Wo Hautfarbe mehr Hauptsache sein sollte
Weiß und männlich – Medizin, die nur diesen Prototypen kennt, wird Patienten nicht gerecht. Nach der Beschäftigung mit geschlechtersensibler Medizin folgt ein Blick auf die unzureichende Berücksichtigung unterschiedlicher Ethnien in der ärztlichen Wissenschaft.
Dass die Farbe der Haut manchmal eben doch eine Rolle spielt, zeigt das Buch „Mind the gap!“ von Malone Mukwende. Es ist das Ergebnis eines Mangels: Als der junge Mann sein Studium an der medizinischen Fakultät der University of London begann, musste er hauptsächlich mit Büchern lernen, die Weiße Patienten zeigen. Doch kann man Krankheitssymptome auf dunkler Haut erkennen und optimal bewerten, wenn im Studium nicht dazu gelehrt wird? Abbildungen von BIPoC (Black, Indigenous and People of Color, also Schwarze sowie indigene Menschen und People of Color) sind in dermatologischen Standardwerken nämlich kaum zu finden. Für Mukwende tat sich hier eine Lücke auf. Sein seit 2020 kostenfrei im Internet verfügbares Buch versucht, dieses Defizit mit Abbildungen von dunkler Haut zu verringern. Es soll Medizinern weltweit helfen, frühzeitig die richtige Diagnose zu stellen.
Rot als Warnzeichen entfällt
Auch die Hautärztin Claudia El Gammal weiß um den wichtigen Unterschied der Hautfarbe, wenn es um die richtige Diagnose geht. Sie schildert ein Beispiel aus ihrer Praxis: „Bei Menschen mit heller Haut sind Rottöne ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung einer Erkrankung“, sagt die Siegenerin. Während sich etwa bei der durch Zecken übertragenen Borreliose auf heller Haut typischerweise rote Ringe bilden, sind diese auf dunkler Haut eher grau oder bläulich und für das ungeschulte Auge schwierig zu erkennen. „Dermatologen, die kaum Erfahrung mit nicht-weißen Patienten haben, fallen Diagnosen dadurch mitunter schwerer“, so El Gammal. Das könnte fatale Folgen haben, denn bei nicht behandelter Borreliose können vermehrt Spätfolgen wie Nerven- oder Gelenkentzündungen auftreten.
„Das Thema Diversität findet – auch durch die zunehmende Migration – zum Glück immer mehr Beachtung“, sagt El Gammal. Zudem biete die Deutsche Dermatologische Akademie vermehrt Fortbildungen an und auch die Zahl der wissenschaftlichen Abhandlungen nimmt zu. Die Hautärztin, die in Uganda ehrenamtlich Fachärzte schult, hält es für noch wichtiger, vor Ort mehr BIPoC das Medizinstudium zu ermöglichen. Das würde auf lange Sicht auch die Beschäftigung mit dunkler Haut fördern. El Gammal: „In ganz Ostafrika gibt es nur zwei dermatologische Kliniken, die Hautärzte ausbilden. Wo es wenig Ärzte und kaum medizinische Infrastruktur gibt, gibt es auch kaum Experten, die Bücher schreiben oder Studien durchführen.“
Zu wenig Vielfalt in der Medizinforschung
Doch nicht nur in der Praxis, auch in der Forschung mangelt es an ethnischer Diversität. Klinische Studien werden vor allem in medizinischen Einrichtungen in Europa oder in Unternehmen in den USA und China durchgeführt. Zwar müssen seit dem 31. Januar 2022 Arzneimittelhersteller in der EU ihre Versuche so anordnen, dass die Teilnehmenden die Bevölkerung repräsentieren. Doch die Verordnung erwähnt dabei explizit nur Geschlecht und Alter – Ethnien allerdings nicht.
Tests, die an Probanden durchgeführt werden, die sich sehr ähneln, liefern jedoch womöglich verzerrte Forschungsergebnisse. So kann es vorkommen, dass ein Medikament nach seiner Zulassung bei Patientengruppen, die in der vorausgegangenen Studie unterrepräsentiert waren, anders wirkt. Forschende in den USA werteten beispielsweise mehr als 400.000 Daten von Patienten mit Bluthochdruck aus und stellten fest, dass Schwarze Menschen nach der Einnahme von Medikamenten einer bestimmten Wirkstoffgruppe häufiger einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten als Weiße. In einer anderen Studie fanden Wissenschaftler heraus, dass bei Schwarzen Patientinnen mit Brustkrebs, je nach Präparat, unterschiedlich hohe Nebenwirkungen auftreten. Bei Weißen Frauen beobachteten die Forschenden diese Unterschiede nicht.
Schlechte Erfahrung als Hindernis
Nicht nur fehlende gesetzliche Vorgaben tragen zu einer geringen Präsenz von nicht-weißen Menschen in klinischen Studien bei. Im 2020 erhobenen Afrozensus, an dem rund 6.000 Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland teilnahmen, gaben 66,7 Prozent von 2.108 Befragten an, ihre Beschwerden werden beim Arzt nicht ernst genommen. Das Problem: BIPoC, die in Arztpraxen oder Krankenhäusern schlechte Erfahrungen machen, befürchten möglicherweise, dass es ihnen in klinischen Versuchen ähnlich ergeht. Folglich nehmen sie lieber erst gar nicht an Studien teil, die eigentlich zur Aufklärung beitragen könnten.
Hinzu kommen abschreckende Vorfälle aus der Vergangenheit, die das Vertrauen in Pharmaunternehmen langfristig erschüttern. Ein Beispiel für unethische Praktiken in klinischen Studien ist ein zwischen 1932 und 1972 im amerikanischen Tuskegee durchgeführtes Experiment: In der Versuchsreihe beobachteten Forschende den Verlauf von Syphilis. 600 verarmte Afroamerikaner, denen eine medizinische Versorgung zugesichert wurde, nahmen teil, ohne den Zweck der Studie zu kennen. Unter ihnen befanden sich 399 Erkrankte, die – entgegen den Versprechungen – nicht über ihre Syphilis-Diagnose informiert oder adäquat behandelt wurden. Schätzungsweise 32 Prozent von ihnen starben an den Folgen der Krankheit.
Organisationen wie die Lazarex Cancer Foundation in Las Vegas versuchen, von solchen Skandalen verunsicherten Menschen die Angst zu nehmen. Wie wichtig mehr Diversität in der Forschung ist, möchte die Organisation vor allem denjenigen vermitteln, die es direkt betrifft – in der Aufklärungsarbeit helfen dabei mitunter auch amüsante Vergleiche, wie der von Marya Shegog, Health Equity and Diversity Director bei Lazarex. In einem Podcast des US-amerikanischen Pharmaunternehmens MSD führt sie aus: Nur, wenn beispielsweise auch Frauen mit dunkler Hautfarbe Medikamente testen, sei gewährleistet, dass sie nicht nur auf Weiße Männer zugeschnitten seien. Ihr Fazit: „Man trägt schließlich auch nicht die Unterwäsche eines Weißen Mannes, obwohl man sich darin unwohl fühlt.“
36.321 Studien
(laufende klinische) mit Arzneimitteln sind derzeit weltweit im internationalen Register ClinicalTrials.gov erfasst.
Quelle: Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V., 2024
14,3 Prozent
nicht-weiße Frauen haben schon einmal eine Behandlung aus Angst verzögert oder vermieden.
Quelle: Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa), 2023
8 Prozent
geringer ist die Wahrscheinlichkeit, einen Arzttermin zu bekommen, wenn die Patientin einen in Nigeria verbreiteten weiblichen Namen anstelle eines deutschen Namens angibt.
Quelle: Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa), 2023
2,6 mal
höher als bei Weißen Frauen lag 2021 in den USA die schwangerschaftsbedingte Sterblichkeitsrate bei Schwarzen Frauen.
Quelle: Maternal Mortality Rates in the United States, 2021
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