„Auch wer aussteigt, bleibt Teil der Familie“

Susanne Klier, Foto: Janine Guldener
In Familienunternehmen kommt es bei der Übergabe schnell zu Reibungspunkten zwischen Verwandten, Unternehmen und Vermögen. Nachfolgeberaterin Susanne Klier bringt alle an einen Tisch, macht Emotionen greifbar und entwickelt einen individuellen Fahrplan mit festen Leitlinien für die Übergabe – und für den Fall, dass ein anderer Weg besser trägt.
Unternehmensnachfolge ist in vielen Familienunternehmen mit großen Emotionen verbunden. Warum glauben Sie, fällt es so schwer, rechtzeitig und offen darüber zu sprechen?
Susanne Klier: In Familienunternehmen prallen zwei völlig unterschiedliche Systeme aufeinander: Die Familie beruht auf dem Prinzip der Gleichwertigkeit. Jedes Familienmitglied bekommt dieselbe Liebe, dieselben Möglichkeiten und man unterstützt solidarisch den Schwächsten. Das Unternehmen hingegen funktioniert nach dem Leistungsprinzip. Hier zählt Rationalität, Potenziale und Leistung schaffen Hierarchien und die Entlohnung macht Unterschiede sichtbar. In der Nachfolge ist der Übergebende zwischen seiner Rolle als Elternteil und als Unternehmenslenker hin- und hergerissen. Wie kann er allen Familienmitgliedern gerecht werden und gleichzeitig das Beste für das Unternehmen entscheiden? Dieser Rollenwechsel fällt vielen schwer – den Eltern und den Kindern.
In Ihrer Familie wurde die Unternehmensnachfolge 2015 akut, als Ihr Vater starb und die Friseurkette Klier weitergeführt werden musste. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Einerseits war auf Vermögensebene alles geregelt: Das Testament legte die Verteilung der Anteile fest. Meine beiden Geschwister arbeiteten bereits operativ im Unternehmen, ich hatte bis dahin eine externe Karriere verfolgt. Es lag also nahe, zunächst so weiterzumachen. Unklar war aber andererseits, wie wir das Unternehmen führen wollen und wie die Kontrollmechanismen aussehen sollen. Bevor wir das entscheiden konnten, mussten wir jedoch klären: Wohin soll sich das Unternehmen entwickeln? Welche Rolle soll jeder einnehmen? Das war damals nicht definiert.
Ihr Onkel zog sich etwa zur gleichen Zeit zurück und übergab an seine beiden Kinder. Plötzlich waren Sie zu fünft. Wie haben Sie gemeinsam eine Lösung gefunden?
Wir waren alle über 40, mitten im Berufsleben, mit unterschiedlichen Werten. Mithilfe eines Beraters stellten wir uns einige Grundsatzfragen: Wie wollen wir miteinander in die Zukunft gehen? Was ist ein realistisches Entwicklungsszenario für unser Unternehmen und Familienvermögen? Auf welches Zielbild einigen wir uns? Dann haben wir geschaut, welche Fähigkeiten, Rollen und Gremien es dazu braucht und welche Rolle jeder Einzelne übernehmen kann und möchte.
Heute unterstützen Sie selbst Unternehmen beim Generationenwechsel. Wie sieht der Beratungsprozess konkret aus?
Ich begleite Familien meist ein bis drei Jahre lang und unterteile diese Zeit in vier Phasen. In Phase eins entwickeln Übergebende und Nachfolgende eine gemeinsame Identität und Vision. Viele Nachfolgen scheitern an einer unklaren Zielrichtung. Deshalb muss zuerst geklärt werden, wohin sich das Unternehmen entwickeln soll. In Phase zwei regeln wir Rollen und Kompetenzen, entscheiden über Einzel- oder Doppelspitze, bauen Strukturen, Verantwortungen, Entscheidungswege und den Informationsfluss auf. Das braucht Zeit – und beide Generationen müssen lernen, an einem Strang zu ziehen.
Was folgt im Anschluss?
In Phase drei klären wir die Eigentumsrechte und ob die Anteile per Schenkung, Erbe oder Verkauf übertragen werden. Wir vereinbaren Regeln auch für die übernächste Generation, um Kontinuität zu sichern und Konflikten vorzubeugen. In Phase vier widmen wir uns den Verträgen und legen eine Roadmap fest – mit Meilensteinen, gesellschaftsrechtlichen Schritten und regelmäßigem Monitoring.
An welcher Stelle im Prozess entstehen die meisten Konflikte?
Konflikte ist ein hartes Wort, ich spreche lieber von unterschiedlichen Haltungen. Und genau darin liegt der Kern meiner Arbeit: das Gemeinsame finden. Meiner Beobachtung nach prallen die Generationen am häufigsten bei der gewünschten Führungskultur aufeinander. Auch über Strukturen und Prozesse gehen die Meinungen häufig auseinander. In kleineren Unternehmen nehme ich beispielsweise wahr, dass die Digitalisierung viel Konfliktpotenzial bietet. Jüngere wollen oft digitalisieren, Ältere sehen darin weniger Nutzen. Auch Geschwisterkonstellationen sind herausfordernd: Unterschiedliche Werdegänge und Altersabstände führen dazu, dass nicht alle gleichbehandelt werden können. Gerade bei gemischten Geschwisterpaaren wirken auch traditionelle Rollenbilder nach: Der Bruder kann sich aufs Unternehmen konzentrieren, weil seine Frau die Kinder betreut. Die Schwester hingegen trägt oft die Verantwortung im Betrieb und zu Hause, weil ihr Partner weiterarbeitet. Das setzt sie unter Druck und führt nicht selten dazu, dass sie dem Bruder das Feld überlässt. Deshalb klären wir vorab Verfügbarkeiten und flexible Arbeitsmodelle.
Fünf Leitlinien für nachhaltige Unternehmensnachfolge
1. Früh und offen sprechen: Es ist die Pflicht des Übergebenden das Thema anzusprechen – kommt von dort kein Impuls, müssen sich die Nachfolgenden klar positionieren.
2. Eigene Ziele klären: Alle Beteiligten sollten ehrlich prüfen, was zu ihren Werten, Stärken und Lebensplänen passt.
3. Genug Zeit einplanen: den Übergabeprozess frühzeitig starten, Meilensteine definieren und Puffer vorsehen.
4. Sich Hilfe holen: Lücken akzeptieren und interne oder externe Expertise einbinden.
5. Loslassen üben: Als Übergebender den Blick nach vorn richten und das Unternehmen unabhängig von der eigenen Person aufstellen, statt Unentbehrlichkeit zu pflegen.
Woran zeigt sich, dass eine Nachfolge auf Dauer nicht trägt?
Wer sehr reflektiert ist, erkennt recht schnell, ob ihm oder ihr die Lenkung eines Unternehmens liegt oder nicht. Falls nicht, wählen sie die Gesellschafterrolle oder eine Aufgabe im Team, die zu ihnen passt. Oft zeigt sich aber auch erst nach Jahren, dass eine Nachfolgeregelung nicht trägt. Besonders kritisch wird es, wenn Vereinbarungen nicht eingehalten werden – etwa, wenn der Übergabezeitpunkt ständig verschoben wird. Gelingt es dem Übergebenden nicht, loszulassen und seinen kommunizierten Austritt auch umzusetzen, führt das zu Unzufriedenheit, die die Nachfolge scheitern lassen kann. Eine Nachfolgerin, die ausstieg, erzählte mir: Der Punkt war erreicht, als sie Familienrunden mied. Wenn ich ungern zum Weihnachtsfest gehe, Geburtstage meide und sonntags nicht zum Kaffee komme, weil ungelöste Unternehmensthemen ständig Streit auslösen, dann ist es Zeit, etwas zu ändern.
Wenn es zu einem Exit kommt: Wie setzt man ihn um?
Die Familie muss von Anfang an definieren, wie ein Exit konkret abläuft und wie Aufgaben und Verantwortung in dem Fall neu verteilt werden – und zwar sowohl im operativen Geschäft als auch auf der Eigentümerebene. Sie müssen festlegen, wie sie den Kaufpreis ermitteln, wer Anteile übernehmen darf, welche Abschläge gelten und in welchem Maß das Vermögen im Betrieb gebunden bleiben soll. Ebenso wichtig ist die klare Feststellung: Auch wer aussteigt, bleibt Teil der Familie. Kindern hilft es, zu hören, dass ein Verkauf des Unternehmens möglich ist, wenn die ökonomischen Bedingungen sich ändern. Diese Erlaubnis, noch zu Lebzeiten der älteren Generation geäußert, nimmt Druck raus.
Was ist Ihr wichtigster Rat an Familien, die einen Generationenwechsel anstreben?
Früh anfangen, alle Betroffenen an einen Tisch holen und offen sprechen. Es geht zunächst darum, einen Möglichkeitsraum zu eröffnen – ohne fertige Lösung. Einfach die Situation benennen und den Stein ins Rollen bringen. Das klingt banal, ist aber für viele Unternehmer ein schwieriger Schritt. Doch aus Erfahrung weiß ich, es lohnt sich, die Kraft der Familie zu nutzen.
Zur Person:
Susanne Klier ist Expertin für innerfamiliäre Nachfolge. Seit 2020 begleitet die Betriebswirtin als zertifizierte Nachfolgeberaterin, Coach und Mediatorin Familienbetriebe auf dem Weg zur tragfähigen Übergabe. Dabei schöpft sie auch aus eigener Erfahrung: Sie war im Familienunternehmen Klier Hair Group, einem der größten Friseurunternehmen Europas, selbst in einem Nachfolgeprozess involviert.
41 Prozent
der Unternehmer bereiten sich nicht rechtzeitig auf die Nachfolge vor.
Quelle: DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2024
38 Jahre
alt sind die Übernehmenden im Durchschnitt.
Quelle: Nachfolgemonitor 2024

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