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Wenn Fische Gemüse züchten ...

Text von Maria Kessen
15.06.2022
Nachhaltigkeit

Aquaponik verbindet Fischzucht und Pflanzenanbau. Der Ansatz kann einen Beitrag zur Nahrungsmittelsicherheit leisten – und dabei gleichzeitig Ressourcen schonen.

Basilikum. Nichts als Basilikum, wohin das Auge auch reicht. Auf dem Dach eines Supermarkts in Wiesbaden-Erbenheim steht ein Gewächshaus für das Kraut – mehrere Tausend Pflanzen sind hier in Töpfen aufgereiht. Die gläserne Anlage ist Teil eines Pilotprojekts der REWE-Gruppe: Im Mai des Jahres 2021 eröffnete der Konzern den ersten Markt inklusive Green Farming. In der Dachfarm wird das Basilikum ausgesät, gezüchtet und für den Verkauf vorbereitet. Zugleich ist das Grün Teil eines aquaponischen Kreislaufsystems. Nur eine Etage tiefer befindet sich der zweite Teil der Farm: große schwarze Fischbecken, in denen Buntbarsche ihre Kreise ziehen. 

Nicolas Leschke, Geschäftsführer der Berliner ECF Farmsystem, hat das Aquaponik-Konzept für die REWE-Gruppe ausgearbeitet und vor Ort umgesetzt. Leschke ist sich sicher: „Aquaponik beziehungsweise Urban Farming wird in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Lebensmittelerzeugung leisten.“ Seine Argumente: kurze Transportwege, kurze Kühlketten – und somit auch bessere CO2-Bilanzen. „Vor allem geht es aber darum, dass man bei der Aquaponik auf kleinem Raum viel produziert und das sogar ressourceneffizient“, sagt Leschke. 

Aquaponik ist seit Jahren Trend in der nachhaltigen Lebensmittelproduktion – Pflanzenzucht (Hydroponik) wird mit Fischkultur (Aquakultur) gekoppelt. Der Ansatz ist nicht neu: Schon die Azteken praktizierten vor 600 Jahren ein ähnliches System in den Sumpfgebieten Mittelamerikas. Auf künstlich angelegten Anbauflächen, sogenannten Chinampas, bauten die mexikanischen Ureinwohner mitten im Wasser Mais, Bohnen und Gemüse an – und sorgten damit für die Versorgung der stark wachsenden Bevölkerung.

Die Idee hinter Aquaponik ist die Verknüpfung von natürlichen Wertschöpfungsketten. Die Ausscheidungen der Fische dienen den Pflanzen als Dünger. Die Bakterien im System wiederum reinigen das „Abwasser“ der Fische, in dem sie das hochgiftige Ammoniak, das aus dem Eiweißstoffwechsel der Fische stammt, in Nitrate umwandeln. Die Pflanzen wiederum absorbieren das Nitrat über ihre Wurzeln als wichtigen Nährstoff. 

Werner Kloas, Professor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), ist ein Fan der Verbindung von Fisch- und Pflanzenzucht. Gemeinsam mit seinen Kollegen beschäftigt er sich schon seit vielen Jahren mit Indoor-Farming-Kreislaufsystemen und forscht zu nachhaltigen Aquakulturen. Dabei gab es ein Problem, das es für die Wissenschaftler zu lösen galt: „Wie bei jeder Tierzucht entstehen in der Aquakultur Emissionen“, sagt Kloas. „Diese würden die Umwelt belasten, wenn sie nicht in eine Kläranlage überführt werden, was teuer ist.“ Die Lösung lag für die Forscher darin, das Abwasser, das eigentlich in die Kläranlage müsste, als Wertstoff für Pflanzen zu betrachten. Die Suche nach nachhaltigen Systemen führte sie damals zur Aquaponik. 

Für Kloas und sein Team war die klassische oder ursprüngliche Aquaponik, die auf die Einkreislauftechnologie setzt, jedoch nicht ausreichend produktiv und effizient. Fische und Pflanzen, so Kloas, haben unterschiedliche pH-Optima: „Fische mögen Wasser mit neutralem pH-Wert, während Pflanzen ein eher saures Milieu bevorzugen.“ Außerdem, so Kloas, führe die Einkreislauftechnik zu einer unzureichenden biologischen Umsetzung von Ammoniak zu Nitrat, wodurch die Pflanzen weniger Nährstoffe erhalten. Auch darüber hinaus liefere das bisherige Fischwasser zu wenig Nährstoffe für eine optimale Pflanzenproduktion.

Von Anfang an arbeitete Kloas deswegen an der Perfektionierung des Systems. Das Ergebnis ist eine patentierte Zweikreislaufanlage: Fische und Pflanzen leben in jeweils eigenen, voneinander getrennten Kreisläufen, die nur durch ein Einwegventil miteinander verbunden sind. Wichtig für die Pflanzen: Bevor die Exkretionsprodukte der Fische als Dünger zum Einsatz kommen, werden sie in Vorratsbehältern mit Stoffen wie Kalium, Calcium und Phosphat angereichert. Für Kloas macht dieses Anreichern oder „Aufdüngen“ den entscheidenden Unterschied. Die Zusätze führen zu optimalen Bedingungen auch für die Züchtung von Tomaten und anderen Gemüsesorten. Der Biologe ist überzeugt, dass diese Feineinstellung der Nährstoffe die Produktivität im Vergleich zum Einkreislaufsystem deutlich erhöht. 

Kloas sieht in der Aquaponik eine ganze Reihe von Vorteilen: den geringeren Wasserverbrauch, die artgerechtere Haltung von Fischen und die Minimierung von Emissionen. Damit löst die Zweikreislaufanlage viele Herausforderungen der Aquakultur, also der kontrollierten Aufzucht von Fischen und gewinnt im Vergleich zum freien Wildfang in der Lebensmittelkette immer mehr an Bedeutung. Schon jetzt stammt laut der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FOA) über die Hälfte der weltweit konsumierten Fischprodukte aus Aquakultur (FAO 2020) – ein bemerkenswerter Anstieg, wenn man bedenkt, dass die Quote im Jahr 1950 nur vier Prozent betrug. 

Vor dem Hintergrund des Bevölkerungswachstums und der steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln sieht der Biologe in der Aquaponik einen Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit. Aufgrund des Klimawandels wird die Verfügbarkeit von Wasser an vielen Orten abnehmen – der sparsame Umgang mit dieser Ressource wird damit immer wichtiger. Fischexkretionsprodukte sind leicht verwertbar: Anders als bei den Ausscheidungsprodukten von Hühnern, Schweinen oder Rindern hat der Anwender mit Fischwasser bereits einen halbfertigen Kunstdünger.

Wer ernsthaft zur Lebensmittelproduktion beitragen möchte, sollte – so Kloas – jedoch nicht nur Basilikum züchten, sondern auf Gemüsesorten wie Tomaten oder Zucchini setzen, was mit dem richtigen Mix an Dünger gut funktioniert. „Der Nährstoffgehalt von Salaten und Kräutern ist vergleichsweise gering, daher können wir die Weltbevölkerung damit nicht ernähren“, gibt der Professor zu bedenken. Natürlich können Hobbygärtner schon auf kleineren Flächen eine Aquaponik-Anlage betreiben. Aber nicht jede Anlage ist effizient. Lohnend wird die Anlage erst ab einer Fläche von 10.000 Quadratmetern. Kloas ist sich sicher: Auch aufgrund der guten Wasserressourcen hierzulande stehen Aquakultur und Aquaponik in Deutschland vor einer großen Zukunft. 
 

20,5 Kilogramm

Fisch isst jeder von uns im Durchschnitt pro Jahr.
Quelle: UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO)

527 %

Anstieg der weltweiten Aquakulturproduktion von 1990 bis 2018
Quelle: UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO)

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