Algen-Allerlei
Im Strandurlaub will sie keiner, auf dem Teller künftig jeder? Die Alge gilt als neues Superfood. Zwei deutsche Unternehmen stellen aus den Meerespflanzen Fleisch- und Fischersatzprodukte her.
Der Markt für vegetarische und vegane Lebensmittel boomt. Laut The Good Food Institute Europe erreicht der Umsatz 2023 hierzulande ein Rekordhoch von 2,2 Milliarden Euro. Damit baut Deutschland seine Marktführerschaft innerhalb Europas weiter aus. Die meisten Alternativen basieren auf pflanzlichen Quellen wie Soja oder Weizen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung stellt jedoch fest: Allergische Reaktionen auf Soja gehören zu den häufigsten Nahrungsmittelallergien. Rund 400.000 Deutsche vertragen keine Sojaprodukte, mehr als doppelt so viele müssen auf glutenhaltige Lebensmittel auf Weizenbasis verzichten. Ein neuer Lebensmitteltrend könnte die Lösung sein: Meeresalgen. Sie sind reich an wichtigen Nährstoffen und vielseitig einsetzbar.
Thunfisch und Lachs auf pflanzlicher Basis
Auch Deniz Ficicioglu ernährt sich flexitarisch, verzichtet also größtenteils auf Fleisch und Fisch und greift stattdessen auf pflanzliche Ersatzprodukte zurück. Die 41-Jährige zählt zu den 840.000 Deutschen, die kein Gluten vertragen und daher möglichst auf Weizen verzichten. „Als ich anfing Zutatenlisten zu lesen, bemerkte ich, dass in der Lebensmittelproduktion quasi immer die gleichen Zutaten verwendet werden und ein Großteil unserer Lebensmittel auf Weizen basieren oder damit gestreckt sind.“ Ein Arbeitskollege erzählte ihr von der Zutat Meeresalgen. Ficicioglu ließ sich von seiner Begeisterung anstecken. So sehr, dass sie ihren alten Job kündigte und 2020 mit ihm in Berlin die Wunderfish GmbH gründete. Unter der Marke Bettaf!sh verkaufen sie seitdem pflanzlichen Thunfisch und Lachs. Die Fischklassiker sind frei von Soja und Weizen, dafür auf Basis von Meeresalgen sowie Erbsen- und Ackerbohnenprotein.
Die Anfänge des Start-ups waren nicht leicht. „Meeresalgen haben trotz ihres einzigartigen Nährstoffprofils einen sehr schlechten Ruf: Die meisten Menschen sehen in ihnen glitschige Pflanzen, die am Strand herumliegen und streng riechen“, sagt die Geschäftsführerin. Testesser sträubten sich gegen den Verzehr der Produkte, ohne je eine Alge probiert zu haben. Das Team lenkte deshalb mit seiner Marketingstrategie zunächst den Fokus auf eine „bessere Fischalternative, ohne Soja- und Weizenzusätze“ – und erwähnte die Zutat Alge nur am Rande. Mit Erfolg: Im Dezember 2023 brachte das Unternehmen Thunfisch in der Dose auf den Markt. In den ersten zwölf Monaten verkaufte sich der heutige Bestseller circa 150.000-mal in Deutschland. Die Algen stammen aus Gewässern vor den Küsten Norwegens und Irlands. Wunderfish arbeitet dort mit ehemaligen Fischern zusammen, die jetzt als Algenfarmer die Meerespflanzen ernten und für die Weiterverarbeitung vorbereiten.
Die Superkräfte der Alge
Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die grünen Wasserpflanzen das Potenzial zum Superfood in sich bergen. Warum genau, weiß Susanne Baldermann, Professorin an der Fakultät für Lebenswissenschaften: Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit der Universität Bayreuth: „Meeresalgen haben einen hohen Proteingehalt, teilweise vergleichbar mit dem eines Stück Fleischs.“ Außerdem enthalten sie ungesättigte Fettsäuren und sind reich an Nährstoffen wie Jod. „Doch die Alge ist meist ein zu guter Jodlieferant“, sagt Baldermann. Bereits wenige Gramm bestimmter Algen können den durchschnittlichen Tagesbedarf eines Erwachsenen von rund 200 Mikrogramm decken. Im Fall einer Jod-Überversorgung kann es zu ernsten gesundheitlichen Problemen, unter Umständen sogar zu einer Schilddrüsenfunktionsstörung kommen.
Diese Herausforderung hat Wunderfish gelöst: Das Start-up hat ein Verfahren entwickelt, um den Jodgehalt durch eine Kombination aus Hitzebehandlungen und Trocknungsprozessen zu senken. In Zukunft arbeitet das Berliner Unternehmen daran, den Eigengeschmack der Alge herauszulösen. „Fischersatzprodukte müssen nach Meer schmecken, dem natürlichen Geschmack der Meeresalge. Bei einer pflanzlichen Bratwurst kommt das aber nicht gut an. Das ändern wir jetzt“, erklärt Ficicioglu den Schritt.
Vom Meer ins Labor
Auch Claudia Busse-Uhrig setzt auf Algen. Sie gründete 2014 die Viva Maris GmbH in Hamburg. Das Sortiment des Unternehmens reicht von Wiener-Würstchen über Saucen bis hin zu Bowl-Toppings – alle auf Basis der Meerespflanze. Der Algenanteil in diesen Produkten beträgt maximal sieben Prozent. Bei dieser geringen Menge bleiben alle wichtigen Nährstoffe der Alge erhalten, sie kann aber Farbe und Geschmack des ursprünglichen Produkts nicht verfälschen.
Vom Superfood zum Supertreibstoff
Mikroalgen kommen nicht nur im Lebensmittelbereich zum Einsatz, sondern auch in der Industrie. Professor Thomas Brück leitet das Algentechnikum an der Technischen Universität München und forscht unter anderem an Alternativen zum Mineralöl. Sein Team entwickelt Kerosin aus Mikroalgen. Die ersten Testdrohnen fliegen bereits mit dem Bio-Treibstoff. Wann er auf den Markt kommt, ist ungewiss: „Solange Öl so günstig ist wie im Moment, werden wir Algen-Kerosin nicht am Markt platzieren können“, sagt Brück.
Den Großteil der Algen bezieht Viva Maris von Fischern, für die der Fischfang kein einträgliches Geschäft mehr war und die daher auf die Algenzucht und -ernte umgestiegen sind. Die Braunalgen, die zum Beispiel in den veganen Wiener-Würstchen verarbeitet sind, stammen aus Norwegen, nahe der Polarregion. Die Fischer züchten die Algen auf Leinen vor und legen diese im Dezember im Meer aus. Dort wachsen sie circa vier Monate, Erntezeit ist von Mai bis Anfang Juni. Die Rotalgen dagegen, die es getrocknet als Flocken oder im Algensalz gibt, wachsen wild auf Felsen vor der atlantischen Küste Nordirlands. „Die Fischer ernten die Rotalgen einmal im Jahr zwischen März und April per Hand ab“, erklärt Busse-Uhrig.
Neben diesen blättrigen Meerespflanzen, den Makroalgen, verwendet Viva Maris auch Mikroalgen. Die sind für das menschliche Auge nur als grüner Punkt sichtbar und werden in Laboren gezüchtet. Aufgrund ihrer Größe eignen sie sich vor allem für flüssige Lebensmittel wie die Bio-Shots.
Ob Fisch- oder Fleischersatz, aus dem Meer oder aus dem Labor, fest oder flüssig – in einem sind sich die beiden Unternehmerinnen Ficicioglu und Busse-Uhrig einig: Algen gehören künftig auf jeden Teller.
52,2 Mio t CO2
Äquivalente hat die deutsche Landwirtschaft im Jahr 2023 verursacht.
Quelle: Umweltbundesamt
41 % Deutsche
ernähren sich flexitarisch, essen also nur gelegentlich Fleisch.
Quelle: Ernährungsreport 2024
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