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Transition Finance - mehr Geld für Klimasünder

Text von Dominic Fernandez
26.05.2023
Vermögen

Anleger investieren gerne klimaneutral. Transformationsexperte Jens Kuttig weiß: Vor allem Unternehmen, die sich gerade erst auf den grünen Weg begeben, benötigen viel Kapital.

Herr Kuttig, der Weg zur klimaneutralen Zukunft ist lang und kostspielig. Was hat es mit dem Konzept der Übergangsfinanzierung, neudeutsch Transition Finance, auf sich?

Es ist die logische Erweiterung vorhandener nachhaltiger Finanzierungskonzepte wie Green Finance oder Sustainable Finance. Diese zielten bisher vor allem darauf ab, Unternehmen und Projekte zu fördern, die sich durch gute Umweltbilanzen und niedrige CO2-Emissionen hervortun. Doch damit Dekarbonisierung flächendeckend gelingt und künftige Klimaziele erreicht werden, müssen alle mitziehen. Das gilt vor allem für jene Branchen, die zurzeit als Klimasünder verschrien sind und bei denen Emissionsminderung aufgrund fehlender Technologien nicht ohne weiteres möglich ist. In diesen Sektoren ist der Kapitalbedarf hoch und die Handlungsnot am dringendsten. Wir, der Finanzsektor und auch die Anleger, brauchen deshalb eine flexiblere Sichtweise, was nachhaltige Investitionen ausmacht, um den Übergang zu finanzieren. 

Viele dieser Branchen scheinen den Ernst der Lage begriffen zu haben. Unternehmen im Bereich Kohleverstromung, Stahl, Zement oder Chemie arbeiten mit Hochdruck daran, ihr Geschäftsmodell umzubauen. Wie kommen sie an günstiges Kapital?

Viele Banken vergeben inzwischen grüne Kredite mit spezifischer Zweckbindung: Unternehmen erhalten Geld zu besonders attraktiven Konditionen, das jedoch nur zur Finanzierung von nachhaltigen Projekten oder Aktivitäten verwendet werden darf. Es gibt auch sogenannte Sustainability-linked-Bonds. Bei dieser Anleiheform hängt die Höhe der Zinsen davon ab, inwieweit Schuldner über einen festgelegten Zeitraum Nachhaltigkeitsziele erreichen und etwa CO2-Emissionen reduzieren. Das sind nur zwei Beispiele. Ich gehe davon aus, dass künftig viele weitere innovative Finanzierungsinstrumente hinzukommen werden.

Warum gewinnt grüne Finanzierung aktuell so sehr an Bedeutung?

Am Kapitalmarkt steigt die Nachfrage nach nachhaltigen Anlagen konstant. Anleger erwarten von Finanzinstituten, dass sie in der Lage sind, Klimarisiken einzuschätzen und in Investmentstrategien abzubilden. Ansonsten wird ihnen künftig kein Kapital mehr anvertraut. Bei der Vergabe von Krediten wiederum ist die Bankenaufsicht eine treibende Kraft. Bei ihr müssen Banken zum Beispiel berichten, wie viel Treibhausgasemission sie indirekt mitfinanzieren. Um das Risiko eines Kredits zu bewerten, reicht es nicht mehr, nur Bonitäten zu prüfen. Banken müssen auch Nachhaltigkeitsaspekte im Blick haben.

Nachhaltigkeit ist ein schwammiger Begriff. Als Entscheidungsbasis für Finanzierungen ist das sicherlich ein Problem. Wie definieren Sie beziehungsweise die Finanzbranche, was ökologische Nachhaltigkeit ausmacht?

Mit der Taxonomieverordnung hat die Europäische Union zumindest eine erste Grundlage geliefert, an der sich viele Investoren orientieren. Sie hat Kriterien festgelegt, um zu bestimmen, ob Unternehmensaktivitäten als ökologisch nachhaltig einzustufen sind. Dabei geht es vor allem darum, Greenwashing den Riegel vorzuschieben. Doch dieses Klassifizierungssystem hat ein Problem: Es ist ein statisches Konzept. Was bringt es uns, wenn wir jetzt alle unser Geld in Unternehmen stecken, die heute bereits grün sind. Dann bleibt am Ende kein Kapital für die übrig, die es werden wollen und auch müssen. Auf dem Pfad zur Netto-Null-Emission hilft uns die aktuelle Taxonomie also nur bedingt, sie greift zu kurz.

Also muss für Transition Finance zuerst eine eigenständige Taxonomie her?

Genau darum geht es in der aktuellen politischen Diskussion, die noch lange nicht abgeschlossen ist.

Die Fronten sind verhärtet?

Kann man so sagen. Da gibt es ein zentralplanerisches und ein marktwirtschaftliches Lager. Den Zentralplanern schwebt ein Regelwerk analog zur jetzigen EU-Taxonomie vor. Dieses soll den regulatorischen Rahmen festlegen, um Übergangsaktivitäten inklusive Beschreibungen technologischer Pfade und Emissionsreduktionszielen zu identifizieren. Anders sehen dies selbstverständlich marktwirtschaftlich eingestellte Diskussionsteilnehmer: Sie fordern Flexibilität. Das Ganze müsse auf Unternehmensebene stattfinden und dann zum Beispiel durch einen Wirtschaftsprüfer testiert werden.

Die Dekarbonisierung wird noch Jahre andauern. Der Weg zur Klimaneutralität ist unklar. Das erschwert die Beschreibung des Übergangs doch enorm?  

Wir müssen damit rechnen, dass die Dekarbonisierung nicht nach Plan verläuft. Sie hängt davon ab, welche Technologien sich langfristig durchsetzen. Außerdem sind politische Rückkopplungen zu erwarten, wenn Unternehmen nicht die geplanten Fortschritte erzielen. Um diese Dynamik abzubilden, ist tatsächlich Flexibilität der Schlüssel. Viele Finanzinstitute arbeiten mit Szenario-Analysen, die politische Eingriffe ins Marktgeschehen berücksichtigen. Was die Zukunftstechnologien angeht, gelten nach wie vor die Gesetze des Markts. Es spielt keine Rolle, ob es um künstliche Intelligenz oder E-Fuels geht: Wer Geld investiert oder verleiht, muss seine Hausaufgaben machen und eigene Entscheidungen treffen.

Dazu gehört auch, Unternehmen zu meiden, die Greenwashing betreiben. Wie können Investoren sicherstellen, dass ihr Geld auch tatsächlich zur Dekarbonisierung verwendet wird?

An dieser Stelle sind die Unternehmen gefordert. Wenn sie Kapital brauchen, müssen sie glaubhaft kommunizieren, dass Klima- und Umweltschutz in der Unternehmens- und Geschäftsstrategie integriert sind – und kein bloßes Lippenbekenntnis bleiben. Es ist wichtig, realistische Ziele zu formulieren und einen Plan vorzulegen, wie diese erreicht werden können. Je konkreter, desto besser. Anleger sollten auf Transparenz achten und darauf, dass Berichtspflichten erfüllt werden. Hier gilt das Prinzip: Tue Gutes und sprich darüber, aber bitte mit einer überzeugenden Strategie.

 

Zur Person
Jens Kuttig ist Senior Partner bei zeb consulting. Er unterstützt Finanzdienstleister dabei, den strategischen Wandel der Branche in eine klimaneutrale Zukunft voranzutreiben. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Risikomanagement, Gesamtbanksteuerung und Bilanzmanagement sowie Strategieentwicklung und -umsetzung im Corporate und Investment Banking.

9,2 Billionen Dollar
müssten jährlich weltweit investiert werden, um bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften.
Quelle: McKinsey Global Institute

 

89 Prozent
aller Investoren haben 2022 die Themen ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie verantwortungsvolles Management in ihren Anlagestrategien aufgenommen.
Quelle: Capital Group

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