Grüner Strom – gut und günstig
Gut fürs Klima, schlecht für den Geldbeutel? Nicht unbedingt. Grünen Strom zu produzieren ist in Deutschland überraschend günstig, haben Fraunhofer-Forschende ausgerechnet. Dass Strom an der Strombörse trotzdem zu „Mondpreisen“ gehandelt werden kann, liegt nicht an den Herstellungskosten. Fünf Fragen, fünf Antworten zum Thema.
Am 12. Dezember 2024 stieg der Strompreis in Europa kurzzeitig in astronomische Höhen. Der Grund war eine Dunkelflaute: An einem windstillen, trüben Dezembertag lieferten Windräder und Photovoltaikanlagen zu wenig Energie, um die Nachfrage zu stillen. Da liegt die Frage nahe: Müssen wir uns damit abfinden, dass Strom auch schon mal teurer ist, wenn er aus vorwiegend grünen Quellen kommt und Atom- oder Kohlestrom nicht mehr zur Verfügung stehen? Die überraschende Antwort darauf und weitere Details zum Thema finden Sie in den folgenden Abschnitten: Photovoltaik, Wind, Gas, Atomkraft - welche Technologie produziert den günstigsten Strom in Deutschland?
Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) haben ausgerechnet: Hierzulande ist grüner Strom in der Herstellung günstiger als Energie aus fossilen Brennstoffen. Gerade einmal 4,1 Cent bis 9,2 Cent kostet eine Kilowattstunde (kWh) aus Photovoltaik-Freiflächenanlagen und Onshore-Windanlagen. Diese Varianten sind die günstigsten Technologien zur Stromproduktion in Deutschland – und das nicht nur unter den erneuerbaren Energien. So kostet die Herstellung einer Kilowattstunde in einem Gasturbinenkraftwerk zwischen 15,4 Cent und 32,6 Cent. Ähnlich teuer ist es, wenn man auf Steinkohle (17,3 Cent/kWh bis 29,3 Cent/kWh) beziehungsweise neu zu bauende Kernkraftwerke (13,6 Cent/kWh bis 49,0 Cent/kWh) setzt. In ihren Überlegungen berücksichtigen die Forschenden auch die Aufwendungen für den Bau und den Betrieb der Anlagen in Deutschland. Die Kosten für den Rückbau sind nicht inkludiert.
„Die Berechnungen zeigen, dass die in Deutschland gerade anlaufenden Großprojekte mit einer Kombination aus PV-Freiflächenanlagen, Windparks und stationären Batteriespeichern gute Investitionen sind“, sagt Christoph Kost, Abteilungsleiter für Energiesystemanalyse am Fraunhofer ISE. „Durch die Kombination können hier beispielsweise Netzkapazitäten besser ausgenutzt werden.“
Kommt der Preisvorteil von grünem Strom auch bei den Endkunden an?
Nicht immer, was an der Funktionsweise des Strommarkts liegt. Hier gilt: Das teuerste Kraftwerk setzt den Preis. Das geltende Preisbildungsprinzip, das Merit-Order-System, legt fest, wer in welcher Reihenfolge Strom liefert: Zunächst decken die Kraftwerke mit den niedrigsten Grenzkosten den Bedarf, also zum Beispiel Wind- und Solarparks. Reichen deren Kapazitäten nicht aus, liefern die nächstteureren Produzenten, bis hin zu den teuersten, den Gaskraftwerken. Deren Preis ist am Ende derjenige, der für alle gilt – auch für die Produzenten von Wind- und Solarenergie.
Wie hängt der Strompreis mit dem Ausbau erneuerbarer Energien zusammen?
„Der Strompreis insgesamt variiert stark je nach Verfügbarkeit beziehungsweise Überangebot“, sagt Andreas Schlumberger. Er ist Geschäftsführer Solar Cluster Baden-Württemberg e. V. und sieht Deutschland mit seiner aktuellen Ausbaustrategie grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Doch Schlumberger vermisst die notwendige Geschwindigkeit: Um die Klimaziele zu erreichen, sagt der Experte, müssten zum Beispiel in Baden-Württemberg neue Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von mindestens 4.000 Megawatt installiert werden – und zwar jedes Jahr. „Davon haben wir selbst in den Boom-Jahren 2023 und 2024 jeweils nur die Hälfte geschafft“, so Schlumberger.
Den Hauptgrund für das langsame Ausbautempo sieht er im Preis für Energie aus fossilen Quellen: „Fossiler Strom ist in Deutschland immer noch zu günstig – auch im Vergleich zu anderen Ländern.“ Während der CO2-Preis in der Bundesrepublik im Jahr 2023 bei knapp 89 Euro pro Tonne CO2-Äquivalente betrug, lag er in Italien (99,68 Euro), Dänemark (101,68 Euro) und der Schweiz (151,53) deutlich höher, wie eine OECD-Analyse zeigt. „Das bremst den Ausbau hierzulande“, sagt der Experte.
Ein weiteres Problem in Bezug auf den Strompreis sieht Schlumberger im Strommarkt: „Dort werden Mengen gehandelt, bevor sie da sind.“ Das möge für andere, planbar zu produzierende Güter funktionieren, komme beim Handel grünen Stroms aus volatilen Quellen aber an seine Grenzen und lade zu unguter Spekulation ein, findet der Experte: „Das Problem ist, dass dieses System keinen Unterschied zwischen dem Handel mit Strom – einem Gut der existenziellen Versorgung – und dem Verkauf von Gummibärchen – also einem Luxusgut – macht.“
Trotzdem gehen Experten davon aus, dass die Kosten für Verbraucher mit einem steigenden Anteil aus grünen Quellen auf lange Sicht eher sinken – sofern keine verteuernden Mechanismen hinzukommen. „Steigt die Zahl der Kraftwerke, die günstiger produzieren können, sinken die Gestehungskosten des Stroms insgesamt. Wir müssen uns aber auch daran gewöhnen, dass der Strompreis dynamischer und volatiler wird als derzeit“, sagt Schlumberger. Ein Aspekt, auf den auch Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, im Te:nor-Interview eingeht.
Wie wird sich der Preis für grünen Strom in Zukunft entwickeln?
Den Berechnungen des Fraunhofer ISE zufolge liegen im Jahr 2045 die Produktionskosten bei Photovoltaik-Freiflächenanlagen zwischen 3,1 Cent/kWh und 5,0 Cent/kWh. Auch Windstrom wäre günstig zu haben: Im Jahr 2045 neu gebaute Onshore-Windenergieanlagen könnten zu Kosten zwischen 3,7 Cent/kWh bis 7,9 Cent/kWh produzieren. Selbst Offshore-Windkraftanlagen haben ein starkes Kostenreduktionspotenzial. Preissenkungen für Windenergie erwartet das Forschungsteam hauptsächlich dank höherer Volllaststundenzahl und größerer Anlagen. „Ob es am Ende möglich ist, den günstigen Strom auch zu günstigen Preisen zum Verbraucher zu bringen, hängt zu einem großen Teil auch am Ausbau der Netzkapazitäten sowie an größeren Speichermöglichkeiten“, sagt Experte Schlumberger.
An welchen Ländern sollte sich Deutschland in Sachen Ökostrom orientieren?
Für Schlumberger ist die Antwort klar: „An den skandinavischen Ländern.“ Einen Teil der benötigten Leistung könnten, wie in Skandinavien, auch in Deutschland perspektivisch Biogas- und Biomassekraftwerke decken. Für Biogas liegen die Produktionskosten derzeit zwischen 20,2 Cent/kWh und 32,5 Cent/kWh, haben die ISE-Forschenden ausgerechnet. Anlagen mit fester Biomasse können deutlich günstiger liefern, zwischen 11,5 Cent/kWh und 23,5 Cent/kWh würden sie verlangen.
Biogas- und Biomassekraftwerke sind damit zwar teurer als andere Kraftwerke, die nachhaltig produzieren. Sie bringen auch Nachteile mit sich – es handelt sich um eine Verbrennung, bei der in der Regel CO2 freigesetzt wird. Ihr Vorteil ist aber nicht von der Hand zu weisen: Sie sind flexibel regelbar. „In einem Energiesystem, das auf erneuerbare Quellen setzt, braucht es neben Speichern auch klimaneutrale Grundlastkraftwerke, die an- und abschaltbar sind“, erklärt Schlumberger.
5,2 - 8,7 Cent
kostet eine Kilowattstunde Agri-PV-Strom in Süddeutschland, zwischen 7,1 Cent und 11,9 Cent in Norddeutschland
Quelle: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE
20,4 - 35,6 Cent/kWh
würde Strom von Gasturbinen kosten, die in Deutschland im Jahr 2024 gebaut und 2035 von Erdgas auf Wasserstoff umgewidmet werden.
Quelle: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE
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