Ökologische Weinwirtschaft – von der Rebe bis zur Flasche
Erst Hitze und Trockenheit, dann Starkregen und Hagel – die zunehmenden Wetterkapriolen haben auch Auswirkungen auf den Weinanbau. Das Weingut Wilhelmshof sieht sich mit einem klimafreundlichen Konzept gut gewappnet.
Schlechte Nachrichten für Riesling-Liebhaber: Bei langanhaltender Hitze und hoher UV-Strahlung neigt die Rebsorte zu Sonnenbrand: Auf der Haut der Weinbeeren bilden sich braune Flecken. Im schlimmsten Fall bekommt sie Risse und die Frucht trocknet aus. Das verringert nicht nur die Erntemenge, auch die Qualität der Weine leidet. Langfristig könnte das zu Sortenverschiebungen führen. Noch wächst Riesling auf mehr als 20 Prozent der deutschen Rebflächen und liegt damit auf Platz eins, aber sonnenliebende Weißweinsorten holen auf. Damit die Rebsorte in Deutschland eine Zukunft hat, müssen sich Winzer anpassen. Beispielsweise das Laub so schneiden, dass die Blätter der Reben die Trauben vor Sonne schützen. Oder neue Anbaugebiete in höheren und weniger sonnenreichen Lagen erschließen. Gleichzeitig können sie mit ressourcenschonender Bewirtschaftung ihren Anteil dazu beitragen, den Ausstoß von klimaschädlichem CO2 zu verringern. Das Wein- und Sektgut Wilhelmshof in Siebeldingen an der südlichen Weinstraße macht vor, wie das geht – vom Anbau bis zur Lagerung. Es ist bislang das einzige Weingut, das die Aufnahme in den Deutschen Nachhaltigkeitskodex geschafft hat.
Moderner Weinanbau: Auf den Humusgehalt kommt es an
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Ernte ist ein humusreicher Boden. Auf ihren Weinbergbrachen – Flächen, die Winzer nach dem Roden eines Weingartens auf die Bepflanzung mit neuen Rebstöcken vorbereiten – säen Barbara Roth und ihr Mann Thorsten Ochocki abwechselnd Winterroggen und Sonnenblumen aus. Die ausgewachsenen Pflanzen pflügen sie um und reichern den Boden so sieben Jahre lang mit Humus an. Das organische Material liefert nicht nur Nährstoffe, sondern steigert auch die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu speichern, wie Roth vorrechnet: „Mit etwa ein Prozent Humus kann Erde circa einen Kubikmeter Wasser speichern. Der Humusgehalt herkömmlich bewirtschafteter Böden liegt bei rund 1,5 Prozent – unsere Weinberge haben bis zu 3,8 Prozent und können dementsprechend mehr Wasser für die Pflanzen speichern.“ In Zeiten mit großer Trockenheit sind die Reben also länger mit dem wichtigen Nass versorgt.
Hinzu kommt: Böden, die viel Wasser aufnehmen können, leiden bei Starkregen weniger unter Erosion. Familie Roth verstärkt diesen Effekt noch, indem sie den Bewuchs zwischen den Reben nicht mit Pflanzenschutzmitteln bekämpft, sondern sinnvoll nutzt: Die Stiele der Pflanzen knicken sie regelmäßig mit speziellen Walzen um. So stabilisieren die immer noch aktiven Wurzeln den Boden, die abgeknickten Pflanzenteile trocknen aus, beschatten ihn und verringern so die Verdunstung.
Mit Nützlingen anstatt Pestiziden gegen Schädlinge
Auch bei der Schädlingsbekämpfung setzt das bio-zertifizierte Weingut auf umweltfreundliche Verfahren. Roth: „Wir arbeiten mit Gegenspielern aus der Natur. Da wir keine Pestizide spritzen, hat sich zum Beispiel die Raubmilbe in unseren Weinstöcken vermehrt. Sie ist ein natürlicher Feind der Roten Spinnmilbe, die junge Triebe und Blätter zerstört.“ Das immer mildere Klima lockt allerdings auch neue Schadorganismen wie die asiatische Kirschessigfliege oder die aus Südeuropa stammende Glasflügelzikade an. „Das sind Insekten, die wir früher nur aus dem Auslandspraktikum kannten“, berichtet Roth.
Damit sich Nützlinge wie der Marienkäfer, der Blattläuse frisst, in den Weinbergen wohl fühlen, hat die Winzerfamilie Streuobstwiesen, Blühstreifen, Trockenmauern und drei mehr als fünf Meter hohe Lebenstürme angelegt, in denen neben Insekten auch Reptilien, Kleinsäuger und Vögel Unterschlupf finden.
Weniger Emissionen dank neuer Rebsorten
Darüber hinaus setzt der Wilhelmshof auf besonders robuste Rebsorten. In den 1990er-Jahren begannen Züchter Wild- und Kulturreben zu kreuzen, daraus entstanden neue, pilzwiderstandsfähige Rebsorten, Piwis oder Zukunftsweine genannt. Familie Roth baut mit Cabernet Blanc und Satin Noir zwei dieser Zukunftsweine an. „In Weinhängen mit diesen Sorten können wir die Pflanzenschutzmaßnahmen um bis zu 80 Prozent reduzieren und müssen nur etwa halb so oft mit dem Traktor in den Weinberg fahren“, sagt die Winzerin und fasst zusammen: „Insgesamt lassen sich die CO2-Emissionen mit dem Anbau von Zukunftsweinen um bis zu 75 Prozent reduzieren.“ Trotz dieser Vorteile gedeihen die neuen Rebarten laut Deutschem Weininstitut erst auf rund drei Prozent der deutschen Weinflächen. Das liegt vor allem daran, dass die Verbraucher die Sorten bislang kaum kennen und deshalb wenig nachfragen.
Nachhaltige Energiequellen auf dem Weingut sind selbstverständlich
Die benötigte Energie gewinnt das Weingut ebenfalls möglichst nachhaltig: Rund 40 Prozent des genutzten Stroms stammt aus eigenen Photovoltaikanlagen. Wohnhaus und Büro sind an eine mit Solarstrom betriebene Wärmepumpe angeschlossen, die das Brauchwasser erwärmt. Ein Holzvergaserkessel, den die Winzerfamilie im Winter mit gerodeten Weinbergstöcken befeuert, ersetzt seit einigen Jahren die Ölheizung.
Sogar die Weinkühlung erfolgt auf dem Wilhelmshof klimaschonend: Ihre Holzfässer lagern die Winzer in einem 1840 erbauten Keller, dessen Wände aus Sandstein sind. Dieser hält die Temperatur konstant zwischen 12 und 14 Grad, im Sommer und im Winter. In einem zweiten, neueren Keller lagern die abgefüllten Flaschen – hier sorgen energieeffiziente Ventilatoren für ausreichende Kühle.
Alternativen zur Einweg-Weinflasche gehören die Zukunft
Apropos Flaschen: Hier schlummert großes Potenzial, um die Ökobilanz nachhaltig zu verbessern – auch für den Wilhelmshof. Im Jahr 2023 haben Winzerbetriebe in Deutschland 8,6 Millionen Hektoliter Wein und Most produziert. Genug, um rund 1,1 Milliarden 0,75-Liter-Glasflaschen zu füllen. Einsparmöglichkeiten bieten dünnwandige Leichtglasflaschen, die in der Herstellung weniger Rohstoffe benötigen und beim Transport weniger Emissionen verursachen als herkömmliche Flaschen. Das geht Roth aber nicht weit genug: „Ein Pfandsystem wäre ideal. Dazu müsste man sich aber auf ein einheitliches Flaschendesign einigen.“ Unternehmen wie die Verallia Deutschland AG arbeiten bereits daran. Der Glasproduzent aus Bad Wurzach hat 2023 eine Wein-Mehrwegflasche eingeführt und kümmert sich um Lehrgut-Rückführung und Flaschenspülung.
Für die Gastronomie böten sich auch Mehrwegfässer oder Bag-in-Box-Lösungen an. Roth: „Bei leichten Weißweinen, die in großen Mengen ausgeschenkt werden, funktioniert das gut. Für teure Rotweine, die mehrere Jahre in der Flasche nachreifen, sind diese Varianten nicht geeignet.“ Für die Winzerin gilt für alternative Verpackungen letztendlich dasselbe, wie für Piwi-Weine: „Nur, wenn die Nachfrage am Markt steigt, gelingt die Umstellung.“
103.687 Hektar
umfassten die Rebflächen 2023 in Deutschland.
Quelle: Destatis
42,6 Prozent
der in Deutschland verbrauchten pfandpflichtigen Getränke stammten 2021 aus Mehrwegverpackungen.
Quelle: Umweltbundesamt
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