Der Solarmarkt stellt sich neu auf
Der Anblick von Solarpaneelen an sich ist nichts Ungewöhnliches. Auf Dächern, Feldern oder sogar Balkonen sind sie mehr oder minder flach nach Süden ausgerichtet. Doch eine andere Aufstellung kann effektiver sein – und vor allem umweltfreundlicher.
Photovoltaikanlagen (PV) haben laut Bundesnetzagentur und Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme deutsche Stromverbraucher im Jahr 2023 mit insgesamt 53,5 Milliarden Kilowattstunden Strom versorgt. Damit hat Solarenergie einen Anteil von 12,4 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland und ist nach Wind und Biomasse die Nummer drei unter den erneuerbaren Energieträgern.
Bislang wurden Solarpaneele meist nach Süden ausgerichtet in einem Winkel von circa 30 Grad montiert. „Doch die Solarmodultechnologie hat sich weiterentwickelt“, sagt Jens Schneider. Der Professor für vernetzte Energiesysteme an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig (HTWK) ergänzt: „Mit dem Einzug der bifazialen Solarzellen-Technologien in den Massenmarkt haben sich neue Möglichkeiten für die Platzierung der Module ergeben.“ Diese können nämlich Licht, das von zwei Seiten einfällt, in elektrische Energie umwandeln. „Bei ihnen bringt eine vertikale Stellung mit Ost-West-Ausrichtung in unseren Breitengraden den höchsten Ertrag pro installierter Leistung“, sagt Schneider.
Der Flughafen Frankfurt setzt auf senkrechte Module
Den besten Blick auf die neue Anordnung haben Passagiere, deren Flug von der Startbahn West am Frankfurter Flughafen abhebt. Bereits seit März 2021 nutzt der Betreiber Fraport AG Strom aus eigenen PV-Anlagen. Den Auftakt machte damals eine klassische Dachinstallation in der Cargocity Süd mit horizontal nach Süden ausgerichteten Solarpaneelen, die jährlich etwa 1,5 Millionen Kilowattstunden Strom liefert. „Damit könnten wir mehr als 450 Haushalte mit vier Personen ein Jahr lang mit Strom versorgen“, sagt Angelika Heinbuch, Pressesprecherin für Nachhaltigkeit und Klimaschutz der Fraport AG. Der selbstproduzierte Strom fließt zum Beispiel in die Klimatisierung, in die Beleuchtung sowie in den Betrieb von Fahrstühlen und Rolltreppen des Flughafens.
„Seit September 2022 gewinnen wir Sonnenenergie auch mithilfe senkrecht installierter Solarmodule, die sich am südwestlichen Ende der Startbahn West befinden“, berichtet Heinbuch. Diese Demonstrationsanlage wird seit Anfang 2024 entlang der Startbahn West ausgebaut. Auf einer Grünfläche von rund 30 Hektar soll so bis Frühling 2025 die weltweit größte vertikale PV-Anlage auf einem Flughafengelände entstehen. „Dank der Aufstellung in Ost-West-Richtung verzeichnen wir zwei Leistungspeaks pro Tag: einen am Vormittag und einen am Nachmittag – das trägt zu einer stabilen Stromversorgung über den Tag hinweg bei“, sagt Heinbuch. Die vertikalen und die horizontalen PV-Konzepte ergänzen sich nämlich. Während die Vertikal-Anlage vor allem morgens und abends viel Strom liefert, laufen die horizontal montierten Module tagsüber zur Hochform auf. So kommt Fraport ihrem Ziel einen großen Schritt näher: Bis 2030 soll der Grünstromanteil des Frankfurter Flughafens bei etwa 94 Prozent liegen.
Viel Platz – für Module und Natur
Damit das funktioniert, braucht es vor allem eines: Platz. Der Abstand zwischen den Reihen muss bei vertikalen Solarpaneelen größer ausfallen als bei der horizontalen Variante, damit sich die Module nicht gegenseitig verschatten. Etwa zehn Meter sollten es sein. „Aus diesem Grund wird bei gleicher elektrischer Leistung deutlich mehr Fläche zur Installation benötigt“, erklärt HTWK-Professor Schneider. Immerhin: „Die senkrecht montierten Solarpaneele beeinflussen die Vegetationsfläche kaum, auf denen sie stehen“, sagt Heinbuch. So kann zum Beispiel Wasser ungehindert auf der gesamten Fläche versickern. Die zahlreichen Pflanzen- und Tierarten, die etwa entlang der Startbahn West gedeihen und leben, bleiben also auch nach der Installation erhalten.
Die großen Abstände lassen zudem die doppelte Nutzung des Bodens zu, beispielsweise als Stell- und Ackerfläche. „Ein Sicherheitsabstand von 10 bis 20 Zentimetern zu den Metallpfosten für die vertikalen Solarpaneele genügt – dazwischen ist noch viel Freiraum, zum Beispiel für das Aussäen und Mähen mit herkömmlichen Agrarmaschinen“, sagt Bas Van Aken, Wissenschaftler und Solarexperte der niederländischen Organisation für angewandte wissenschaftliche Forschung (TNO). Horizontale Solarmodule dagegen beanspruchen schon aufgrund der Montage nahezu parallel zum Boden mehr Fläche, die kaum anderweitig genutzt werden kann.
Auf die Höhe kommt es an
Landwirte, die sich für eine Doppelnutzung entscheiden, sollten jedoch bedenken: Nicht jede Nutzpflanze lässt sich ideal mit einer senkrechten PV-Anlage kombinieren. So weist das auf Agri-PV spezialisierte Unternehmen Next2Sun Technology darauf hin, dass die Solarpaneele nur etwa einen Meter über dem Boden hängen. Um den Stromertrag nicht zu schmälern, sollten die angebauten Feldfrüchte möglichst nicht höher wachsen. Bei seinen Referenzprojekten hat Next2Sun lediglich Erfahrungen mit Grünfutterwiesen gemacht. „Wir nehmen aber an, dass Kartoffeln, verschiedene Arten von Rüben, Karotten, Leguminosen sowie niedrig wachsende Getreide bis circa einen Meter Wuchshöhe gut kombinierbar mit unserem System sind“, heißt es auf der Homepage des Dillinger Unternehmens.
Doch was ist nun sinnvoller für Betreiber und Privatpersonen mit heimischem PV-Kraftwerk: vertikale oder horizontale Solarpaneele? Besser für die Umwelt mögen die vertikalen PV-Anlagen sein, wie sie der Frankfurter Flughafen entlang der Startbahn West platziert. Aber geht es nur um den Stromgewinn, macht Van Aken deutlich: „Um die beste Lichteinstrahlung zu erzielen, sollten Sie Solarpaneele nach Süden ausgerichtet und um 35 Grad geneigt installieren.“ Zumindest wenn die PV-Anlage in den Niederlanden oder in Norddeutschland steht.
2,6 Millionen
Photovoltaikanlagen waren im März 2023 auf Dächern und Grundstücken hierzulande installiert.
Quelle: Statistisches Bundesamt
59,7 Prozent
betrug der Anteil der Solarenergie an der öffentlichen Nettostromerzeugung 2023 – ein Rekord.
Quelle: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE
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