Von wegen Schietkram – Energie aus Klärschlamm
Der bei der Abwasseraufbereitung anfallende Klärschlamm ist nicht einfach nur Dreck, der weg kann. Er kann eine Energie- und Rohstoffquelle sein. Ein Berliner Start-up will nun die Schätze heben, die der Schlamm birgt.
Klärschlamm stinkt, ist unansehnlich – und absolut unterschätzt. Das graubraune Material birgt nämlich viele wertvolle Bestandteile. „Es kann im Grunde alles enthalten, was im Periodensystem der Elemente vorkommt – in Form von Metallen und Verbindungen, die man gerne recyceln würde“, sagt Frank Behrendt, Professor für Energieverfahrenstechnik und Umwandlungstechniken regenerativer Energien an der TU Berlin. Rund 80 Prozent des Klärschlamms wird laut Statistischem Bundesamt verbrannt und dient so im besten Fall noch als Energielieferant. Dies ist in der Regel aber nur im großen Stil lukrativ: Auf knapp 10.000 kommunale Kläranlagen in Deutschland kamen laut BUND 2022 gerade einmal 20 Anlagen zur thermischen Verwertung, bis 2028 sind neun weitere geplant. Die Kommunen karren die meist getrocknete Masse also 100 Kilometer oder noch weiter bis zum nächsten Verbrennungsofen – das ist teuer und belastet die Umwelt.
Die Kläranlage als Kraftwerk
Dass alle Kläranlagen, unabhängig von ihrer Größe, zu Kraftwerken werden und Klärschlamm als Ressource künftig für Wärme und Strom sorgt, ist die Mission des Start-ups Shit2Power GmbH. Die Berliner haben eine kompakte Anlage zur Klärschlammverwertung entwickelt und verfolgen damit ein hochgestecktes Ziel: die Abwasserreinigung revolutionieren, weltweit. „Wir wollen mit unserem System Kläranlagen jeder Größenordnung in autarke Kraftwerke verwandeln und so die Wasseraufbereitung ökologisch und ökonomisch ressourcenschonend ermöglichen“, sagt Nina Heine, die gemeinsam mit Dr. Fabian Habicht das Unternehmen gegründet hat.
Der Weg dorthin soll den beiden Berlinern zufolge über eine Containeranlage laufen, die auf einem dreistufigen thermochemischen Prozess beruht. In Stufe eins wird der Klärschlamm getrocknet. Stufe zwei befindet sich in einem Reaktor: Dort wird der Schlamm unter kontrollierter Luftzufuhr bei einer Prozesstemperatur von circa 850 Grad Celsius in ein energiereiches Gas und in Asche aufgespalten. Das Gas wird auf Stufe drei thermisch verwertet. Dabei entstehen Strom und Wärme. Ersteres wird zum Betrieb der Containeranlage benötigt. Die Wärme wiederum nutzt man für die energieintensive Trocknung der Biomasse auf Stufe eins – so lässt sich ein wärme-autarker Betrieb der Anlage realisieren.
Abhängig vom Energiegehalt und der Beschaffenheit des Schlamms können bei diesem Prozess Strom und Wärme übrigbleiben: „Mit dieser überschüssigen Energie können die Klärwerksbetreiber auch andere Prozesse der Kläranlage bestreiten, sodass sie weniger Strom zukaufen müssen“, sagt Habicht. Ein wichtiger Aspekt, immerhin sind Kläranlagen mit einem Anteil von 20 Prozent am Gesamtenergiebedarf einer Kommune die größten Verbraucher, erklärt das Umweltministerium Baden-Württemberg in seinem Leitfaden Energieeffizienz auf Kläranlagen.
Kleine Kommunen profitieren
Der Shit2Power-Prozess soll nicht nur effizienter sein als die sogenannte Monoverbrennung, bei der vor allem die fachgerechte Entsorgung des Klärschlamms, nicht aber die Energiegewinnung im Vordergrund steht. „Im Gegensatz zur Monoverbrennung funktioniert unser Prozess auch im kleinskaligen Maßstab und berücksichtigt damit künftige Regularien auf EU und Bundesebene“, erläutert Heine. Jede Containeranlage soll für Kläranlagen mit einer Kapazität für die Hinterlassenschaften von 4.000 bis 30.000 Einwohnern konzipiert werden. Außerdem sind die Container stapelbar, um den Bedarf größerer Städte zu decken. So ist die Lösung von Shit2Power auch für Kommunen mit Kläranlagen für beispielsweise 60.000 oder 120.000 Einwohnern geeignet.
Dass die Technologie an sich schon jetzt funktioniert, haben die beiden Jungunternehmer im Mai dieses Jahres gezeigt: „Beim Hamburger Derby 2024 haben wir unsere Anlage erfolgreich mit Pferdeäpfeln betrieben“, sagt Heine, die aktuell zusammen mit ihrem Kompagnon dabei ist, weitere Investoren für ihre Idee zu begeistern.
Wertvolle Reste
US-Forscher waren 2015 einem neuen Goldrausch auf der Spur. Der Ort, an dem sie das neue El Dorado vermuteten: die örtliche Kläranlage. Ein Team der Arizona State University zeigte damals, dass jede Tonne Klärschlamm Edelmetalle wie Gold, Silber, Kupfer oder Platin im Wert von 280 US-Dollar enthält. Auch Schweizer Forscher untersuchten 2017 den lokalen Klärschlamm und fanden Gold – hochgerechnet immerhin rund 43 Kilogramm pro Jahr.
Ein weniger glamouröser Stoff beflügelt die Fachwelt in der Gegenwart allerdings noch mehr: Phosphor, der in der Landwirtschaft als Dünger eingesetzt wird. Eine deutsche Verordnung legt fest, dass Kläranlagen Phosphor künftig aus Klärschlamm rückgewinnen müssen. Forscher des Fraunhofer Instituts UMSICHT haben deshalb gemeinsam mit der Aquattro GmbH sowie der Wupperverbandsgesellschaft für integrale Wasserwirtschaft WiW ein Verfahren entwickelt, mit dem das gelingen kann – mithilfe von Ultraschall. Es wird seit 2021 in einem größeren Projekt gemeinsam mit RWE erprobt.
Herausforderung angenommen
Nun muss man dazu wissen, dass Pferdeäpfel um einiges trockener sind als Klärschlamm. Das ist auch Experte Behrendt klar. Dennoch ist der Professor von der Grundidee des Start-ups durchaus angetan: „Die Prozesskette ist vom Grundsatz her vernünftig. Sie wird jedoch nur funktionieren, wenn man sicherstellen kann, dass die Stoff- und Energieströme zueinander passen.“ Oder einfacher ausgedrückt: Zu viel Klärschlamm für zu wenig Prozesswärme führt genauso zu Problemen im Betriebsablauf, wie zu wenig Klärschlamm.
Diese Herausforderung habe das Team auf dem Schirm, kontert Habicht und verrät: Shit2Power arbeite während des Probebetriebs mit der für 4.000 Einwohner ausgelegten Anlage in iterativen, also sich wiederholenden Tests, um den idealen Betriebsmodus zu finden. Insbesondere die Zufuhr von Klärschlamm und Luft wird so aufeinander abgestimmt, dass ein autarker Betrieb möglich ist. Der Zeitplan, den sich die Berliner gesetzt haben, ist straff: 2026 soll die Pilotanlage für 30.000 Einwohnern laufen, ab 2028 wollen sie die Container in Serie produzieren und weltweit einsetzen. Dieser Herausforderung nimmt sich ein aktuell zehnköpfiges Team an.
Experte Behrendt ist zuversichtlich, dass die Berliner sie meistern können. „Sollte das Shit2Power-Team es schaffen, auch auf einer größeren Anlage zu zeigen, dass sie für zum Beispiel 90 Prozent der Fälle im Alltag einer Kläranlage stabil laufende Lösungen haben, wird das Kunden und Investoren überzeugen“, sagt er und legt sich fest: „Das wäre ein wesentlicher Schritt, um die Abwasseraufbereitung auf dezentralere Füße zu stellen.“
471,8 Millionen Kilowattstunden
Strom und 860,4 Millionen Kilowattstunden Wärme wurden in Deutschland 2022 durch die Verbrennung von Klärschlamm erzeugt.
Quelle: Statistisches Bundesamt
1,67 Millionen Tonnen
Klärschlamm wurden 2022 in Deutschland entsorgt, davon wurden 1,34 Millionen Tonnen thermisch verwertet.
Quelle: Statistisches Bundesamt
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