Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

Energie aus dem Eisblock

Text von Jasmin Oberdorfer
18.07.2025
Nachhaltigkeit

Wer cool ist, heizt mit Kälte: Eisspeichersysteme gewinnen Wärme aus natürlichen Energiequellen wie Erde, Wasser, Sonne und Luft – und kühlen im Sommer wie eine Klimaanlage. Dahinter stecken clevere Technik und ein physikalischer Effekt. 

Rund 35 Prozent des Energieverbrauchs und etwa 30 Prozent der CO2-Emisionen in Deutschland entfallen auf die Nutzung von Gebäuden – ein Bereich mit enormem Einsparpotenzial. Das hat auch der Kreis Viersen erkannt: Bis 2040 will er alle kreiseigenen Gebäude klimaneutral betreiben. Ein Vorzeigeprojekt auf diesem Weg ist das neue Kreisarchiv, das 2022 eröffnet wurde. Dort sorgt eine clevere Kombination aus einem unterirdischen Eisspeicher, einer Sole-Wärmepumpe und einem modernen Energiesystem auf dem Dach für einen besonders nachhaltigen Betrieb.

Eisspeicher-Funktionsweise: Wärme aus Kaltem

„Eisspeicher können sowohl Kälte als auch Wärme speichern – das macht sie besonders effizient“, erklärt Frank Euteneuer, Vertriebschef bei der Metternich-Haustechnik GmbH. Das Unternehmen entwickelt seit den späten 1990er-Jahren Wärmepumpensysteme, hat mehr als 15 Jahre Erfahrung mit Eisspeichern und war als Projektpartner am Bau des Kreisarchivs Viersen beteiligt. „Wir haben bislang rund 600 bis 700 Anlagen gebaut und mit unserem Tochterunternehmen Building Equipment Cologne GmbH Komponenten für etwa 300 weitere geliefert“, zählt Euteneuer auf. Seiner Schätzung nach sind deutschlandweit bis zu 2.000 Eisspeicher im Einsatz. Ihr Vorteil: Im Vergleich zur klassischen Luftwärmepumpe brauchen sie deutlich weniger Strom – laut Euteneuer teils nur ein Viertel.

Ein Eisspeicher besteht aus einem mit Wasser gefüllten Betontank, der meist vollständig im Erdreich verschwindet. Im Inneren zirkuliert durch spiralförmige Leitungen eine frostsichere Flüssigkeit – die Sole. Sie entzieht dem Wasser Wärme und transportiert sie zur Sole/Wasser-Wärmepumpe. Diese macht daraus mittels Verdichtung wärmende Energie für Heizung und Warmwasser. Je länger die Heizperiode dauert, desto mehr Wärme entzieht die Sole dem Wasser – bis es schließlich gefriert. Um den Prozess wieder umzukehren, kommen zusätzliche Rohrleitungen zum Einsatz. Sie sind beispielsweise mit einem Solar-Luftabsorber auf dem Dach verbunden. Er besteht aus speziellen Platten oder Rohren, in denen ebenfalls Sole zirkuliert. Durch die Strahlung der Sonne und die Umgebungsluft heizt sich die Sole auf, fließt zurück in den Tank und gibt dort die Wärme wieder ab. So regeneriert sich der Eisspeicher fast vollständig mithilfe natürlicher Wärmequellen wie Sonne und Luft.

Eisspeicher können sowohl Kälte als auch Wärme speichern – das macht sie besonders effizient. 
Frank Euteneuer, Vertriebschef Metternich-Haustechnik GmbH

Die Sole entzieht dem Eisspeicher selbst dann noch Wärme, wenn das Wasser darin bereits zu gefrieren beginnt. Möglich macht das die Kristallisationsenergie: Gefriert Wasser zu Eis, verändert es seine Struktur – dabei entsteht Wärme, obwohl die Temperatur bei null Grad Celsius bleibt. „Der Wechsel des Aggregatzustands setzt ungefähr so viel Energie frei, wie man benötigt, um Wasser von null auf 80 Grad Celsius zu erwärmen“, erklärt Euteneuer. Diese zusätzliche Energie macht den Eisspeicher besonders leistungsstark. 

Eisspeicher – Vorteile und Grenzen

Am Ende der Heizperiode hat sich im Eisspeicher eine große Menge Eis gebildet. „Es bleibt über Monate erhalten und lässt sich in der warmen Jahreszeit zur Kühlung nutzen“, erläutert Euteneuer einen weiteren Vorteil des Systems. Auch dabei übernehmen Wärmetauscher eine zentrale Rolle: Kalte Flüssigkeit aus dem Eisspeicher zirkuliert durch Leitungen in Decken oder Fußböden und kühlt damit die Räume – ganz ohne energieintensive Klimaanlage. Während der Eisspeicher im Kühlmodus arbeitet, steht er allerdings nicht zum Heizen zur Verfügung. Die Wärmepumpe muss dann – etwa um warmes Wasser bereitzustellen – auf eine andere Quelle zurückgreifen. Diese Aufgabe kann beispielsweise der Solar-Luftabsorber auf dem Dach übernehmen, der damit einen Doppelnutzen hat. 

Eisspeicher: vor allem für große Immobilien geeignet

Eisspeichersysteme lohnen sich vor allem für Gebäude mit hohem Wärme- und Kältebedarf und für größere Bauprojekte. Bei klassischen Einfamilienhäusern ist die hohe Anfangsinvestition oft ein Hemmnis. „Durch die vielen Komponenten landet man schnell bei Anschaffungs- und Installationskosten von 50.000 Euro und mehr“, so Euteneuer. 

Durch die vielen Komponenten landet man schnell bei Anschaffungs- und Installationskosten von 50.000 Euro und mehr.
Frank Euteneuer, Vertriebschef Metternich-Haustechnik GmbH

Dass sich Eistanks auch in bestehenden Gebäuden nachrüsten lassen – vorausgesetzt, es ist genügend Platz vorhanden und Dämmung sowie Heizsystem passen – zeigte zum Beispiel die Stadt Lichtenau. Sie sanierte ihre Realschule energetisch komplett und setzt jetzt auf einen Eisspeicher. Nach offiziellen Angaben kann die Schule dadurch rund 250 Tonnen CO₂ jährlich einsparen. Eine klassische Baugenehmigung ist für die Systeme meist nicht nötig, allerdings muss in den meisten Fällen eine wasserrechtliche Erlaubnis eingeholt werden, da die Tanks dem Grundwasserpegel nahe kommen.

Klimafreundlich heizen und kühlen 

Auch der Kreis Viersen geht voran: Beim Bau des Kreisarchivs stand eine gleichbleibende Raumtemperatur im Fokus. Die Archivarien benötigen das ganze Jahr über rund 18 Grad. Weil das Gebäude in einem Wasserschutzgebiet liegt, kam Tiefengeothermie als Wärmequelle nicht infrage. Stattdessen fiel die Wahl auf einen Eisspeicher. Der unterirdische Tank ist viereinhalb Meter hoch, über neun Meter breit und fasst rund 250.000 Liter Wasser. Eine Wärmepumpe, Solar-Luftabsorber, eine Photovoltaikanlage und eine Brunnenanlage komplettieren das System. „Wir erreichen damit eine Jahresarbeitszahl von vier“, berichtet Tobias Thonemann, Energiemanagement-Beauftragter des Kreises Viersen. Soll heißen: Aus einer Kilowattstunde Strom entstehen vier Kilowattstunden Wärme. Im Vergleich zum gesetzlichen Neubaustandard benötigt das Archiv damit nur etwa 55 Prozent des Energiebedarfs.

Nach anfänglich hohem Programmieraufwand läuft das System jetzt nahezu autark. Thonemann: „Für die Mitarbeitenden ist die Bedienung nicht komplizierter als bei einer normalen Heizung. Die Steuerung reagiert automatisch auf Temperaturveränderungen, regelt Prozesse selbstständig und läuft äußerst wartungsarm.“

Haustechnik-Experte Euteneuer sieht besonders kühlbedürftige Gebäude wie Archive oder Rechenzentren auch bei Stromausfällen mit einem Eisspeicher bestens gerüstet: „Das System braucht zur Kühlung nur eine kleine Pumpe, die im Notfall mit einer Batterie läuft.“ In Zukunft, da ist sich Euteneuer sicher, werde die Nachfrage nach solchen „Eiswürfel-Backups“ weiter zunehmen. 

126 Liter Wasser, 
die zu Eis gefrieren, setzen eine Energiemenge frei, die einem Liter Heizöl entspricht. 
Quelle: Viessmann

10,4 Tonnen CO2-Äquivalente
beträgt der durchschnittliche Fußabdruck eines Deutschen pro Jahr.
Quelle: Bundesumweltministerium  

Ähnliche Artikel