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Grüner wird's nicht

Text von Heike Fischer
21.07.2023
Nachhaltigkeit

Reifen und Bremsen von PKWs erzeugen ultrafeine Partikel, die gesundheitsschädlich sind. Projektleiter Franz Philipps hat mit seinem Team am DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte ein Auto entwickelt, das einen Großteil dieser Emissionen vermeidet.

Herr Philipps, wenn es um umweltfreundliche Mobilität geht, reden alle von CO2, aber nur wenige von Feinstaub und Mikroplastik. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich den gesundheitsschädlichen Partikeln aus dem Reifen- und Bremsenabrieb zu widmen? 

Im Februar 2019 gab es in Stuttgart an 21 von 28 Tagen Feinstaubalarm. Deshalb war es naheliegend, sich um diese Problematik zu kümmern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO benennt die Luftverschmutzung als größte gesundheitliche Bedrohung: 99 Prozent der Menschen weltweit atmen schadstoffbelastete Luft ein. Nicht nur CO2, Ozon und Stickoxide, sondern auch Mikroplastik und Feinstaub gehören zu den Verursachern der Luftverschmutzung. Insbesondere ultrafeiner Staub aus dem Bremsabrieb von Fahrzeugen hat großes toxisches Potenzial und kann lebensverkürzend sein.

Sind Fahrzeuge mit Elektromotor eine Lösung?

Elektroantriebe allein lösen das Problem der durch Verkehr verursachten Umweltbelastung nicht, weil diese Autos mit konventionellen Reifen und Bremsen ausgestattet sind. Darüber hinaus haben wir eine Zunahme an Emissionen im Verkehr, weil wir immer mehr Kilometer fahren, die Automobile immer schwerer werden und immer höher motorisiert sind. Wog ein VW-Golf der ersten Generation noch 750 bis 800 Kilogramm je nach Ausstattung und hatte 50 PS, wiegt das aktuelle Modell rund 1.600 Kilogramm und hat rund 100 PS. Dieser Trend wird sich nicht umkehren und die Industrie bewegt sich erst, wenn der Gesetzgeber dies verlangt.

Je schwerer und je schneller die Fahrzeuge, desto höher sind die Emissionen aus dem Bremsen- und Reifenabrieb?

Richtig. Deshalb ist es nur eine logische Konsequenz, an diesen Komponenten zu arbeiten und Technologien für die bevorstehenden gesetzlichen Vorgaben zu entwickeln. In der Europäischen Union sollen im Jahr 2030 die Grenzwerte für Feinstaub herabgesetzt werden. So wird der Grenzwert für Feinstaub mit einem Durchmesser von weniger als zehn Mikrometer halbiert. Das heißt der Wert wird von 40 auf 20 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft herabgesetzt und der für Feinstaub mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer, der beim Atmen bis in die Lunge gelangen kann, von 25 auf zehn Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Und ab 2050 soll eine Null-Verschmutzung gelten. Mit der für 2025 geplanten Euro-7-Abgasnorm wird es erstmals auch Regularien für Emissionen von Bremsen geben. Entsprechende Vorschriften für Reifen werden folgen.

Die Emissionen von Reifen und Bremsen werden künftig also ein wichtiges Thema für die Automobilindustrie sein.

Ja, deshalb konzentrieren wir uns mit unserem ZEDU-1 auf diese Aspekte. Dafür hat unser achtköpfiges Team aus Ingenieuren und Wissenschaftlern am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Ideen erarbeitet, die das baden-württembergische Wirtschaftsministerium als wegweisend bewertete und mit sechs Millionen Euro Fördergelder unterstützt.

ZEDU-1 – die Abkürzung steht für …

… Zero Emission Drive Unit – Generation 1, also eine Null-Emissions-Antriebseinheit, mit der wir die durch Verkehr entstehenden Ultrafeinstaub-, Feinstaub- und Mikroplastikbelastungen komplett vermeiden möchten. Die Innovation besteht aus einem neuartigen Bremssystem und einem umgestalteten Radkasten. Um diese neue Technologie im Betrieb unter realen Bedingungen zu testen, haben wir gemeinsam mit Partnern aus der Automobilindustrie, der HWA AG und anderen, einen eigenen, straßentauglichen Prototyp entwickelt: ZEDU-1.

Was hat ZEDU-1 anderen Fahrzeugen voraus?

Anstelle der üblicherweise mit der Radnabe verbundenen Scheibenbremse haben wir eine Lamellenbremse eingesetzt. Diese bildet ein geschlossenes System, das wir in den Elektromotor integriert haben. Dadurch wird kein Bremsabrieb in die Umwelt emittiert. Da wir die Bremsanlage in die Antriebseinheit verlegt haben, konnten wir zudem den Radkasten sehr kompakt und aerodynamisch konstruieren. In diesem geschlossenen Radkasten werden die Partikel aus dem Reifenabrieb abgesaugt und herausgefiltert. So tritt ausschließlich gereinigte Luft aus dem Fahrzeug aus.

Wie effizient ist das System?

Bei einer Fahrgeschwindigkeit bis 60 Stundenkilometer werden die Partikel aus dem Reifenabrieb komplett aufgenommen, bei 120 Stundenkilometer sind es immer noch 89 Prozent. Und in Kombination mit einer eigens entwickelten Hochleistungselektronik und einer speziellen Batterie für Elektrofahrzeuge kann die Bremsenergie nun nahezu vollständig zurückgewonnen werden, sodass der mechanische Bremsanteil auf ein Minimum reduziert wird.

Funktioniert das nur im Labor?

Nein, die Wirksamkeit der Komponenten konnten wir im ZEDU-1-Demonstrator bei Testfahrten nachweisen und mit einem BMW-Serien-Elektrofahrzeug, das als Versuchs- und Referenz-Messfahrzeug dient, abgleichen.

Wird ZEDU-1 eines Tages straßentauglich sein?

Ich habe die Hoffnung, dass die Industrie einige Aspekte übernimmt und für ihre Bedürfnisse weiterentwickelt. Ich verstehe meinen Job darin, aufzuzeigen, dass es möglich ist, nahezu ohne Emissionen unterwegs zu sein. Erst wenn wir das unter Beweis stellen, kann die Politik reagieren und Regularien beschließen. Und dann erst reagiert die Industrie.

Wie fallen die Reaktionen auf ZEDU-1 bisher aus?

Die Resonanz ist sehr positiv. Beim Greentech-Festival 2023 war das Interesse etwa bei Finanzminister Christian Lindner und bei dem früheren Formel-1-Rennfahrer Nico Rosberg, der heute Investor im Bereich der grünen Mobilität ist, groß.

32 Prozent
des Feinstaubs auf Straßen geht auf den Abrieb von Bremsbelägen zurück.
Quelle: DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte

100.000+ Tonnen
Mikroplastik entstehen jährlich in Deutschland durch den Abrieb von Reifen.
Quelle: BUND

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