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Meeresschutz ist Menschenschutz

Text von Mia Pankoke
26.06.2022
Nachhaltigkeit

Tharaka Sriram ist Gründerin der Initiative Ocean Education, setzt sich für einen ganzheitlichen Meeres- und Klimaschutz und ein weltumspannendes Netz aus Schutzgebieten ein. Hinter ihr liegt ein ungewöhnlicher Lebensweg, der sie gelehrt hat: Mit dem Schutz der Meere geht auch der Schutz von Menschenrechten einher.

Als Tharaka Sriram entschied, sich für den Erhalt der Ozeane einzusetzen, konnte sie noch nicht einmal schwimmen. „Ich dachte, im Meer sieht es aus wie bei Arielle, die Meerjungfrau, und über Umweltprobleme habe ich mir damals überhaupt keine Gedanken gemacht“, erzählt Sriram und ergänzt: „Dass die Meere unser aller Lebensgrundlage sind und wie sehr sich ihre Zerstörung auf viele andere Probleme der Menschen auswirkt, habe ich erst viel später begriffen“. Heute setzt sich Sriram mit ihrer Organisation Ocean Education für den Ausbau von Meeresschutzgebieten ein, hält Vorträge auf der ganzen Welt und ist Botschafterin bei der US-amerikanischen Naturschutzorganisation Marine Conservation Institute, die sich für die Vernetzung und Bereitstellung von Daten für weltweite Meeresschutzgebiete einsetzt. Auf ihrem alles andere als gradlinigen Weg zur Meeresschützerin hat Sriram auch erlebt, dass eine intakte Natur und gesunde Meere mit dem Kampf gegen Rassismus und Sexismus zusammenhängen.

Das Bedürfnis, sich für Gerechtigkeit einzusetzen, begleitet Sriram seit ihrer Kindheit: Ihre Eltern kamen als politische Flüchtlinge aus Sri Lanka nach Deutschland. „Zu dieser Zeit waren Frauen dort traditionell Mutter und Hausfrau“, erzählt die Aktivistin. „Daher bin ich in einem sehr konservativen Haushalt aufgewachsen und habe schnell gemerkt, dass vieles für mich als Frau verboten war.“ Sie schrieb sich in Darmstadt und Mannheim für Politik, Spanisch und Genderstudies ein. Nebenher engagierte sich Sriram für Frauenrechte und arbeitete bei Menschenrechtsorganisationen mit.

Als sie in der peruanischen Hauptstadt Lima, für den Aufbau von Gewerkschaften für Frauen unterwegs war, erfuhr sie von einem Küstenort, der von Fischerei lebte. Dort prägte eine zufällige Begegnung am Strand ihren künftigen Weg: Die Frauen erzählten ihr, dass die Männer in ihrem Dorf immer öfter ihre Frauen und Kinder verprügelten. Schuld war die Überfischung und Verschmutzung des Meeres, denn dadurch verloren die Fischer ihre Existenzgrundlage. „Den Frust darüber ließen sie zu Hause an ihren Frauen aus“, sagt Sriram. „Das war der Moment, in dem mir klar wurde: Der Aktivismus für Menschenrechte ist untrennbar mit gesunden Meeren verwoben.“

Sriram betrachtet die Erde seitdem als sozial-ökologisches System. Aus ihrer Sicht kann es keinen effektiven Klima- und Umweltschutz geben, der nicht die globale Ungleichheit, Rassismus oder die Rechte von Frauen mitdenkt. Sie nennt das ganzheitlichen Klimaschutz, im Englischen spricht man von „intersectional environmentalism“. „Frauen sind auf der ganzen Welt ohnehin stärker von Armut betroffen, deshalb trifft sie die Klimakrise vergleichsweise stärker“, sagt Sriram. Um ihren Einsatz in professionellere Bahnen zu lenken, gründete sie im Jahr 2015 mit Ocean Education ihre eigene Organisation.

Im ersten Schritt wollte sie mit eigenen Augen sehen, wie es um die Meere steht, nahm also einen Kredit auf, lernte mit 32 Jahren schwimmen und startete im November 2017 eine fast einjährige Forschungsreise. Sie segelte in 17 Länder, sprach mit Meeresschützerinnen und -schützern, Ministerien und NGOs und stellte fest, dass es den Ozeanen noch schlechter ging, als sie erwartet hatte. „Mit jedem bisschen zusätzlichem Wissen über die Meere und ihre Zerstörung plädiere ich für einen radikaleren Schutz“, sagt sie. Das ist auch die Botschaft ihrer Vorträge. Und wie um Srirams ganzheitlichen Ansatz zu bestätigen, ist sie bei ihrem Umweltaktivismus immer wieder mit Rassismus konfrontiert. Ein Beispiel: „Menschen kommen nach einem Vortrag zu mir, sagen aber nichts zum Inhalt, sondern gratulieren mir dazu, wie gut ich Deutsch spreche oder fassen meine Haare an.“ 

Erlebnisse, die Sriram umso energischer ihre Ziele weiterverfolgen lassen. Zumal auch die Wissenschaft belegt, wie wichtig ihr Engagement ist: Forscher haben ermittelt, dass bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent des Meeres geschützt sein müssen, um noch drastischere Folgen für Klima und Artensterben abzuwenden. Einen ersten Erfolg gab es nun bei einem Gipfel der Welthandelsorganisation: Dem Genfer-Abkommen zufolge werden künftig zumindest illegaler Fischfang und Hochseefischerei nicht länger subventioniert. Über dieses Verbot verhandelte das Gremium mehr als 20 Jahre lang. Dass sich die Fischbestände nun erholen, ist damit aber noch längst nicht gesichert, denn bisher stehen erst knapp acht Prozent der Weltmeere unter Schutz. Offiziell. „Wirklich streng geschützt sind weniger als drei Prozent“, sagt Sriram. Auf hoher See sind es sogar nur 0,1 Prozent. Auf den Ozeanen gehe es zu wie im wilden Westen: „Ein rechtsfreies Gebiet, in dem illegale Fischerei viel zu einfach ist und in das wir fröhlich unsere Abfälle kippen.“

Anfangs dachte die Aktivistin noch, man müsse es nur schaffen, den Fisch mit Fangquoten in bestimmten Regionen zurückzubringen. Mittlerweile sind ihre Forderungen dringlicher geworden. Sriram glaubt nicht mehr an nachhaltige Fischerei. Unternehmen können ihrer Erfahrung nach nur dann Gewinn machen, wenn sie Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen.

Den Begriff Nachhaltigkeit sieht sie generell kritisch. „Es gibt keine allgemeingültige Definition für die Bezeichnung und Greenwashing ist an der Tagesordnung.“ Sriram ärgert das, weil es einen echten gesellschaftlichen Wandel verhindert: „Es ist, als hätten wir alle die rosa-grüne Nachhaltigkeitsbrille aufgesetzt. Es gibt mehr Umweltzerstörung als je zu vor. Weil aber jetzt überall nachhaltig draufsteht, denken alle, sie retten die Welt, indem sie das richtige Shampoo kaufen.“ Ihr Forderung: „Wir müssen endlich das System ändern, das auf Ausbeutung von Umwelt und Mensch basiert.“ 

34 Prozent
der Fischbestände sind überfischt oder davon bedroht. Nur sechs Prozent der befischten Arten haben noch Entwicklungsmöglichkeiten, sind also unternutzt.
Quelle: Sofia Report der Welternährungsorganisation

50 Prozent
des weltweiten Sauerstoffs zum Atmen und Nahrung für mehr als ein Drittel der Menschheit stammen aus den Ozeanen.
Quelle: World Ocean Review

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