Mehlmeisel: Deutschlands erste Tiny-House-Siedlung
Das Leben im Tiny House ist für viele ein Traum. Stefanie und Philipp Sanders haben ihn für sich und andere wahr gemacht und das erste Tiny-House-Dorf Deutschlands gegründet. Das liegt nicht nur im Trend, es wirkt auch der Landflucht entgegen.
Beinahe jeder vierte Mensch in Deutschland kann es sich vorstellen, in einem Tiny House zu leben, zeigt eine repräsentative Umfrage des Immobilienfinanzierers Interhyp aus dem Jahr 2021. Die Motivation der Tiny-House-Fans: ein entschleunigtes, sparsames und nachhaltiges Leben. Doch für die im Durchschnitt 25 Quadratmeter großen Minihäuser gibt es noch verhältnismäßig wenige Bauplätze. Als erste Gemeinde Deutschlands hat ein kleiner Ort im bayerischen Fichtelgebirge vor einigen Jahren eine Fläche für eine ganze Tiny-House-Siedlung bereitgestellt – und es nicht bereut.
Der Weg zum Dorf
In Mehlmeisel, eingebettet zwischen Tannen und Feldern, reihen sich auf einer 17.000 Quadratmeter großen Anhöhe heute 23 Minihäuser aneinander. Dabei wollten die Initiatoren des Projekts, Philipp und Stefanie Sanders, ursprünglich nur ein Tiny House für sich selbst bauen. Sie begannen schon neben dem Architekturstudium in Augsburg an ihrem eigenen Minihaus zu schrauben. „Wir waren völlig unerfahren, wollten es aber trotzdem selbst machen“, erinnert sich Philipp Sanders. Nach einem halben Jahr Tüfteln, Basteln und Bauen begannen sie, sich nach einem passenden Grundstück umzusehen.
Von der Idee, in München oder Augsburg etwas zu finden, hatten die beiden sich beim Blick auf die Preise schnell verabschieden müssen. Stattdessen stießen sie über eine Anzeige im Internet auf ein Grundstück im drei Autostunden entfernten Warmensteinach im Fichtelgebirge. 2.000 Quadratmeter für 20.000 Euro? Das lag in ihrem Budget. Doch dann kam die Absage vom Bauamt: Auf Freizeitgrundstücken wie diesem sei dauerhaftes Wohnen verboten.
Ihre Anfrage Ende 2016 war trotzdem nicht umsonst. Über die Grundstückssuche in Warmensteinach kamen sie in Kontakt mit Franz Tauber, dem Bürgermeister der benachbarten Ortschaft Mehlmeisel. Die hatte gerade freie Grundstücke zu verkaufen – kein leichtes Unterfangen in einer 1.300-Einwohner-Gemeinde weitab der großen Städte und Verkehrswege. Also zeigte Tauber den Sanders den kurz zuvor stillgelegten Campingplatz, wenige Hundert Meter vom Ortskern entfernt. Für ein einzelnes Tiny House viel zu groß und zu teuer – aber perfekt für mehrere Minihäuser. Warum nicht eine ganze Siedlung dort gründen?
In unzähligen Gesprächen mit Banken und dem Bauamt leistete das Pärchen Überzeugungsarbeit. „Viele um uns herum haben nur mit dem Kopf geschüttelt, aber wir blieben hartnäckig“, sagt Sanders. Mit Erfolg: Nach zwei Jahren stand ein neuer Bebauungsplan, dem das Bauamt am Ende zustimmte. Um den Aufbau des Dorfs zu finanzieren, stellten sie drei Tiny Houses zur Ferienvermietung auf. Mit den Einnahmen erschlossen sie den Rest des Grundstücks, legten Strom- und Internetkabel, Wasser- und Abwasserleitungen. „2019 waren wir dann schon mehr als 40 Bewohner in etwa 25 Häusern“, erzählt Sanders. Er und seine Frau haben das Tiny-House-Dorf Mehlmeisel 2021 zwar verkauft, seitdem allerdings drei weitere ähnliche Projekte im Umkreis aufgebaut (tinyhousevillage.de) und angefangen, ihr eigens entwickeltes Tiny-House-Modell zu verkaufen.
Pluspunkt Nachhaltigkeit?
Die Einwohnerschaft der Minihaus-Siedlungen ist bunt gemischt: Vom jungen Paar bis zum Rentner, vom Arbeitslosen bis zum Mitarbeiter eines großen Tech-Konzerns ist alles dabei. Sie alle eine der Wunsch nach einem minimalistischeren und nachhaltigen Leben, sagt Sanders.
Doch auch wenn laut Interhyp-Befragung rund 31 Prozent der Tiny-House-Bewohner aus Nachhaltigkeitsgründen ins Minihaus ziehen: Es ist nicht per se nachhaltiger als andere Wohnformen. Verglichen mit einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus verbraucht ein Tiny House sogar mehr Fläche pro Person, weil es für gewöhnlich nicht stapelbar ist, heißt es etwa bei der Verbraucherzentrale NRW. Außerdem ist es durch die vier Außenwände weniger gut gedämmt und braucht dadurch mehr Heizenergie. Argumente, die auch Tiny-House-Dorf-Gründer Sanders kennt. „Im Vergleich zu einer Wohnung im Mehrfamilienhaus ist ein Tiny House tatsächlich nicht nachhaltiger“, räumt Sanders ein. „In Relation zu einem Einfamilienhaus benötigt es hingegen nur einen Bruchteil des Materials und der Fläche und dadurch auch weniger Heizenergie.“
Hinzu komme der persönliche Faktor: Beim Leben im Tiny House gehe es um eine generell minimalistischere und nachhaltigere Lebensweise – und um die Gemeinschaft. „Tiny Houses sind vielleicht nicht die Lösung für den Wohnraummangel in Städten, aber sie sind eine nachhaltige Möglichkeit, den ländlichen Raum wieder attraktiver zu gestalten“, sagt er.
Lust aufs Landleben
Das war auch für Bürgermeister Tauber ein Argument, den Aufbau der Siedlung in Mehlmeisel zu unterstützen. „Das Tiny-House-Dorf ist eine Bereicherung für unsere Gemeinde – auch, weil es neue Menschen zu uns bringt“, sagt Tauber. Wie in vielen anderen deutschen Gemeinden liegt die Sterberate in Mehlmeisel weit über der Geburtenrate: Auf 20 bis 25 Sterbefälle im Jahr kommen im Durchschnitt fünf Geburten. „Das reicht langfristig nicht, um ein Dorf am Leben zu halten“, sagt er. Durch die Tiny-House-Siedlung sind in kürzester Zeit relativ viele Menschen ins Dorf gezogen. In den Monaten nach Eröffnung kamen viele Kommunen auf Tauber zu, wollten wissen, wie die Gemeinde das Dorf aus Minihäusern geplant, aufgebaut und infrastrukturell erschlossen hat. Und auch, wie das Zusammenleben funktioniert.
Ein paar alteingesessene Einwohner Mehlmeisels seien zu Beginn skeptisch gegenüber den Zuziehenden gewesen, sagt Tauber. Doch das habe sich schnell gelegt: „Die Menschen, die im Tiny-House-Dorf leben, sind genauso Teil der Gemeinde wie alle anderen, die hier wohnen.“ Sie sind in Vereinen tätig, kaufen in den lokalen Geschäften ein, ihre Kinder gehen in die örtlichen Kindergärten. Kurz: Man kennt sich gut. Und man freue sich jedes Jahr auf den Tag der offenen Tür im Tiny-House-Dorf, an dem man bei Kaffee und Kuchen zusammensitze, sagt der Bürgermeister.
Ob er sich vorstellen könnte, selbst in einem Tiny House zu leben? Auf jeden Fall. „Schließlich bin ich seit 25 Jahren begeisterter Wohnmobilfahrer“, erzählt er und schmunzelt. „Von einem Umzug ins Tiny House müsste ich allerdings erst noch meine Frau überzeugen.“
48 Prozent
der Menschen, die sich für ein Leben im Tiny House interessieren, sind jünger als 50 Jahre.
Quelle: Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein
92,2 Quadratmeter
betrug die durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung im Jahr 2023 in Deutschland.
Quelle: Statistisches Bundesamt

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