Ich denke nicht. Wir haben mittlerweile ganz viele Möglichkeiten, wie sich die Menschen an der Energiewende beteiligen können – mit eigenen Solaranlagen auf dem Balkon oder durch ihr Engagement bei Energiegenossenschaften. Dadurch steigt die Akzeptanz, das sieht man auch in Umfragen. Wenn ich meinen Strom selbst produziere und so meinen Computer auflade, habe ich direkt eine positive Assoziation. Anders sieht es aus, wenn Investoren große Windparks bauen und der Strom für mich teurer wird, dann habe ich natürlich eher eine negative Assoziation mit der Energiewende. Unterm Strich wird es immer Menschen oder auch Parteien geben, die sagen, dass sie keine Energiewende wollen.
Sollten wir weiter aus anderen Ländern Energie importieren?
Innerhalb der EU ist es sinnvoll, Strom hin und her zu transportieren. Das reduziert die Kosten, da es günstiger ist, Strom zu transportieren als zu speichern. Der Import von fossilen Energieträgern wie Öl, Kohle oder Gas ist hingegen risikoreich aufgrund der Preisschwankungen und weltweiten Krisen. Je unabhängiger wir von diesen Importen sind, desto stabiler sind auch die Preise für unsere Energieversorgung.
Welche Rolle spielen der Kohle- oder der Atomausstieg?
Die Kernenergie ist nicht wirklich kompatibel mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, weil Kernkraftwerke möglichst rund um die Uhr laufen sollen. Daher denke ich, dass die Kernenergie früher oder später weltweit zum Auslaufmodell wird. Der Blick nach Großbritannien zeigt auch, dass es sehr teuer ist, neue Atomkraftwerke zu bauen. Bei der Kohle muss man differenzieren, da wir sie im Moment noch brauchen. Wenn ich Kohle durch Erdgas ersetze, ist für den Klimaschutz nicht viel gewonnen, da auch Gaskraftwerke viele Treibhausgase verursachen. Es ist also sinnvoll, diese schnellstmöglich durch erneuerbare Energien zu ersetzen.
Was kann ich tun, damit der Strom für mich günstiger wird?
Ich empfehle eine eigene Solaranlage, um selbst Strom zu produzieren. Je größer der Anteil der Solarenergie ist, desto stabiler sind auch meine Energiepreise und desto unabhängiger bin ich. Jeder, der in eine Solaranlage investiert, trägt dazu bei, dass diese Erde lebenswert bleibt. Man kann allerdings nicht erwarten, mit einer Solaranlage komplett autark zu sein. Im Winter muss man noch Strom zukaufen.
Zur Person:
Volker Quaschning ist Ingenieurwissenschaftler und seit 2004 Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Der 54-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, Aufklärungsarbeit zum Thema erneuerbare Energien und Klimaschutz zu leisten. In verschiedenen Fachbüchern wie „Erneuerbare Energien und Klimaschutz“ oder „Energierevolution Jetzt!“ sowie auf seiner Webseite informiert er über die Energiewende und weitere aktuelle Themen rund um den Klimaschutz. Gemeinsam mit seiner Frau Cornelia betreibt er einen YouTube-Kanal und den Podcast „Das ist eine gute Frage“. Für sein Engagement zur Aufklärung über die Klimakrise hat er zahlreiche Preise erhalten.
42,29 Cent
zahlten deutsche Privathaushalte pro Kilowattstunde Strom im Jahr 2023.
Quelle Statistisches Bundesamt
55 Prozent
des deutschen Stroms besteht aus erneuerbaren Energien.
Quelle Bundesnetzagentur
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