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Wasserstoff vom Wasser

Text von Klara Walk
15.03.2024
Unternehmen

Das Unternehmen Lhyfe stellt seit Jahren grünen Wasserstoff in industriellem Maßstab her. Nun testen die Franzosen, wie man H2 auch auf dem Meer gewinnen kann. Luc Graré, Zentral- und Osteuropachef von Lhyfe, spricht im Interview über das Pilotprojekt vor der französischen Atlantikküste und über das große Potenzial der Offshore-Produktion.

Herr Graré, fangen wir mit den Basics an: Was unterscheidet grünen von grauem Wasserstoff?

Luc Graré: Grauen Wasserstoff gewinnt man durch die Spaltung von Methangas in seine Bestandteile Kohlenstoff und Wasserstoff. Der Kohlenstoff wird freigesetzt und verbindet sich mit Sauerstoff. Das ist ein Problem, denn C für Kohlenstoff und O für Sauerstoff ergibt CO2. Das muss irgendwo hin. In der Luft wollen wir es nicht haben und es gibt keine endlosen Speicherkapazitäten für CO2. 

Grünen Wasserstoff hingegen gewinnt man durch Elektrolyse. Das Verfahren nutzt Strom, um Wasser in seine Elemente Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O) zu spalten. Betreibt man einen Elektrolyseur mit Strom aus erneuerbaren Energien, nennt man diesen grünen Wasserstoff, weil an keinem Punkt der Produktion CO2 freigesetzt wird. 

Ihr Unternehmen Lhyfe konzentriert sich auf die Herstellung von grünem Wasserstoff. Bisher sind die Kapazitäten Ihrer Elektrolyseure aber recht überschaubar, mal arbeiten sie mit einem Megawatt, mal mit zehn Megawatt. 

Wir fangen klein an, lernen und skalieren hoch, lernen wieder, skalieren weiter. Wenn ich sehe, dass andere direkt 500-Megawatt-Anlagen planen, frage ich mich ernsthaft: Wie soll ein solches Projekt, das ja mehrere Millionen Euro kostet, einen Investor überzeugen? Die Risiken, egal ob sie technischer, baulicher oder wirtschaftlicher Art sind, kann man nicht beherrschen, wenn man vorher keine Erfahrung mit kleineren Projekten gemacht hat.

Wie ist Lhyfe stattdessen vorgegangen?

Wir haben 2020 in Frankreich unsere erste Anlage mit einer Kapazität von einem Megawatt in Betrieb genommen. Im Departement Vendée, ein paar hundert Meter vom Atlantik entfernt, produzieren wir dort seither zuverlässig grünen Wasserstoff mit Windstrom für unsere Kunden, darunter zum Beispiel Lidl. Der Lebensmittelhändler betreibt seine Gabelstaplerflotte im Lager in Carquefou mit Wasserstoff. Wir versorgen auch den öffentlichen Personennahverkehr und Wasserstofftankstellen. Jetzt bauen wir sechs weitere Elektrolyseure. Drei in Frankreich und auch drei in Deutschland: in Schwäbisch Gmünd, in Tübingen und in Brake. 

Damit haben Sie schon einige Erfahrungen im Onshore-Bereich gesammelt. 2022 haben Sie in einem Pilotprojekt die Offshore-Produktion von Wasserstoff getestet. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Wir sehen hier großes Potenzial, weil die Offshore-Produktion von Windstrom zunehmen wird. Diesen Strom direkt auf See in Wasserstoff umzuwandeln, könnte das Problem des Stromtransports zumindest verkleinern. 

Was meinen Sie damit?

Ein Beispiel: In Deutschland gibt es zurzeit eine Offshore-Wind-Kapazität von acht Gigawatt, bis 2045 sollen es 70 Gigawatt werden. Schön und gut, aber wie soll dieser Strom vom Norden in den Süden Deutschlands transportiert werden? Die Diskussion über den Bau von Stromtrassen läuft seit zehn Jahren. 

Und Wasserstoff, der direkt an der Windturbine auf See produziert wird, könnte die Lösung sein?
Ja, weil man für den Transport durchs Land bestehende Erdgas-Leitungsnetze umwidmen und nutzen kann – und weil Rohrleitungen günstiger sind als Stromkabel.

Trotzdem klingt es zunächst einmal riskant, einen Elektrolyseur auf hoher See zu betreiben.
Deshalb haben wir das Pilotprojekt Sealhyfe gestartet und 2022 einen Offshore-Elektrolyseur in Betrieb genommen. Unser Ziel war es, zu demonstrieren, dass die Technologie auf hoher See unter extremen Bedingungen zuverlässig läuft. Das ist uns gelungen.

 

Gut zu wissen: Wie viel Wasserstoff benötigt man für …

einen Flug über den Atlantik?
Circa 200 Kilogramm pro Passagier mit E-Fuels in einer Boeing 707 mit 200 Passagieren.
für die Produktion einer Tonne Primärstahl? 
Rund 70 Kilogramm.
für eine Bahnfahrt von Hamburg nach München?
Etwa 1 Kilogramm pro Person im Alstom Coradia iLint bei 50-prozentiger Auslastung.
 für eine Lkw-Fahrt von Berlin nach Stuttgart?
Circa 44 Kilogramm im 40-Tonnen-Lkw.
für eine Pkw-Fahrt von Berlin nach Stuttgart?
Rund 5 Kilogramm im Toyota Mirai II.
für den Energieverbrauch eines durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalts im Jahr?
Etwa 270 Kilogramm – sie entsprechen der Energiemenge von 9.000 Kilowattstunden Strom.

Quelle: Berechnungen des Deutschen Wasserstoff-Verbands (DWV) e. V.

 

Wie lief das ab?

Im Hafen von St. Nazaire in der Bretagne haben wir einen Elektrolyseur mit einem Megawatt Kapazität auf einem Floß installiert. Dieses Floß haben wir rund 20 Kilometer hinaus aufs Meer vor Le Croisic geschleppt und dort mit einer schwimmenden Windturbine verbunden. Es gibt in diesem Seegebiet eine maritime Testumgebung für alle möglichen Offshore-Energie-Technologien, betrieben von der École Centrale de Nantes, einer technischen Universität. 

Wir haben dort zunächst insgesamt sechs Monate lang getestet, wie unser Elektrolyseur möglichst wartungsarm laufen kann. Man kann nicht jede Stunde einen Rundgang machen, das kostet auf See zu viel Geld. Also haben wir uns mit dem Thema Fernwartung beschäftigt und Algorithmen entwickelt, sie getestet und weiterentwickelt. Diese Algorithmen helfen uns dabei, den Elektrolyseur so wartungsarm wie möglich arbeiten zu lassen. Dies ist uns gelungen: Wir mussten in den sechs Monaten unseres Tests nur einmal mit Personal aufs Wasser, um einzugreifen. Rund 300 bis 400 Kilogramm Wasserstoff haben wir dabei täglich produziert. 

Um Wasserstoff durch Elektrolyse zu gewinnen, benötigt man reines Wasser. Wie passt das zum hohen Salzgehalt des Meerwassers?

Wir haben es entsalzt und die Sole ins Meer geleitet. Da es dort draußen starke Strömungen gibt, hat sie sich schnell verteilt und hatte keine besonderen Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung des Elektrolyseurs. Das andere Nebenprodukt der Elektrolyse, Sauerstoff, könnte der maritimen Umwelt sogar helfen: Die Ozeane brauchen es, damit Lebensraum für Fische und Pflanzen erhalten bleibt. Wir forschen aktuell, welche Auswirkungen das Einleiten von Sauerstoff aus der Elektrolyse haben könnte. 

Was war der kritischste Moment des Projekts?

Anfang November 2023 fegte der Sturm Ciaran über den Atlantik vor Frankreich. Die Windturbine ist fast 100 Meter hoch, ihr machen Wellen nicht so viel aus. Um das Floß mit dem Elektrolyseur haben wir uns allerdings Sorgen gemacht. Aber nun wissen wir, dass die Konstruktion Kräften standhält, die von 17 Meter hohen Wellen ausgehen. 

Wie geht es jetzt weiter mit der Offshore-Produktion von grünem Wasserstoff?

Wir sind nach diesem Test überzeugter denn je von der Technologie und planen ein ähnliches Projekt mit einer höheren Kapazität – zehn Megawatt – in der Nordsee vor Ostende. Gemeinsam mit mehreren Partnern wollen wir die technische und finanzielle Tragfähigkeit der Offshore-Produktion und des Pipelinetransports für die Versorgung von Onshore-Kunden nachweisen. Auch wenn es heute noch nicht wirtschaftlich sein mag: Wir sehen großes Potenzial in der Offshore-Produktion von grünem Wasserstoff, vor allem im Zusammenhang mit dem Ausbau der geplanten Offshore-Windenergie. Dieser Strom muss an Land gebracht werden, und wir sind davon überzeugt: Grüner Wasserstoff ist der ideale Träger dafür.

 

Zur Person
Luc Graré leitet derzeit das Geschäft in Zentral- und Osteuropa von Lhyfe. Zuvor war er globaler Vice President für Vertrieb und Marketing beim Wasserstoffproduzenten NEL. Graré verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung im Bereich der erneuerbaren Energien. Bis März 2017 war er Mitglied des Vorstands des europäischen Solarverbands SolarPower Europe. Graré ist über verschiedene Industrieverbände stark in Regulierungsfragen involviert, die die Dekarbonisierung in Europa vorantreiben. 

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