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Smart City Etteln: Technik trifft Teamgeist

Text von Jasmin Oberdorfer
11.09.2025
Nachhaltigkeit

Während andernorts digitale Projekte noch aufwendig geplant werden, hat Etteln sie längst umgesetzt. Das Dorf lebt vor, wie sich Gemeinschaftssinn und smarte Ideen verbinden lassen. Die Ettelner setzen damit Maßstäbe als smarte Gemeinde – und zwar weltweit.

Etteln nahe Paderborn ist eine digitale Vorzeigegemeinde. Im Oktober 2024 holte der Ortsteil der Gemeinde Borchen für seine Digitalisierungsstrategie sogar den ersten Platz beim IEEE Smart City Contest. Der internationale Wettbewerb findet jährlich unter der Schirmherrschaft des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) statt, einem Berufsverband mit fast einer halben Million Mitgliedern weltweit. Im Wettbewerb konnte Etteln sich unter anderem gegen Hongkong durchsetzen.

Dass ausgerechnet ein westfälisches Dorf mit nicht einmal 2.000 Einwohnern ganze Metropolen auf die Plätze verwiesen hat, verwundert nur auf den ersten Blick. Etteln geht die Herausforderungen, vor denen viele Kommunen im ländlichen Raum in Deutschland stehen, bewusst mit digitalen Mitteln an. Für Ulrich Ahle, seit zehn Jahren Ortsvorsteher in Etteln, steht ein Gedanke immer im Mittelpunkt: „Wir machen die Digitalisierung nicht der Digitalisierung wegen, sondern um die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen.“

Wir machen die Digitalisierung nicht der Digitalisierung wegen, sondern um die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen.
Ulrich Ahle, Ortsvorsteher Etteln

 

Ein Beispiel: Seit der letzte Arzt in den Ruhestand gegangen ist, gibt es im Dorf keine Praxis mehr. Wie vielerorts auf dem Land müssen auch die Menschen in Etteln weite Wege auf sich nehmen, um ärztliche Hilfe zu bekommen. Doch ab Spätsommer 2025 ändert sich das dank eines Pilotprojekts der Techniker Krankenkasse. Eine speziell geschulte Krankenschwester nimmt künftig – unterstützt von digitalen Diagnosegeräten – die Patienten in Augenschein. Die Untersuchungsergebnisse werden mithilfe von KI voranalysiert und an einen Arzt im Nachbarort übermittelt. Dieser stellt die Diagnose und bespricht sie per Videosprechstunde mit den Patienten. So soll nur noch jeder fünfte Patient in die Nachbargemeinde fahren müssen, um persönlich beim Arzt vorstellig zu werden. 

Digitalisierung bringt Bewegung ins Dorf

Schon 2018 beschloss die Dorfgemeinschaft, das Image als verschlafenes Nest abzuschütteln und Etteln als modernen und attraktiven Wohnort zu positionieren. Der Ort sollte zum digitalsten Dorf Deutschlands werden. Dafür packten die Einwohner selbst mit an: Als beim geplanten Glasfaserausbau rund 50 Häuser und landwirtschaftliche Betriebe in den Außenbereichen leer auszugehen drohten, verlegten über 60 Dorfbewohner kurzerhand selbst ehrenamtlich 30 Kilometer Glasfaserleitungen – der Anschluss ans Netz für alle war gesichert. 

Solch eine gegenseitige Unterstützung sei auf dem Land keine Seltenheit, sagt der Ortsvorsteher. Was Etteln aber besonders mache, sei die Bereitschaft, analoge Prozesse neu zu denken und in digitale Strukturen zu überführen. Thomas Jarzombek, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung, brachte es bei einem Besuch in Etteln auf den Punkt, nachzulesen in einer Pressemitteilung: „Das ganze Dorf packt an und hat einen Vorreiter in Sachen Digitalisierung in Deutschland geschaffen.“

Denn beim Glasfaserausbau hört die Digitalisierung natürlich längst nicht auf. So hat das Dorf etwa ein E-Auto und ein E-Lastenrad angeschafft, beides können die Einwohner online buchen und kostenfrei nutzen. In Etteln hat man das Sharing-Prinzip aber weitergedacht und digital erweitert: Ist das Carsharing-Auto gerade im Einsatz, das Wetter zu schlecht fürs E-Lastenrad, oder hat man einfach keinen Führerschein, dann kann man es mit der digitalen Mitfahrbank versuchen – eine Art Uber für die Dorfgemeinschaft. Wer dort Platz nimmt, wählt über ein Display aus einer vorgegebenen Liste sein gewünschtes Ziel. Das erscheint nicht nur vor Ort auf einer Anzeigetafel, sondern gleichzeitig als Mitfahrwunsch in der Dorf-App. In dieser App ist laut Ahle rund die Hälfte der Dorfgemeinschaft aktiv. Wenn jemand zufällig gerade mit dem privaten Auto sowieso in die Richtung fährt, dann kann sie oder er an der digitalen Mitfahrbank vorbeifahren und den Fahrgast von nebenan mitnehmen.

Alles im Blick: Digitaler Zwilling

Und das ist längst nicht alles: Drei digitale Stelen im Ort informieren die Bewohner jederzeit über Neuigkeiten. Eine autonom fliegende Drohne unterstützt im Brandfall die Feuerwehr und selbst der Altkleidercontainer ist digital vernetzt. Wer Altkleider entsorgen möchte, kann vorher online prüfen, ob noch Platz im Container ist.

Damit bei all den einzelnen smarten Projekten niemand den Überblick verliert, bündelt eine virtuelle Nachbildung des Dorfes sämtliche Informationen. Dieser sogenannte digitale Zwilling basiert auf Geodaten und Drohnenaufnahmen und entstand mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts Waterverse haben Forschende zudem zahlreiche Sensoren im Dorf installiert. Sie erfassen Niederschlagsmengen, Bodenfeuchte, Grundwasserspiegel und Flusspegel und ermöglichen damit eine frühzeitige Warnung vor Hochwasser.

Durch einen Mix aus Windkraft, Solarenergie und Biomasse erzeugen wir mittlerweile 34-mal mehr Strom, als wir selbst verbrauchen.
Ulrich Ahle, Ortsvorsteher Etteln

 

Viele Einwohner freuen sich über die Entwicklung ihres Dorfes. Eine davon ist zum Beispiel Claudia Günter, die dem Nachrichtensender Welt TV sagte: „Ich bin sehr stolz auf den Ort. Wir haben gemeinsam viel erreicht.“ Sie erlebe immer wieder, wie Menschen aus den Nachbargemeinden die Fortschritte im Dorf bewundern – etwa, weil Homeoffice dank einer stabilen Datenverbindung kein Problem ist. 

Etteln nimmt alle mit

Selbst für den Energieverbrauch der digitalen Infrastruktur haben die Ettelner eine Lösung parat. „Durch einen Mix aus Windkraft, Solarenergie und Biomasse erzeugen wir mittlerweile 34-mal mehr Strom, als wir selbst verbrauchen“, sagt Ahle. Laut dem Ortsvorsteher trägt fast jedes dritte Haus im Ort eine Solaranlage auf dem Dach. Überschüssige Energie fließt in einen zentralen, digital gesteuerten Batteriespeicher, der sie bei Bedarf wieder ins Netz einspeist. Zudem erproben derzeit ausgewählte Haushalte neue Tarifmodelle mit dynamischen Strompreisen.

Um auch die ältere Bevölkerung in die smarte Dorfumgebung einzubinden, hat Etteln einen Computer-Club für Senioren gegründet. Dort führen Digitalpaten ältere Menschen langsam an digitale Tools heran. Wie der Glasfaserausbau läuft auch dieses Projekt auf ehrenamtlicher Basis. „Bisher haben mindestens 150 Menschen aktiv an unseren Digitalprojekten mitgewirkt“, schätzt Ahle. 

Von Anfang an haben die Westfalen ihre Lösungen so gestaltet, dass sie sich auf andere Orte übertragen lassen. Wer sich also inspirieren lassen möchte, kann an einem Dorfrundgang teilnehmen. Seit Etteln vom IEEE zur besten „Smart City“ weltweit gekürt wurde, sind die Rundgänge allerdings immer in kürzester Zeit ausgebucht. 

24,5 Prozent
der deutschen Haushalte verfügten bis Ende 2024 über einen Glasfaseranschluss.
Quelle: Bundesverband Breitbandkommunikation e.V.

18.000 Carsharing-Fahrzeuge
ersetzen 192.600 private PKW
Quelle: Bundesverband Carsharing e.V.

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