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Vom Dach auf die Deponie?

Text von Sina Hoffmann
18.12.2024
Nachhaltigkeit

Der Ausbau von Solarenergie treibt die Energiewende enorm voran. Doch Millionen Module der ersten Generation erreichen schon bald das Ende ihrer Lebensdauer. Forscher haben verschiedene innovative Technologien entwickelt, um die wertvollen Rohstoffe zurückzugewinnen – die aktuellen Vorschriften bremsen sie jedoch aus.

Solarenergie schreibt Erfolgsgeschichte: Nach einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) sind weltweit bereits mehr als 1,6 Terawatt Photovoltaik (PV) installiert. Überall auf der Welt entstehen gigantische Solarparks, die sich in Größe und Leistung überbieten. In Indien etwa entsteht derzeit der Khavda Renewable Energy Park, der eine Rekordleistung von 30 Gigawatt (GW) erreichen soll. Allein in Deutschland beträgt die Leistung der insgesamt 4,5 Millionen installierten Anlagen Stand August 2024 mehr als 93 GW.

Während immer mehr PV-Anlagen ans Netz gehen, nähern sich die Module der ersten großen Welle des Photovoltaik-Ausbaus ihrem Ruhestand. Hinzu kommen Platten, die vorzeitig ersetzt werden müssen, weil leistungsstärkere Varianten auf den Markt kommen oder sie defekt sind. Bis 2030 könnten weltweit zwischen 1,7 und 8 Millionen Tonnen ausgedienter Module anfallen, schätzt die Internationale Organisation für erneuerbare Energien. Allein in Deutschland rechnet man mit bis zu einer Million Tonnen PV-Abfall – doppelt so viel wie heute an Elektroschrott anfällt.

Wiederverwertung alter Solarmodule ist Pflicht

Doch was passiert mit Solarmodulen, die kaputt gehen oder nach etwa 25 bis 30 Jahren das Ende ihrer Lebensdauer erreichen? Die Europäische Union hat dazu klare Vorgaben: Laut WEEE-Richtlinie (Waste Electrical and Electronic Equipment Directive) müssen mindestens 85 Prozent der Altmodule geprüft und wiederverwendet oder zu 80 Prozent recycelt werden. 

Vor allem Start-ups und Forschungseinrichtungen beschäftigen sich derzeit mit der Frage, wie eine echte Kreislaufwirtschaft entstehen kann.

In Deutschland regelt das Elektro- und Elektronikgerätegesetz die Umsetzung. Während Privatpersonen ihre PV-Anlage kostenfrei bei Wertstoffhöfen abgeben können, werden Solarparkbetreiber zur Kasse gebeten: Die gewerbliche Entsorgung wird nach Gewicht berechnet und kostet etwa zwei Euro pro Modul. Die Recyclinghöfe sammeln die Altpanele getrennt von anderen Elektroaltgeräten und lassen sie von speziellen Entsorgungsunternehmen im Auftrag der Hersteller abholen, die sich wiederum um die Wiederverwertung kümmern müssen.

Downcycling statt Kreislaufwirtschaft in der Solarbranche

Die Herausforderung dabei: Die langlebigen Module sind fest miteinander verbunden, sodass sich die einzelnen Komponenten nur schwer trennen und in hoher Reinheit zurückgewinnen lassen. Etablierte Verfahren konzentrieren sich auf die Wiederverwertung des Frontglases und des Aluminiumrahmens. Mit diesen beiden Komponenten ist die vorgeschriebene Recyclingquote bereits erfüllt. 

Ein Großteil der Bestandteile wird zu minderwertigen Produkten verarbeitet, zum Beispiel verwendet die Bauindustrie das Glas als Dämmstoff. Wertvollere Rohstoffe wie etwa Silizium bleiben meist ungenutzt – ihre Rückgewinnung ist noch zu teuer und daher unwirtschaftlich. „Doch mit den größeren Mengen, die wir in den nächsten Jahren bekommen werden, etablieren sich Recycling-Prozesse speziell für Solarmodule, die eine zirkuläre Widerverwendung von Materialien erleichtern - die Zeit arbeitet also für uns“, erklärt Ian Marius Peters, Physiker am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg (HI ERN).

Innovative Recyclinganlage erzielt erste Fortschritte

Vor allem Start-ups und Forschungseinrichtungen beschäftigen sich derzeit mit der Frage, wie eine echte Kreislaufwirtschaft entstehen kann. Eines davon ist die Reiling PV-Recycling GmbH & Co. KG aus Münster. 2023 investierte die Firma in eine eigens entwickelte Recyclinganlage, die künftig jährlich bis zu 50.000 Tonnen verarbeiten soll. Im ersten Schritt des mechanischen Prozesses zerkleinert die Anlage das komplette Modul. Anschließend trennt sie die Materialien durch verschiedene Sortiertechniken. So kann Reiling Endprodukte wie Glas, Aluminium, Leiterbahnen sowie Kabel- und Folienteile zurückgewinnen und der weiterverarbeitenden Industrie zur Herstellung neuer Produkte zur Verfügung stellen.

Die verschiedenen Projekte zeigen, dass innovative und zukunftsfähige Recycling-Lösungen technisch umsetzbar sind.

Um noch effizienter alle enthaltenen Rohstoffe zurückzugewinnen, forscht Reiling an Prozessoptimierungen und neuen Methoden. „Unsere Mission ist es, für jeden Materialstrom eine hochwertige und effiziente Lösung zu entwickeln, um Stoffkreisläufe nachhaltig und umweltschonend zu schließen und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten“, sagt Geschäftsführer Tom Reiling. Im Jahr 2024 gelang es dem Unternehmen, die Glasqualität zu steigern und die Siliziumrückgewinnung im industriellen Maßstab zu implementieren. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP hat es ein neues Verfahren entwickelt, um Silber und Silizium zurückzugewinnen.

Innovative Solarmodule von Beginn an in Kreisläufen denken

Nicht nur klassische Solarmodule müssen recycelt werden. Auch für neuartige Varianten wie die Perowskit-Solarzellen muss die Wiederverwertung mitgedacht werden. Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) verfolgt im Projekt PeroCycle das Ziel, mindestens 90 Prozent des Perowskit mit einer Reinheit von 99 Prozent zurückzugewinnen. Am HI ERN verzeichnet das Team um Projektleiter Peters hierzu bereits erste Erfolge: Den Forschern gelang es, 99,97 Prozent der Rohstoffe hochrein zu extrahieren. „Aus den recycelten Materialien können wir neue Solarmodule herstellen – und das bei vergleichbarem Wirkungsgrad, weniger Abfall und geringeren Kosten“, erklärt Peters.

Zweites Leben für Solaranlagen auf dem Gebrauchtmarkt

Doch längst nicht alle Module sind nach der ersten Nutzungsperiode defekt und müssen recycelt werden. Sie verlieren im Laufe ihres Einsatzes kaum an Effizienz, wie eine Studie des Fraunhofer ISE zeigt: Im Durchschnitt verloren die getesteten Produkte in 20 Jahren nur drei Prozent ihrer Leistung. Dem Verkauf auf dem Second-Hand-Markt steht also nichts im Wege, zumal gebrauchte PV-Panele nicht nur weiterhin CO₂ einsparen, sondern auch kostengünstiger als neue Anlagen sind. Diesen Ansatz erforscht das ZSW gemeinsam mit mehreren Partnern im Projekt Renew. Und auch einige Start-ups wie 2ndlifesolar aus Hamburg haben die Chancen des Gebrauchtmarkts bereits erkannt.

Die Zweitnutzung ist jedoch umstritten: Teilweise werden angeblich funktionierende Gebrauchtmodule ungeprüft ins Ausland exportiert und dort unkontrolliert entsorgt. „Der Ansatz, gebrauchte Module weiter zu nutzen, ist nachhaltig, aber es fehlen verbindliche Qualitätsstandards und rechtliche Vorgaben“, kritisiert Cordula Wessendorf vom ZSW.

Chancen für schnelleren Hochlauf nutzen

Die verschiedenen Projekte zeigen, dass innovative und zukunftsfähige Recycling-Lösungen technisch umsetzbar sind. Für eine wirtschaftliche Nutzung der neuen Technologien ist die aktuelle Menge an Altmodulen jedoch noch zu gering. Um eine Hochskalierung zu beschleunigen, wären strengere gesetzliche Vorgaben notwendig. „Verbindliche Recyclingquoten, die sich an den Inhaltsstoffen und nicht am Gewicht der Module orientieren, könnten den Ausbau schneller voranbringen und Unternehmen Planungssicherheit verschaffen“, so Wessendorf. Sie ist sich sicher: Dadurch könnte die Energiewende ressourcenschonender und nachhaltiger gestaltet werden.

1,1 Millionen 
Solarmodule stehen im Energiepark Witznitz, dem größten Solarpark Europas.
Quelle: Moveon Energy

2.179 Solaranlagen 
wurden in Deutschland 2022 stillgelegt.
Quelle: Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur

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