Schwimmende Ökosysteme
Geringe Artenvielfalt, schlechte Wasserqualität, mit Rückhalte- und Stützmauern aus Beton und Stahl eingegrenzt – vielen deutschen Flüssen und Seen geht es schlecht. Die wirksamste Maßnahme dagegen: Renaturierung. Wo das aufgrund dichter Bebauung nicht möglich ist, können schwimmende Ökosysteme und vertikale Feuchtgebiete helfen. Te:nor stellt drei Projekte vor.
Fast zwei Drittel der Seen und Flüsse in Europa sind in einem schlechten ökologischen Zustand. Vor allem Luftverschmutzung, Klimawandel, chemische Abfälle aus der Industrie sowie Pestizide und Dünger aus der Landwirtschaft haben die Wasserqualität in den vergangenen Jahren stark beeinträchtigt. Auch in Deutschland bezeichnet die Europäische Umweltagentur in einer aktuellen Studie nur neun Prozent der Gewässer als gut. Das soll sich ändern, fordert die EU und hat daher in der Wasserrahmenrichtlinie festgehalten, dass bis zum Jahr 2027 sämtliche Gewässer das Prädikat gut erreichen sollen.
In Deutschland setzt man dazu hauptsächlich auf Renaturierungsmaßnahmen, die zum Beispiel für naturbelassene Ufer und Flachwasserzonen sorgen – wichtige Lebensräume für viele Pflanzen, Tiere und Fische. Wo es nicht möglich ist, die natürliche Topologie wiederherzustellen, helfen zum Beispiel schwimmende Inseln und vertikale Feuchtgebiete, die Wasserqualität zu verbessern.
Künstliche Inseln im Landwehrkanal
Ein Projekt hat das schottische Biotech-Unternehmen Biomatrix Water im Landwehrkanal in Berlin umgesetzt. Im Rahmen der Aktion Living Water Cities schlug das Team dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) vor, dort zwei schwimmende Ökosysteme anzulegen. In Zusammenarbeit mit dem Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt, das sicherstellt, dass die Inseln den Schiffsverkehr nicht behindern, wurden diese im Jahr 2021 im Landwehrkanal installiert. Die robusten, langlebigen Inseln bestehen aus recycelten und recycelbaren Materialien: Kunststoff sorgt für den Auftrieb. Auf Edelstahlverbindungen, die mit Kokosmatten ummantelt sind, finden heimische Pflanzen wie der Röhricht einen neuen Platz. Von den Bewohnern werden die neuen Grünflächen gut angenommen, erzählt Christian Wolter, Forschungsgruppenleiter am IGB: „Inzwischen haben sich Bisamratten, Vögel, Enten und sogar ein Otter auf den Inseln angesiedelt.“
Bei aller Begeisterung über die ersten Erfolge sieht Wolter auch Verbesserungsbedarf. Dabei geht es ihm vor allem um die Kunststoffschwimmkörper. „Inseln aus biologisch abbaubaren Materialien bieten den Vorteil, dass die Wurzeln durch das Substrat wachsen – sie können Fischen und anderen Kleintieren als Lebensraum dienen“, erklärt Wolter. Gleichzeitig helfen die Wurzeln, überschüssige Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor sowie organisches Material aufzunehmen und so die Wasserqualität zu verbessern.
Vertikale Feuchtgebiete in Spandau
In einem weiteren Projekt verzichtet das IGB daher auf Kunststoff: Gemeinsam mit dem Berliner Ingenieurbüro WITE hat das Institut im Jahr 2023 im Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal vertikale Feuchtgebiete angebracht. Diese Vertical Wetlands sind direkt an den Spundwänden des Kanals befestigt und bestehen ausschließlich aus plastikfreien Materialien. Zum Einsatz kommen vor allem Holz, Sand und Kies, biologisch abbaubarer Vlies sowie einheimische Pflanzen, darunter Weiden, Erlen und Schilf. Die vertikalen Feuchtgebiete bieten sowohl auf den Pflanzenmodulen als auch unter Wasser Schutz – und verhindern zudem, dass sich die Kanalwände und in der Folge auch das Wasser stark aufheizen. Bereits kurz nach der Installation zeigten sich erste Erfolge: Wolters Team entdeckte Fischlaich und neue Wasserpflanzen an den Modulen, auch Blässhühner unternahmen erste Nestbauversuche.
Natürliche Schwimminseln im Spoykanal
Auch in Kleve will man das Potenzial der schwimmenden Inseln nutzen und dabei auf Kunststoff verzichten. Hier arbeitet die NABU-Naturschutzstation Niederrhein mit den Unternehmen Pflanzeninsel Niederrhein und Ökon zusammen, die mit Bimsstein und Kork statt Kunststoff, für den nötigen Auftrieb der Inseln sorgen. Insgesamt zehn schwimmende Ökosysteme hat der Verein in diesem Sommer im Spoykanal installiert. Der künstlich angelegte Kanal verbindet die natürlichen Gewässer Wetering und Kermisdahl mit dem Rhein. Auch hier fehlen aufgrund der eingezogenen Spundwände naturnahe Lebensräume. Die Inseln sind etwa einen Quadratmeter groß und bestehen im Fall der Pflanzeninsel Niederrhein aus mit Bimssteinen oder Kork befüllten Drahtkörben mit vorgefertigten Pflanzlöchern für heimische Pflanzen, wie Sumpfschwertlilien, Blutweiderich und Wasserminze.
Mit den Schwimminseln will der Verein alternative Lösungen für eine Verbesserung des ökologischen Zustands aufzeigen und die Anwohner für mehr Gewässerschutz sensibilisieren. In den nächsten zwei Jahren untersuchen Projektleiterin und Naturschutzreferentin Lena Wiest und ihr Team, ob und wie die Inseln durch Bewohner wie Fische, Insekten und Vögel genutzt werden. Sie hofft, dass das Projekt positive Effekte auf die Strukturvielfalt hat und in Zukunft weitere Inseln installiert werden. Denn diese bieten nicht nur Lebensraum für Land- und Wasserbewohner. Sie könnten in Zukunft, wenn mehr Inseln eingesetzt werden, auch auf das übermäßige Algenwachstum Einfluss nehmen – ein Thema, das die Klever besonders beschäftigt. „Wir haben ein riesiges Algenproblem“, erzählt Wiest. „Teilweise müssen sie sogar mit einem Schiff entfernt werden.“
Mehr Projekte für mehr Akzeptanz
Die drei Projekte in Berlin und Kleve schaffen erfolgreich neue Lebensräume und verbessern die Wasserqualität. „Die Lösungen werten diese Gebiete ökologisch schnell und auch kostengünstig auf“, fasst IGB-Forschungsleiter Wolter zusammen. Zumal die Projekte meist über Förderprogramme finanziert werden können.
Dennoch sind solche Projekte – vor allem ohne Kunststoffschwimmkörper – noch recht selten anzutreffen. Das liegt zum einen daran, dass die plastikfreien Varianten nicht sehr langlebig und damit wartungsintensiver sind. Zum anderen bremsen bürokratische Vorgaben die gut gemeinten Vorhaben aus. So kann die Genehmigung einer Schwimminsel teilweise mehrere Jahre dauern. Wolter ist jedoch zuversichtlich: „Jedes weitere erfolgreiche Projekt steigert die Akzeptanz und ruft Nachahmer auf den Plan, sodass am Ende mehr skalierbare und nachhaltige Lösungen auf den Markt kommen werden.“
77 Prozent
der deutschen Oberflächengewässer sind durch Landwirtschaft negativ beeinflusst.
Quelle: Umweltbundesamt
18 Prozent
der Gewässer in Deutschland sollen bis 2027 einen mindestens guten ökologischen Zustand erreichen – damit erfüllt Deutschland die EU-Vorgaben nicht.
Quelle: Umweltbundesamt
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Als erstes Land hat Frankreich ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung eingeführt. Doch das Vorzeigemodell wird mehr und mehr zum Spielball wirtschaftlicher Interessen. Kann Frankreichs Ansatz dennoch ein Vorbild für Deutschland sein?
Über diese Frage streiten weltweit Experten, Politiker und Laien: Was ist günstiger: den Klimawandel aufzuhalten oder sich darauf vorzubereiten? Eine Gegenüberstellung von Nutzen und Kosten.