Vom Wald in den Wind
Herkömmliche Windräder bestehen aus einem Stahlturm, der wiederum Rotoren und einen Generator trägt. Das Unternehmen Modvion hat eine alte Idee wiederbelebt und weiterentwickelt: Die Schweden setzen im Windradbau auf Holz statt Stahl.
500 bis 600 Tonnen Stahl, so viel Material wird für den Bau eines konventionellen Windrads benötigt. Aus Klimaschutzperspektive ist das nicht unproblematisch, schließlich gehört die Stahlindustrie zu den energieintensivsten Industrien überhaupt. In Deutschland etwa ist sie für 28 Prozent der gesamten Industrieemissionen verantwortlich. Doch ohne Windkraft wird die Wende zu einer klimaneutralen Stromerzeugung hierzulande schwierig. Es ergibt also durchaus Sinn, sich über alternative Werkstoffe für den Windradbau Gedanken zu machen – und das geschieht auch.
Deutsche Entwickler – ihrer Zeit voraus
Auf einem Gelände der Leibniz Universität Hannover steht ein Windturm, der einmal die Zukunft der Windkraft hätte werden sollen. Der rund 100 Meter hohe, achteckige Turm besteht aus Brettsperrholz-Modulen aus Fichte und trägt einen Generator mit immerhin rund 100 Tonnen Gewicht.
Doch der Turm war nur ein Pilotprojekt und ist es auch geblieben. Das Unternehmen Timber Tower, das die Konstruktion entworfen hatte, ist inzwischen Geschichte. Zu ungewöhnlich war die Bauweise aus Holz mit Verklebungen über Lochbleche, zu langwierig der Zertifizierungs- und Zulassungsprozess in Deutschland ohne vereinheitlichtes Verfahren. Damit hatte die Holzvariante im Vergleich zu Bauten aus Stahl wirtschaftliche Nachteile – zumindest lautete so das Fazit der Experten Mike Sieder von der Technischen Universität Braunschweig und Carlo Schröder vom Sachverständigenbüro Reprojekt. Ihre Einschätzung hatten beide in einem Fachartikel für das Internationale Holzbau-Forum 2019 dargelegt.
Zweites Leben für das Holzwindrad
Die Idee, Windtürme aus Holz zu bauen, ist trotzdem alles andere als tot. Die Gründer des schwedischen Start-ups Modvion haben sie in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Das in Göteborg beheimatete Unternehmen baut Windtürme aus Holzmodulen, die schon längst über die Pilotphase hinausgekommen sind. Ihre Konstruktion habe mindestens zwei Vorteile, erklärt CEO Otto Lundman: „Mit Holz verwenden wir erstens einen nachhaltigen Baustoff, der CO2 speichert. Und zweitens erlaubt es unsere Konstruktion, große Windräder auch in Gegenden zu bauen, die bisher nicht als Windkraftstandorte geeignet waren.“ Schwertransporte, Straßensperrungen und abgebaute Straßenschilder? Nicht nötig, zumindest nicht für den Turmbau. „Damit verbessern wir die Skalierbarkeit von Windenergieprojekten auf der ganzen Welt“, sagt Lundman.
Möglich macht es die modulare Konstruktion, die sich Modvion hat einfallen lassen. Statt stählernen Modulen, die als Ganzes transportiert werden müssten, produziert das Unternehmen in einer Fabrik in Göteborg Viertelschalen aus miteinander verklebten Furnierschichtholzplatten (LVL – Laminated Veneer Lumber). Sie werden mit ganz normalen Lkws auf die Baustellen transportiert. Erst vor Ort kleben Bauarbeiter die Viertelschalen zu kompletten Zylindern von 16 bis 24 Metern Höhe zusammen und bauen mit ihnen Abschnitt für Abschnitt den Turm auf.
Verbunden werden die Module mit Klebstoff, verstärkt durch Stahlbleche. Eine Ummantelung aus wasserdichtem Zweikomponenten-Polyurea sorgt dafür, dass das Holz vor Witterungseinflüssen von außen geschützt ist. Theoretisch sei diese Konstruktion mit einigen Anpassungen auch für Offshore-Windräder möglich, man konzentriere sich im Moment aber erst einmal auf den Onshore-Bereich, sagt Modvion. Das Unternehmen hat die Türme für eine Betriebsdauer von 25 bis 35 Jahren konstruiert und zertifiziert. Danach könne das Material recycelt werden, heißt es seitens des Unternehmens.
LVL besteht aus vielen dünnen, miteinander verleimten Holzschichten. Warum es ausgerechnet dieser Werkstoff geworden ist? David Olivegren, Mitgründer und Concept Engineer bei Modvion, weiß die Antwort: „LVL hat bessere mechanische Eigenschaften als andere Leimholzprodukte, was es material- und kosteneffizient macht.“ Die eigentliche Herausforderung, so Olivegren, habe darin bestanden, die Lieferanten davon zu überzeugen, die von Modvion entworfene Spezialplatte herzustellen. „Letztendlich war das aber kein Problem für sie.“
Leichter und stärker als Stahl sei das Material obendrein, sodass man die Türme von Modvion höher bauen könne, ohne sie verstärken zu müssen. Das passt in eine Zeit, in der der Trend eindeutig zu höheren Windkraftanlagen geht. Das derzeit höchste Windrad der Welt ist übrigens in der Lausitz geplant: Rund 300 Meter vom Boden bis zum Mittelpunkt des Rotors und rund 365 Meter bis zu Rotorspitze soll das Windrad messen, das bis Ende 2024 im brandenburgischen Schipkau entsteht.
In Schweden dreht sich was
Dass Windräder immer größer und höher werden, hat einen physikalischen Grund. In größerer Höhe sind die Windgeschwindigkeiten stärker und zuverlässiger, größere Windtürme können mehr Rotorfläche tragen. Dennoch verwundert es etwas, dass Modvion auf seiner Website mit einer möglichen Turmhöhe von bis zu 1.500 Metern wirbt. Wie realitätsnah das ist, bleibt abzuwarten. Aber eine Höhe von mehr als 100 Metern ist schon jetzt drin.
Das zeigt der erste kommerzielle Auftrag von Modvion: „Der Windturm, den wir für unseren Kunden, den schwedischen Energiedienstleister Varberg Energi, realisiert haben, misst 103 Meter“, sagt Lundman. Die Anlage mit dem klingenden Namen Wind of Change liegt rund 150 Kilometer nordöstlich von Göteborg vor den Toren der schwedischen Stadt Skara und ist das bis dato größte Windkraftwerk aus Holz. In dem im März 2024 eingeweihten Turm generiert eine Zwei-Megawatt-Turbine des dänischen Branchenriesen Vestas Strom. Vesta hält bereits seit 2021 Anteile an Modvion. Das Design passe gut in die Modularisierungsstrategie, mit dem man Kunden künftig auch nachhaltigere Alternativen zu Windtürmen aus Stahl anbieten wolle, heißt es in einer Pressemitteilung von Vestas zur Beteiligung.
Schlüsseltechnologie Holzbau
Für Beratung rund um die Verklebung haben sich die Schweden übrigens deutsche Expertise eingeholt. Insgesamt dreimal war Malte Mérono, Experte für Qualitätsprüfung und -bewertung beim Fraunhofer-Institut für Holzforschung WKI, vor Ort und hat sowohl die Produktion der Viertelschalen als auch den Bauprozess in verschiedenen Phasen begleitet. Inwiefern sich eine Baustelle für einen Holzturm von einer Baustelle für einen Stahlturm unterscheide? „Selbstverständlich muss man beim Bauen und Kleben mit Holz ganz besonders genau auf spezielle Parameter, wie etwa die Feuchtigkeit, achten.“ Hinzu kommt: Beim Kleben hat man in der Regel bei Klebstoffen dieser Art nur rund 20 Minuten Zeit, um zu korrigieren – danach ist das Bauteil hinüber.
Mérono zeigt sich überzeugt von der Idee, Windtürme aus Holz zu bauen. „Im gesamten Bausektor wollen und müssen wir CO2 einsparen. Holz und seine Verklebung wird zu einer der Schlüsseltechnologien für große Bauten werden. Aus diesem Grund hat das Konzept von Modvion meiner Meinung nach auch großes Potenzial für die Energiewende in Deutschland.“
Fünf Alternativen zum klassischen Windrad
Tüftlerinnen und Ingenieure weltweit nehmen sich der Frage an, wie man aus Wind Strom machen kann und sind dabei mit Projekten in verschiedenen Entwicklungsstadien beschäftigt. Spoiler: Es muss nicht immer nur hoch und dreiflügelig sein.
Alternative 1: die Wand
Airiva baut Vertikalrotoren zu Windwänden zusammen. Auf den ersten Blick ähneln sie Skulpturen, die so auch im Garten eines Museums stehen könnten. Das liegt an ihrer helixförmigen Konstruktion. Die Windwand soll zum Beispiel in Häfen, an Straßenrändern oder auch auf oder an Gebäuden zum Einsatz kommen. Ende 2024 sollen die ersten Pilotanlagen für Kunden fertig sein.
Alternative 2: die Leine
Airloom Energy ist ein Start-up aus den Weiten des US-Bundesstaats Wyoming, wo der Wind über die Ebenen pfeift. Der völlig neue Typ Windkraftwerk, den Airloom konzipiert hat, soll den bodennahen Wind nutzen. Es sieht aus wie eine Wäscheleine, an der in einem Oval statt T-Shirts und Hosen längliche Flügel hängen. Der Wind treibt diese Flügel an und bewegt so die Leine. Die Bewegung wandelt ein Transformator in Strom um. So abgefahren das klingen mag: Bill Gates hat investiert.
Alternative 3: die Wabe
Das schottische Start-up Katrick Technologies denkt Windräder ganz neu: ohne Rad. Der Wind pfeift durch sechseckige Windpanels, in denen er Klappen bewegt, die Katrick als Aerofoils bezeichnet. Die Klappen drehen sich nicht, sie flattern beziehungsweise oszillieren. Diese Oszillationen werden in Stromenergie umgewandelt. Das an Waben angelehnte Design soll Windenergie auch für einzelne Haushalte verfügbar machen.
Alternative 4: die Dose
Von weitem erinnern die Harmony Turbines des gleichnamigen Herstellers an eine sich drehende Dose mit mal mehr, mal weniger integrierter Hülle. Tatsächlich handelt es sich um eine Art Schaufeln, die sich, vom Wind angetrieben, um die eigene Achse drehen. Wird der Wind zu stark, schließt sich das Design und die Anlage sieht aus wie eine Dose. Der Generator soll besonders leise sein.
Alternative 5: der Einzelgänger
Die Niederländer von Touch Wind bieten nach dem Motto „Weniger ist mehr“ eine Offshore-Alternative zu Windrädern und gehen mit einem Monoflügel ins Rennen, dem Touch Wind Mono. Herstellerangaben zufolge wurde der Einflügler so konzipiert, dass er sich schwimmend an hohe Windgeschwindigkeiten anpasst – weht der Wind schwächer, arbeitet Mono in einem anderen Winkel als bei stärkerem Wind.
60,9 Gigawatt
betrug die installierte Windkraftleistung in Deutschland Ende 2023.
Quelle: Bundesnetzagentur
4,8 Megawatt
durchschnittliche Leistung erzeugt eine typische in Deutschland installierte Windkraftanlage.
Quelle: Bundesverband Windenergie
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