Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

Fleißige Algen

Text von Sina Hoffmann
25.10.2023
Nachhaltigkeit

Die Alge Sargassum verbreitet sich auf Grund des Klimawandels unkontrolliert – und kann gleichzeitig zum Klimaschutz beitragen. Das Start-up MacroCarbon will deshalb Algen im großen Stil züchten. Die Pflanzen sollen CO2 binden und anschließend zu Rohstoffen für die Industrie verarbeitet werden.

Mar Fernández-Méndez, promovierte Meeresbiologin und Gründerin von MacroCarbon, blickt auf die tosenden Wellen des Atlantiks. Hier, vor der Insel Gran Canarias, will sie riesige Algenfarmen anlegen. Darin soll die Makroalge Sargassum wachsen und CO2 absorbieren. Bis 2040 sollen so bis zu 100 Millionen Tonnen, bis 2050 sogar eine Gigatonne CO2 pro Jahr gebunden werden. Zum Vergleich: Die Emissionen in Deutschland betrugen im vergangenen Jahr 660 Millionen Tonnen.

Alles begann mit einem Podcast

Der Grundstein für das ehrgeizige Projekt wurde im Jahr 2021 im Podcast „The Sargassum“ gelegt, den die Meeresbiologin gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Franziska Elmer betreibt. Der Ozeanograph Prof. Victor Smetacek vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) war damals zu Gast, um seine Idee des Aqua-Farmings vorzustellen. Smetacek forschte bereits seit den 1990er-Jahren zu Algen, insbesondere zu Sargassum. Seit 2011 breitet sich diese schwimmende, wurzellose Alge durch den Klimawandel unkontrolliert im Atlantik aus und wird in riesigen Mengen an karibischen Küstenregionen angeschwemmt. Die verwesenden Pflanzen verpesten dort nicht nur die Luft. Die dabei entstehenden giftigen Schwefelgase gefährden zudem die Gesundheit von Menschen und Tieren.

Doch der Forscher war weiterhin von seiner Idee überzeugt, Algen gegen den Klimawandel einzusetzen. „Wir müssen nicht nur aufhören CO2 zu produzieren, sondern es aus der Atmosphäre binden – zum Beispiel mithilfe von Sargassum“, sagte er im Gespräch. Sebastian Stephens, Unternehmer und Hörer des Podcast, wollte Smetaceks Idee sofort umsetzen. 2021 gründete Stephens mit weiteren sieben Unternehmern und Forschenden – darunter auch Fernández-Méndez – das Aquakultur-Unternehmen Seafields Solutions mit Sitz in England.

„Wir müssen nicht nur aufhören CO2 zu produzieren, sondern es aus der Atmosphäre binden – zum Beispiel mithilfe von Sargassum“
Prof. Victor Smetacek, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Erfolgreiche Forschung

Einige Folgen später war Jason Cole, Head of Innovation des US-Unternehmens Carbonwave, im Podcast zu Gast. Das Unternehmen sammelt Sargassum vor den karibischen Küsten, um es zu hochwertigen Produkten wie Kosmetikartikel aufzubereiten. Carbonwave und Seafields schlossen sich mit den Forschungsinstituten AWI und Geomar sowie einem Forschungsteam des Chemiekonzerns BASF zum Konsortium C-CAUSE (Chemical Carbon Utilization through Sargassum Economy) zusammen, um am Innovationswettbewerb „Carbon-to-Value-Challenge“, der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) teilzunehmen.

Mit Erfolg: Mit der in Phase eins gewonnenen Förderung in Höhe von 700.000 Euro entwickelte C-CAUSE einen ersten Aquafarm-Prototyp vor der karibischen Insel San Vincent. Nach Berechnungen der Forschenden können die Algenfarmen jährlich 100 Tonnen CO2 pro Hektar speichern. Zudem sollte durch Fermentation Ethanol für die Industrie hergestellt werden.

Die Forschenden kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass es effizientere Wege der Verarbeitung gibt: „Wir haben den Prozess verändert und vergasen nun die Biomasse in einem Reaktor, um Bio-Naphtha statt Ethanol herzustellen“, sagt Fernández-Méndez. Als Nebenprodukt entsteht Bio-Kohle, die ebenfalls CO2 speichert. Partner BASF sieht darin die Chance, erdölbasierte Rohstoffe durch biobasierte zu ersetzen. Diese können künftig als Grundlage für langlebige technische Bio-Kunststoffe für zum Beispiel Computer oder Autos dienen. „Sargassum ist eine potenzielle, zukünftige Rohstoffquelle. Es bedarf aber noch intensiver Forschung, um hier Schlüsse zur Verwendbarkeit ziehen zu können“, so Dr. Ulrike Hees, zuständige Projektkoordinatorin bei BASF.

Kritische Stimmen

Sargassum bindet aber nicht nur CO2 und kann fossile Brennstoffe in der Industrie ersetzen. Zusätzlich sorgt die Alge für mehr Biodiversität und reflektiert Licht, sodass ein Kühlungseffekt entsteht. Dennoch gibt es Bedenken gegenüber dem Vorhaben. Es sei nicht absehbar, welche Einflüsse der Anbau von riesigen Algenfarmen auf das Ökosystem habe, so ein Argument der Kritiker. Nadja Ziebarth, Meeresschutzreferentin des BUND, sagt: „Die Algenfarm stellt einen Eingriff in die Natur dar. Technische Tricks halten den Klimawandel nicht auf, das passiert nur, wenn wir den CO2-Ausstoß senken.“

Doch diese Einwände halten das C-CAUSE-Team nicht vom Weitermachen ab, denn der Umweltschutz steht für sie an oberster Stelle und wird durch genaue Dokumentation der ökologischen Werte sichergestellt. Da laut Reglement in der zweiten Phase des SPRIND-Wettbewerbs ein Unternehmen mit Sitz in der EU und kein Konsortium gefördert werden soll, gründeten Fernández-Méndez und Cole im März 2023 kurzerhand das Start-up MacroCarbon mit Sitz auf Gran Canaria. „Um Lösungen zu finden, brauchen wir diese enge Kooperation zwischen Wirtschaft und Forschung“, sagt Fernández-Méndez. Bis September 2024 erhält MacroCarbon nun von SPRIND eine Förderung in Höhe von 2,3 Millionen Euro. Damit soll auf der Ozeanforschungsplattform PLOCAN (Plataforma Oceánica de Canarias) nun der Algenanbau ausgeweitet und die Algen nach der Ernte direkt weiterverarbeitet werden. Im weiteren Verlauf gilt es dann, die beiden Prozesse Anbau und Verarbeitung optimal aufeinander abzustimmen. „Das macht MacroCarbon so besonders: Es gibt kaum Firmen, die beides machen“, so Fernández-Méndez.

Mar Fernández-Méndez hat ehrgeizige Pläne: Bis Ende nächsten Jahres soll eine Farm mit einer Fläche von bis zu 300 Quadratmetern entstehen.

Noch lange nicht am Ziel

Der Prototyp der Algenfarm soll einen Quadratkilometer groß sein und mit beweglichen Barrieren im Meer abgegrenzt werden. „Würden wir eine feste Struktur verwenden, könnten sich die Algen nicht frei mit der Meeresströmung bewegen. Sie würden sich auf einer Seite sammeln, nicht genug Licht bekommen und sterben“, erklärt die Algenforscherin. Zudem müssen die Barrieren dem rauen Seegang und Salzwasser standhalten, weil die Algen ansonsten davontreiben. Da die Bedingungen im Atlantik von denen der Karibik abweichen, muss zum Beispiel getestet werden, ob Sargassum vor den Kanaren auch ohne die Zugabe von Nährstoffen wächst.

Fernández-Méndez hat ehrgeizige Pläne: Bis Ende nächsten Jahres soll eine Farm mit einer Fläche von bis zu 300 Quadratmetern entstehen. Danach muss die gebürtige Spanierin noch solvente Investoren von ihrem Vorhaben überzeugen, da der Ausbau der Infrastruktur Millionen kosten wird.

36,8 Gigatonnen

CO2-Emissionen wurden weltweit im Jahr 2022 verursacht.

Quelle: Internationale Energieagentur

14 Millionen Tonnen

Sargassum müssen täglich geerntet werden, um eine Gigatonne CO2 pro Jahr zu binden.

Quelle: Seafields

Ähnliche Artikel