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Seegras, die Lunge der Meere

Text von Lilian Schmitt
13.03.2024
Nachhaltigkeit

Seegras speichert große Mengen Kohlendioxid, gibt Sauerstoff ins Wasser ab und festigt den Meeresboden. Doch Verschmutzung und Klimawandel zerstören die nützlichen Pflanzen. Eine NGO aus Portugal will die Unterwasserwiesen wiederbeleben. 

Seegraswiesen sind wahre Klimaretter: Obwohl sie weniger als 0,1 Prozent des Meeresbodens bedecken, speichern sie bis zu 20 Prozent des gesamten Kohlenstoffs im Meer. Damit binden sie rund 30 Prozent mehr CO2 als Wälder. Doch das Seegras leidet unter dem Einfluss der Menschen. Nicht nur, weil die Meere verschmutzt werden. Auch der Klimawandel, der damit einhergehende Anstieg der Meerestemperatur und die zunehmende Versauerung der Ozeane bereiten Probleme: Jede fünfte Art ist inzwischen vom Aussterben bedroht. Die Meeresbiologin Raquel Gaspar setzt sich deshalb an der portugiesischen Atlantikküste für den Erhalt der Seegraswiesen ein. Im März 2015 gründete sie zusammen mit der Managerin Sofia Jorge die Nichtregierungsorganisation Ocean Alive, die sich um deren Lebensraum an der Küste von Setúbal, 50 Kilometer südwestlich von Lissabon, kümmert. 

Unterwasserwiesen als wertvoller Lebensraum

Aus der Luft betrachtet sieht die Seegraswiese am Strand Ponta do Adoxe wie ein großer, dunkler Teppich aus. Wer genauer hinsieht, bemerkt: An der Wasseroberfläche blubbern kleine Sauerstoffblasen auf – ein Hinweis darauf, dass das Ökosystem intakt ist. Die Unterwasserlandschaft ist ein bedeutender Lebensraum für Fische, Krabben, Muscheln und Schildkröten, die dort Nahrung und Schutz finden. Das sind ideale Bedingungen, um sich zu vermehren. Dass die Natur an der Flussmündung des Sado gedeiht, zeigt sich auch an der wachsenden Delphinpopulation. Im vergangenen Jahr wurden im Kreis Setúbal im Naturschutzgebiet sechs Delphinbabys gezählt. Das war nicht immer so. „Wir freuen uns, denn das signalisiert uns, dass sich das Ökosystem von der Verschmutzung in den vergangenen Jahrzehnten erholt hat“, sagt Cristina Coelho, Leiterin für nachhaltige Entwicklung und Umweltsanierung in Setúbal. 

Wir können den Lebensraum im Meer wiederbeleben, indem wir versuchen, die Seegraswiesen zu erhalten.
Raquel Gaspar, Meeresbiologin

Zuvor belasteten Fabriken mit ihren Abwässern und Landwirte mit ihren Pestiziden in der Nähe des Sado Wasser, Böden und am Ende auch den Atlantik. In der Folge starben Teile der Seegrasbestände ab, die ohnehin schon durch die Erwärmung der Meere geschwächt waren. Mittlerweile schränken nationale Gesetze Industrie und Landwirtschaft ein: So müssen Fabriken das Wasser reinigen, bevor sie es in die Mündung ablassen, und die Landwirtschaft darf nur noch wenige Pestizide ausbringen. 

Die Arbeit von Ocean Alive trug ebenfalls entscheidend zur Erholung des Ökosystems an der Flussmündung bei. Gründerin und Biologin Raquel Gaspar forscht bereits seit mehr als 20 Jahren in der Region. Sie beobachtet nicht nur die Delphinbestände an den Küsten Portugals, sondern lernte auch, wie wichtig Seegräser für die Biodiversität unter Wasser und für den Klimaschutz sind: „Ich glaube fest daran: Wir können den Lebensraum im Meer wiederbeleben, indem wir versuchen, die Seegraswiesen zu erhalten“, erklärt Gaspar gegenüber Patagonia Films das Ziel ihrer Initiative. 

Hüterinnen des Meeres

Zur Realisierung des Projekts holte sich Gaspar Unterstützung von 18 Fischerinnen aus der Region. Diese sogenannten Hüterinnen kümmern sich gemeinsam mit Wissenschaftlern des portugiesischen Zentrums für Meeresbiologie um die Seegraswiesen im Sado Naturreservat. Bei regelmäßigen Tauchexpeditionen kontrollieren Biologen zum Beispiel die Population geschützter Spezies wie dem Seepferdchen. Die Fischerinnen wiederum erfassen die Seegrasbestände akribisch auf Karten. 

Sandra Lazáro ist eine der Meereshüterinnen, die für Ocean Alive unterwegs sind. Sie stammt aus einer Fischerfamilie und ist seit mehr als 35 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann auf dem Meer unterwegs. Die Seegraswiesen sind für sie besonders wichtig, weil in ihnen die Tiere leben, die sie fangen. Derzeit stockt Lazáro mit ihrer Tätigkeit für das Umweltprojekt lediglich ihr Gehalt auf. „Ich hoffe, dass die Arbeit für Ocean Alive eines Tages ein Vollzeitjob wird“, sagt Gaspar auf der Planetiers auf der World Gathering Konferenz 2022 in Lissabon. 

Zu den Aufgaben von Lazáro und ihren Kolleginnen gehört nicht nur das Kartographieren, sondern auch die Aufklärung der Fischer. Diese Tragen zur Zerstörung der Seegraswiesen bei, wenn sie zum Beispiel ihre Boote an sehr langen Leinen festmachen, die sich beim steten Wellengang mit den Seegrashalmen verheddern. Sogar traditionelle Fangmethoden gefährden das Ökosystem, etwa, wenn die Fischer Salz verwenden, um Muscheln anzulocken. Die Plastikbehälter, in denen das Salz transportiert wurde, ließen sie bisher einfach am Strand liegen. Die Ansprachen von Lazáro & Co. zeigen Wirkung: Mittlerweile nehmen die Fischer ihren Müll nach getaner Arbeit mit und entsorgen ihn ordnungsgemäß oder sie ankern jenseits der Unterwasserhabitate. 

In den vergangenen Jahren hat Ocean Alive mithilfe der Fischerinnen mehr als 20 Seegraswiesen erfasst. Darüber freut sich auch Coelho: „Das Beste, was wir tun können, ist zu schützen, was wir haben - dafür müssen wir aber zuvor wissen, wie viel schon da ist.“

1.700 Hektar
beträgt die Fläche der Seegraswiesen an den Küsten Portugals – das entspricht knapp 2.400 Fußballfeldern.
Quelle: Ocean alive

56.000 Tonnen
CO2 binden die Seegraswiesen der deutschen Ostsee, die eine Fläche von etwa 285 Quadratkilometern bedecken.
Quelle: Helmholtz Climate Initiative 

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