Die zweite Chance
Zu krumm, zu braun, zu alt – ein Drittel aller Lebensmittel wandert in Deutschland in den Müll. Die Kölnerin Nicole Klaski wollte sich damit nicht abfinden. Vor fünf Jahren gründete sie „The Good Food“, den ersten Reste-Supermarkt Deutschlands. Das Geschäftsmodell hat Vorbildcharakter.
Der altmodische, schwarz-weiß geflieste Boden, die hohe Theke und alte Holzregale – der Supermarkt „The Good Food“ in der Venloer Straße in Köln erinnert an einen Tante-Emma-Laden aus dem letzten Jahrhundert. Heute hat Ina Drifte Ladendienst. Eine Kundin schließt die alte Tür hinter sich. Drifte begrüßt sie und weist auf die geflochtenen Einkaufskörbe im Eingangsbereich hin.
In dem kleinen Geschäft fällt die Orientierung nicht schwer: Im vorderen Einkaufsraum befindet sich Gemüse in großen grünen Kisten: Kartoffeln, Brokkoli und Möhren. „Alles direkt vom Feld“, sagt Drifte zur Kundin, die sich für zwei kleine, aber dafür umso dickere Karotten entscheidet. Ein drittes, besonders krummes Exemplar wandert ebenfalls in ihren Korb. Anschließend geht die Frau weiter in den zweiten Verkaufsraum. Dort sind Waren ausgestellt, deren Mindesthaltbarkeitsdatum kurz bevorsteht oder bereits abgelaufen ist, außerdem Brot vom Vortag aus einer lokalen Bäckerei.
Keine Frage, die Waren, die bei The Good Food verkauft werden, würden in den meisten Lebensmittelläden nicht angeboten, sondern weggeworfen werden. Ein abgelaufenes Mindesthaltbarkeitsdatum, optische Fehler oder Überproduktion – alles Gründe, warum Essen in Deutschland im Müll landet. Fast elf Millionen Tonnen Lebensmittel haben die Menschen in Deutschland im Jahr 2020 entsorgt, so das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Das entspricht ungefähr einem Drittel aller produzierten Lebensmittel.
Dabei geht der größte Anteil der weggeworfenen Lebensmittel auf das Konto der Endverbraucher. Privathaushalte verursachen 59 Prozent aller Essensabfälle, der Rest wandert entlang der Wertschöpfungskette in den Müll: bei der Verarbeitung, im Handel und im Restaurant. Durch die Verschwendung gehen aber nicht nur die Lebensmittel selbst verloren, sondern auch die für die Produktion verwendeten Ressourcen. Für Anbau, Produktion, Verpackung, Kühlung und Transport dieser Lebensmittel heizen wir zudem das Klima weiter auf und verursachen 48 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr – das entspricht den jährlichen Emissionen der Schweiz.
Nicole Klaski, eine junge Kölnerin, wollte sich mit dieser immensen Verschwendung nicht abfinden. Im Jahr 2017 gründete sie „The Good Food“, eben jenen gemeinnützigen Supermarkt in der Venloer Straße, der sich auf den Verkauf ausrangierter Lebensmittel spezialisiert hat. „Zu gut für die Tonne“ lautet das Motto der Gründerin. Die Ware, die Klaski anbietet, sammelt ihr Team bei verschiedenen Kooperationspartnern ein, zum Beispiel bei einem Biobauernhof und bei mehreren Herstellern von Bioprodukten.
Auf die Idee, Lebensmittel zu retten, kam Klaski schon 2011. Nach ihrem Jurastudium ging sie nach Nepal, um dort bei einer Non-Profit-Organisation mitzuhelfen – ein Aufenthalt, der ihre Perspektive auf die westliche Lebensweise völlig veränderte. „Mir wurde klar, wie viele Lebensmittel wir in Deutschland verschwenden“, sagt Klaski. Wieder zu Hause, machte sie sich gemeinsam mit ein paar Gleichgesinnten auf die Suche nach weggeworfenen Lebensmitteln und wühlte die Müllcontainer der Supermärkte nach verwertbaren Lebensmitteln durch.
„Ich war überrascht, wie gut erhalten die Ware noch war“, sagt sie und beschloss, sich ehrenamtlich für die Rettung von Lebensmitteln einzusetzen. Zunächst engagierte sie sich bei Foodsharing e. V., einer gemeinnützigen Kölner Organisation, die überschüssige Lebensmittel an Organisationen und Privatpersonen verteilt. Danach verkaufte Klaski gerettete Lebensmittel im eigenen Pop-up-Store. Als ihr einige Zeit später ein älteres Ehepaar ein Geschäftslokal mitten in Köln-Ehrenfeld zu einem günstigen Mietpreis anbot, entschied Klaski sich dazu, einen eigenen, stationären Lebensmittelhandel aufzumachen – „The Good Food“ öffnete seine Türen.
Zwei Besonderheiten zeichnen den Laden aus: Da ist zum einen das variierende Sortiment. „Unsere Kunden müssen darauf gefasst sein, dass immer wieder andere Waren im Angebot sind, darunter auch außergewöhnliche Sachen, wie etwa ‘Asia Salat‘“, sagt die Geschäftsführerin. Zum anderen ist auch das Preiskonzept ungewöhnlich: Es gibt keine Preisschilder, stattdessen hängen mehrere kleine Tafeln an den Wänden, auf denen „Zahl, was es dir wert ist“ steht. „Wir möchten, dass unsere Kunden sich damit beschäftigen, wie Preise zustande kommen und sie so ein Gefühl für die Wertigkeit der Lebensmittel entwickeln“, sagt Klaski.
Das Konzept überzeugt. Inzwischen hat „The Good Food“ eine große Fangemeinschaft und auf Facebook mehr als 15.000 Follower. Die Kunden zahlen immerhin so viel, dass Klaski von den Einnahmen die laufenden Kosten bestreiten kann. Die Zahl der Mitarbeiter ist in den letzten fünf Jahren stetig gestiegen, heute arbeiten vier Angestellte und rund 150 Ehrenamtliche in den drei Läden in Köln. Ina Drifte, die regelmäßig als freiwillige Helferin bei „The Good Food“ einspringt, empfindet ihre Arbeit als sinnstiftend: „Der Laden ist alles andere als anonym. Ich komme oft mit den Kunden ins Gespräch – zum Beispiel über die Herkunft der Lebensmittel“, sagt sie.
Von Anfang an unterstützten mehrere Kooperationspartner den Laden mit frischem Obst und Gemüse, darunter der Biolandhof „Lammertzhof“ bei Neuss. Jeden Montag fahren ehrenamtliche Mitarbeiter dorthin, um auf den Feldern und in den Plantagen das restliche Obst und Gemüse einzusammeln. Oft handelt es sich dabei um Produkte, die nicht rechtzeitig abgeerntet werden konnten oder die krumm gewachsen sind und deswegen in die „Handelsklasse 2“ eingestuft werden. „Mit meinem Hof ernähre ich ungefähr 3.000 Menschen“, sagt Bio-Bauer Heinrich Hannen und ist sich sicher: „Wenn ich alles verkaufen würde – also auch das, was als Ware zweiter Klasse gilt und es fast nie in die herkömmlichen Läden schafft –, könnten es etwa 5.000 Menschen sein.“ Die „The Good Food“-Mitarbeiter erhalten vom Hof nicht nur Produkte aus der Nachernte, sondern auch Gemüse aus der Überproduktion: Inzwischen gibt es fast zu jeder Jahreszeit Möhren und Kartoffeln und Salate, Auberginen, Zucchini und Brokkoli.
Geschäftsführerin Klaski blickt hoffnungsvoll in die Zukunft und ist sich sicher, dass ihr Verkaufskonzept mehr ist als nur eine zweite Chance für Essensprodukte, die aus der Norm fallen: „Ich glaube, dass Menschen ihr Verhalten ändern können – und ‘The Good Food‘ trägt vielleicht ein Stückchen dazu bei, weniger Lebensmittel zu verschwenden.“
2,6 Millionen Hektar
Ackerland benötigen wir für den Anbau der Lebensmittel, die wir später in Deutschland entsorgen – eine Fläche, die größer als Mecklenburg-Vorpommern ist.
Quelle: Westdeutscher Rundfunk
78 Kilogramm
Lebensmittel wirft jeder Verbraucher in Deutschland durchschnittlich pro Jahr in den Müll.
Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
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