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Tiny Forest

Text von Marie Welling
06.09.2023
Nachhaltigkeit

Kleine Wälder in den Städten sollen das Klima in den Straßen verbessern und für mehr Biodiversität sorgen. Die Stadt Essen hat es bereits ausprobiert – und dafür 2.000 Bäume gepflanzt.

Grau, grauer, Großstadt: Durchschnittlich 44 Prozent der Fläche in deutschen Städten sind versiegelt. Wo keine Häuser stehen, bestimmen meist Beton und Asphalt das Bild. Pflanzen oder gar Bäume sind oft Mangelware. Und das, obwohl sie nicht nur schön anzusehen sind, sondern auch noch das Stadtklima verbessern könnten. Die Idee eines japanischen Botanikers soll Abhilfe schaffen: ein Tiny Forest, also ein – wie der Name schon sagt – winziger Wald. Weltweit pflanzen Stadtbewohner zurzeit solche Mini-Biotope an: in Lahore, Glasgow, Utrecht, Chennai, Hamburg und Eberswalde.

Biodiversität statt Monokultur im Essener Norden

Wie es funktioniert, zeigt auch die Ruhrgebietsstadt Essen: Anwohner haben mit der Unterstützung von Grundschulklassen und Kindergartengruppen im März 2023 in den Stadtteilen Bochold und Stoppenberg Bäumchen und Sträucher gepflanzt. Zwei Mal 1.000 Pflanzen auf je 400 Quadratmetern kamen in die Erde. „Die Pflanzaktion war eine richtige Schlammschlacht“, sagt Ute Kerbusk von der Landschaftsplanung des Essener Grünflächenamts. „Es hat in Strömen geregnet. Doch das Gefühl, Gutes zu tun, überwog alle Unannehmlichkeiten.“

Ursprünglich hat der Tiny Forest seine Wurzeln in Japan. Im Land der aufgehenden Sonne hat der Botaniker Akira Miyawaki in den 1970er-Jahren ein Konzept entwickelt, mit dem Bäume schneller wachsen: die Miyawaki-Methode. „Wir pflanzen sehr dicht, meistens drei bis vier Pflanzen pro Quadratmeter“, sagt Ulrike Gollmick vom Fachverband Miya, der Interessierte bei der Realisierung eines Miyawaki-Waldes unterstützt. In einer normalen Waldbepflanzung kommt auf einen Quadratmeter in der Regel ein einzelner Baum.

Eine Vegetation schaffen, die wachsen würde, wenn der Mensch nicht in das Ökosystem eingegriffen hätte.

Dadurch, dass die Pflanzen in den Tiny Forests weniger Platz haben, stehen sie in Konkurrenz zueinander und wachsen schneller in die Höhe. Kerbusk vom Grünflächenamt Essen rechnet damit, dass die Bäume in drei bis fünf Jahren etwa zwei Meter groß sein können. In den Winzwäldern stehen zudem nur heimische Pflanzen, außerdem so viele verschiedene Arten wie möglich. In den Essener Tiny Forests wachsen unter anderem Winterlinden, Esskastanien, Vogelbeeren, Weißdorn und Johannisbeersträucher. „Die Idee ist, dass wir der Natur so viele Arten wie möglich anbieten und es dann ihr überlassen, was sich durchsetzt“, sagt Gollmick von Miya. Zwar müssen die Wälder in den ersten drei bis fünf Jahren noch gepflegt werden, danach überlässt man sie jedoch sich selbst. Das Ziel: Eine Vegetation schaffen, die wachsen würde, wenn der Mensch nicht in das Ökosystem eingegriffen hätte.

Angereicherter Boden notwendig

Was sich erst einmal einfach anhört, braucht viel Vorbereitung. Denn bevor überhaupt der erste Baum eingepflanzt werden kann, müssen Gollmick und ihr Team Bodenproben nehmen und analysieren. Böden in urbanen Gebieten enthalten oft nicht genügend Nährstoffe, weil sie von versiegelten Flächen und Industrie umgeben sind. Für einen Tiny Forest müssen die Gärtner daher zuerst den Boden umgraben und mit Aktivkohle, Pilzsubstraten und Mikroorganismen anreichern.

Um zu testen, welche Auswirkung die Bodenaufbereitung auf das Wachstum der Pflanzen hat, bepflanzte das Zentrum für Bioenergie (Zebio) in Gummersbach Anfang des Jahres 2023 zwei Flächen mit einem Tiny Forest. Auf der einen haben die Projektbeteiligten wie von Miyawaki empfohlen den Boden aufbereitet und mit Holzschnitzeln bestreut, auf der anderen nicht. „Was wir schon jetzt sehen, ist dass der Boden der japanischen Methode besser Feuchtigkeit aufnimmt und im Boden speichert“, sagt Susanne Roll, Vorstandsmitglied von Zebio. Forschenden der TH Köln, die das Projekt wissenschaftlich begleiten, ist zudem aufgefallen, dass Bäume der Miyawaki-Methode mehr Blätter haben, als Bäume, die auf dem nicht aufbereiteten Boden stehen.

Miniwald im eigenen Garten

Wer einen Tiny Forest im eigenen Garten anlegen möchte, muss ein bisschen tiefer in die Tasche greifen als für die Bepflanzung eines Blumenbeets. Unter Anleitung des Fachverbands Miya kostet das pro Quadratmeter 100 bis 150 Euro inklusive Pflanzen, Materialien, Vorbereitungs- und Managementkosten. Gollmick empfiehlt für den Wald eine Fläche von mindestens 100 Quadratmetern. Überschreitet die Fläche 400 bis 500 Quadratmeter, braucht man in der Regel eine Erstaufforstungsgenehmigung der lokalen Forstbehörde.

Tiny Forests sind ein Baustein, um wieder mehr Biodiversität in die Stadt zu holen.
Ulrike Gollmick, Fachverband Miya

Tiny Forests ersetzen keine Wälder

Doch das japanische Konzept ist nicht unumstritten. Verfechter der Miniwälder schwören auf die Miyawaki-Methode, weil damit die Temperaturen in Städten sinken sollen und sich letztlich der Klimawandel bekämpfen lässt. Andreas Roloff, Professor für Forstbotanik an der Technischen Universität Dresden, dagegen dämpft die Erwartungen. „Man kann mit einzelnen kleinen Flächen von jungen Bäumen keine nennenswerte Stadtareale kühlen“, sagt Roloff. „Und für die Bekämpfung des Klimawandels sind die Tiny Forests definitiv kein Ersatz für große Wälder, denn die binden viel mehr CO2.“ Andere Forschende stellen zudem infrage, ob die Miniwälder auch langfristig so gut gedeihen wie konventionelle Wälder. Da die meisten Tiny Forests in Europa noch sehr jung sind, gibt es bisher nur wenige wissenschaftliche Studien darüber. Universitäten wie die niederländische Wageningen University oder die TH Köln und Zebio arbeiten daran, das Konzept besser zu erforschen.

Gollmick von Miya weiß um die Kritik. „Natürlich bindet ein großer Wald viel mehr CO2, und aus meiner persönlichen Sicht sind Tiny Forests auch kein Ersatz für intakte Wälder“, sagt Gollmick. „Aber sie sind ein Baustein, um wieder mehr Biodiversität in die Stadt zu holen. Uns geht es aber vor allem auch darum, dass die Menschen wieder eine Verbindung zur Natur aufbauen.“ Insbesondere Stadtbewohner hätten sich von der Natur entfremdet, sie verstünden oftmals die natürlichen Zusammenhänge im Alltag nicht mehr, findet sie. Auch für Forstbotanik-Experte Roloff steht – neben der Begrünung einzelner Stadtviertel – die soziale Komponente der Tiny Forests im Vordergrund: „Die Menschen pflanzen etwas, haben einen Treffpunkt, und können beobachten, wie sich die Natur verändert. Sie gestalten etwas aktiv mit“, sagt er und ergänzt: „Für Städte kann ich mir in dieser Hinsicht kaum etwas Besseres vorstellen.“

1 - 2 Tonnen
CO2 entzieht ein Hektar Wald der Atmosphäre.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft

501.000 Hektar
Wald ging zwischen 2018 und 2021 in Deutschland verloren – etwa fünf Prozent der gesamten Waldfläche.
Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

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