„Mit Gewürzen kochen kann jeder“
Sternekoch Ricky Saward ist ein Rebell. Vegan? Reicht ihm nicht. Er kocht vegan und regional, weil das nachhaltiger ist. Wie er mit dieser Selbstbeschränkung die Menükarte seines Restaurants Seven Swans füllt, wie viel Arbeit ein in Permakultur gezogenes Radieschen macht und wieso er seinen Gästen schon einmal Regenwasser serviert hat, verrät der Frankfurter im Interview.
Tenor: Herr Saward, Sie sind heute für Ihre veganen Kreationen bekannt, sagen aber, Ihre Küche sei nicht vegan geboren. Sie habe sich vielmehr dahin entwickelt. Was hat denn diesen Entwicklungsschub ausgelöst?
Ricky Saward: Unser oberstes Ziel im Seven Swans war schon immer Nachhaltigkeit. Wir wollten ein rundes Paket anbieten und zeigen, dass Sterneküche auch nachhaltig geht. Als ich 2018 im Swans angefangen habe, wollte ich etwas Besonderes machen und regional kochen – daraufhin haben wir die Sache mit dem eigenen Bauernhof in Bad Homburg gestartet. Aber gekocht haben wir damals vegetarisch: Es gab Butter, Milch, Eier und so weiter. Dass wir dann 2020 komplett auf vegane Küche umgestiegen sind, hatte auch wirtschaftliche Gründe. So, wie wir anfangs gekocht haben, haben wir rote Zahlen geschrieben. Unser Ansatz kam einfach zu früh.
Wieso zu früh? Vegetarismus ist doch kein besonders neuer Trend.
In der Sterneküche schon. Dort zählt häufig nur, wie zart das Fleisch ist. Gemüse ist da nur Beilage, sowas Geiles wie eine Kartoffel wird einfach zu Püree verhäckselt. Das ist sterbenslangweilig. Das hemmt meine Kreativität. Auch im Swans haben die Leute mein Konzept zunächst nicht verstanden, wir hätten das Restaurant beinahe geschlossen. Dann habe ich gesagt: Ab morgen gehen wir all in und kochen nur noch vegan. Was haben wir zu verlieren? Und was soll ich sagen? Es funktioniert jetzt!
Sie kochen im Seven Swans nicht nur vegan, sondern vor allem regional. Das bedeutet, Sie verwenden nahezu ausschließlich Zutaten, die vom restauranteigenen Bauernhof stammen. Schränkt das die Möglichkeiten nicht ziemlich ein?
Ganz im Gegenteil: Es spornt mich eher an, immer wieder etwas Neues in vermeintlich altbekannten Sorten zu entdecken. Hier wächst viel mehr als man denkt. Seit ich mit diesem Blick durch die Welt gehe, nehme ich die Umgebung wieder richtig wahr. Das war einer der besten Schritte meines Lebens. Außerdem: Was bringt es der Umwelt, vegan zu essen, aber dann eine Avocado um die Welt zu jetten? Das finde ich nicht sinnvoll. Das ist nicht mein Verständnis von Nachhaltigkeit.
Und das funktioniert? Vegane Sterneküche mit Zutaten vom Bauernhof in Hessen?
Das funktioniert hervorragend. Einer unserer ersten Mitarbeiter dort war David Schäfer, der in Südamerika die Permakultur schätzen gelernt hat. Permakultur ahmt die natürlichen Lebenskreisläufe in der Natur nach. Der erste Winter war zwar katastrophal, aber 2019 hatten wir dann auf drei Hektar rund 350 Gemüse-, Kräuter- und Getreidesorten: Amaranth, Quinoa, Mais ... Wenn die Leute auf dem Teller ein Radieschen sehen, dann sehen sie nur das Radieschen. Sie denken, das hat der Koch gestern beim Lieferanten bestellt und legt es heute auf den Teller. Dafür will niemand Sterneküche-Preise bezahlen. Aber hinter unseren Radieschen steckt so viel mehr.
Was genau steckt denn alles dahinter?
Ich habe das Saatgut im Winter bestellt und den Aussaatplan geschrieben: Wo genau bauen wir es an, zusammen mit welchen anderen Sorten? Bei Permakultur kommt es immer darauf an, dass sich die Pflanzen gegenseitig im Wachstum unterstützen. Dann geht es weiter: Wann fangen wir an zu mulchen, zu kompostieren, unterzuheben, wann starten wir damit, den Boden vorzubereiten? Wann fangen wir mit der nächsten Aussaat an, sodass wir drei, vier Monate lang immer dieselbe Qualität und Größe ernten, damit wir das gleiche Gericht im Restaurant anbieten können? Das ist der Prozess hinter dem Radieschen auf dem Teller. Die Zubereitung ist der kleinste Teil der Arbeit.
Welche Gewürze ziehen Sie auf dem Bauernhof?
Gar keine. Wir kochen nicht mit Gewürzen. Wie auf Kaffee, Kakao, Olivenöl und Zitrusfrüchte, verzichten wir aus grundsätzlichen Erwägungen auf solche nicht regionalen Zutaten – allerdings kommt unser Salz aus der Saline Luisenhall in Göttingen. Ich will den Leuten damit aber auch einfach zeigen: Das ist eine Karotte, so schmeckt dieses Gemüse eigentlich. Mit Gewürzen kochen kann jeder.
Was bieten Sie Leuten, die das schon wissen, wenn Karotten auf der Speisekarte stehen?
Unsere Karotte ist zwei Wochen gereift, bevor wir sie für ein paar Sekunden in Holzkohle grillen. So kriegt sie diese rustikale Röstnuance, aber auch dezente Tannine. Sie wird gewolft, vermengt mit fermentierten Aprikosen, Mädesüß und Kamille – selbstverständlich selbst gesammelt und gezogen. Aus dem Grün machen wir eine Emulsion, die Schale wird pulverisiert. Es kommt alles auf den Teller. Wir arbeiten nicht nur Farm-to-Table, sondern auch Root-to-Leaf.
Wie kommen Sie bei den Grenzen, die Sie sich selbst setzen, auf Ihre Ideen für die Menükarte?
Welche Grenzen? Wenn ich die Menükarte schreibe, gehe ich erstmal durch: Welche Produkte haben wir frisch in der Saison? Was haben wir fermentiert, eingeweckt, was für Öle, Sude stehen im Lager? Und dann nehme ich das Produkt, was mich interessiert – in dem Fall die Karotte – lege sie auf den Tisch und mache eine Mindmap. Welche Farbe hat sie? Wonach riecht sie? Wonach schmeckt sie roh? Welche Teile hat sie? Und was kann ich aus den jeweiligen Sachen machen? Da sind nicht viele Grenzen.
Sie holen Ihre Inspiration also buchstäblich vom Feld?
Und aus meiner Kindheit. Oft will ich einen bestimmten Geruch, den ich mit Emotionen aus der Kindheit verbinde, auf den Teller bringen. Zum Beispiel Regen – da denke ich an den Bolzplatz, an gute Zeiten. Also habe ich mal Regenwasser als Getränk serviert – natürlich gefiltert und natürlich nicht der saure Frankfurter Regen – und dazu eine in der Erde gebackene Kartoffel, noch im Dreck. Ich konnte auf den Gesichtern der Gäste beobachten, dass sie langsam verstehen: Ohne den Regen wächst die Kartoffel nicht, und die Kartoffel schmeckt so, wie sie schmeckt, weil sie in der Erde gewachsen ist. Alles schmeckt nach Regen und Kartoffelfeuer und ich denke an den Bolzplatz. Für solche Momente bin ich Koch geworden.
Zur Person:
Ricky Saward, Jahrgang 1989, hat es als Koch schon bis nach Australien verschlagen. Seine Ausbildung hat er in seiner Heimat im Münsterland gemacht. Seit 2018 kocht er im mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant Seven Swans in Frankfurt. Er lebt mit seiner Familie in der Mainmetropole und liebt es, zur Entspannung im Gewächshaus zu gärtnern. Sein Tipp für alle, die mehr vegan kochen wollen: „Einfach mal auf den Wochenmarkt gehen, sich von der Saison leiten lassen und bitte nicht drüber nachdenken, dass es nur Gemüse ist.“
3 vegane Restaurants
ausschließliche) mit mindestens einem Stern weltweit listet der Guide Michelin aktuell.
Quelle: Guide Michelin 2024
3 Prozent
der Deutschen ernähren sich rein vegan.
Quelle: Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels, 2023
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