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Von der Kloake zum Paradies - die Renaturierung der Emscher und des Elizabeth River

Text von Sina Hoffmann
15.01.2024
Nachhaltigkeit

Was die Emscher für das Ruhrgebiet, ist der Elizabeth River für Virginia: Die Industrialisierung verwandelte beide Flüsse in Kloaken. Heute sind sie wieder gefragter Lebensraum für Tiere, Pflanzen und Menschen – durch staatliche Hilfen einerseits und durch freiwilliges Engagement andererseits. Ein Vergleich.

Rund 80 Prozent der Flüsse weltweit fließen ungefiltert ins Meer und transportieren jährlich bis zu 2,7 Millionen Tonnen Müll in die Ozeane. Selbst in Deutschland, wo Kläranlagen zum Standard gehören, sind mehr als 90 Prozent der Gewässer in einem ökologisch schlechten Zustand. Der Großteil der Flüsse etwa muss renaturiert werden. Ein teures Unterfangen – es sei denn, man kann auf unzählige Freiwillige bauen.

Das blaue Wunder von Norfolk

Wie Renaturierung kostengünstig funktionieren kann, zeigt ein Blick in die USA: Der Elizabeth River, ein Zufluss zur Chesapeake Bay, ist einer der am stärksten industrialisierten Flüsse der Nation. Hafenanlagen, Schrottplätze und Industrieunternehmen säumen die Ufer. Im 20. Jahrhundert verschlechterte sich die Wasserqualität des Elizabeth River drastisch durch deren Abfälle. Eine der am stärksten betroffenen Stellen war der Grund am Money Point im südlichen Arm des Flusses. Dieser war von einer meterdicken Schicht Kreosot bedeckt – einem schwarzen Teer, der zur Behandlung von Pfählen für den Bau von Häfen zum Einsatz kommt. Das krebserregende Material führte dort zum Aussterben sämtlicher Tiere.

Ekizabeth River: Delfine, Flussotter, Seepferdchen und Seeadler sind zurückgekehrt.

Eine Nachricht, die alarmierte: 1993 taten sich vier besorgte Anrainer zusammen, um den Elizabeth River zu retten. Sie gründeten das gemeinnützige Elizabeth River Project (ERP) und konnten rund 140 Unternehmen, Stiftungen, Behörden und Schulen sowie mehrere Tausend Bürger davon überzeugen, bei der Renaturierung zu helfen: Sie baggerten giftiges Sediment aus dem Flussbett, stellten Feuchtgebiete wieder her und forsteten Wälder auf. Mittlerweile ist die Hälfte des insgesamt rund 33 Kilometer langen Flusses samt Nebenarmen wiederbelebt - Delfine, Flussotter, Seepferdchen und Seeadler sind zurückgekehrt. Im Jahr 2022 spendeten Anwohner insgesamt 700.000 US-Dollar und knapp 900 Freiwillige sammelten zum Beispiel zwei Tonnen Müll an den Ufern.

Die neue Emscher

Auch in Deutschland werden belastete Flüsse renaturiert. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Emscher, ein Nebenfluss des Rheins. Seit Beginn der Industrialisierung leiteten sowohl private Haushalte als auch Industrie und Bergbau ihre Abfälle in das Gewässer. 1991 fasste die Emschergenossenschaft den Entschluss, den Fluss zu säubern. Dieser öffentlich-rechtliche Wasserverband baute innerhalb von 30 Jahren vier Großkläranlagen und drei gigantische unterirdische Pumpwerke. Er verlegte mehr als 430 Kilometer Abwasserleitungen und -kanäle. Im Jahr 2022 waren die Arbeiten abgeschlossen und die Emscher endlich wieder abwasserfrei – zum ersten Mal seit rund 170 Jahren. Die einst stinkende „Köttelbecke“ ist heute ein Lebensraum, an dem sich Tiere und Menschen gerne aufhalten.

Rund 5,5 Milliarden Euro kostete die neue Emscher – und an dieser Stelle stößt man auf den großen Unterschied zum ERP: Während in den USA vor allem Freiwillige, Schüler, Studenten und gemeinnützige Organisationen bei der Realisierung halfen, wurde die Renaturierung der Emscher im Wesentlichen von den rund 200 Mitgliedern der Emschergenossenschaft finanziert. Dabei handelt es sich um Industrieunternehmen, die zur Wiedergutmachung der Zerstörung des Emscher Lebensraums eintreten mussten, sowie um Kommunen. Etwa ein Fünftel der Finanzierung stammt aus Förderquellen des Landes Nordrhein-Westfalen beziehungsweise der Europäischen Union. Einzelne Bürger konnten nicht spenden.

Kulturelle Unterschiede beeinflussen die Spendenbereitschaft

Doch wie schafften es die ERP-Initiatoren, so viele Leute für den Elizabeth River zu begeistern? Um die Gründe zu verstehen, lohnt ein Blick auf die kulturellen und politischen Unterschiede: In den USA gehören ehrenamtliches Engagement und Philanthropie in jeden guten Lebenslauf – die meisten Arbeitgeber achten bei der Bewerberauswahl speziell darauf. Durch steuerliche Begünstigungen wird zudem die Spendenbereitschaft angekurbelt. Das Ergebnis: Während die durchschnittliche Spendenhöhe in Deutschland bei 43 Euro pro Kopf liegt, kommt jeder US-Bürger auf mehr als 700 US-Dollar.

Hinzu kommt, dass Deutsche höhere Steuern zahlen. „Die Menschen in Deutschland erwarten eher, dass der Staat Verantwortung übernimmt und Projekte mit Bedeutung für das Allgemeinwohl finanziert, wie es ja auch bei der Emscher passiert ist“, sagt Kognitionsforscher Stephan Dickert, Associate Professor an der Queen Mary University of London.

Die Menschen sollten sich wieder in ihren Heimatfluss verlieben und Hoffnung schöpfen, dass wir den einst tot geglaubten Fluss wieder zum Leben erwecken können.
Marjorie Mayfield Jackson, Leiterin Elizabeth River Project

Mut machen zum Mitmachen

Die beiden Renaturierungsprojekte unterscheiden sich auch in der Art ihrer Kommunikation. Während die Anwohner der Emscher von der Emschergenossenschaft über Maßnahmen informiert wurden und sich lediglich bei Mitmachaktionen einbringen konnten, mussten am Elizabeth River zunächst Mitstreiter gewonnen und von dem Vorhaben überzeugt werden. Mitgründerin und Leiterin der Organisation, Marjorie Mayfield Jackson, sagt: „Viele Menschen kannten anfangs nicht mal den Namen des Elizabeth River, sie hatten ihn als industriellen Abwasserkanal abgeschrieben.“ Deshalb entwickelte Jackson Werbekampagnen mit kurzen, einprägsamen Slogans („Do something beautiful“), mit denen sich die Einwohner identifizieren konnten. Ihr Ziel: „Die Menschen sollten sich wieder in ihren Heimatfluss verlieben und Hoffnung schöpfen, dass wir den einst tot geglaubten Fluss wieder zum Leben erwecken können.“

Bei jeder wichtigen Entscheidung berücksichtigte das ERP-Team die Wünsche und Ängste der Beteiligten. „Wir versuchen eine Situation zu schaffen, in der die Interessen der Gemeinschaft ebenso berücksichtigt werden wie die des Ökosystems“, erklärt Jackson. Ein erfolgsversprechendes Konzept, wie Psychologe Dickert findet: „Die Leute werden direkt angesprochen und merken, dass sie mit ihrer Spende oder ihrer Hilfe unmittelbar etwas erreichen können.“

Keine Ausreden mehr

Dass sowohl in den USA als auch in Deutschland bisher nur circa vier Prozent der privaten Spenden in den Umweltschutz fließen, liegt laut Dickert auch daran, dass die Klima- und Umweltkrise oft abstrakt und für viele gefühlt weit weg ist. Projekte wie Renaturierungen haben einen langen Zeithorizont, der es schwer macht, Verantwortung zu übernehmen, und leicht, sich nicht zu engagieren. Viele Menschen ändern ihr Verhalten auch deshalb nicht, weil ihnen die Auswirkungen ihres Handelns zu gering erscheinen. „Wenn man das Wegschauen schwieriger macht und gleichzeitig die Selbstwirksamkeit hervorhebt, kann man Menschen eher für Umweltschutz gewinnen“, so Dickert.

Die Angebote zum Mitmachen sollten deshalb möglichst niederschwellig sein. Die Bewegung Fridays for Future setzt dies bereits erfolgreich um: keine Vereinsmitgliedschaft, keine monatlichen Beiträge. Wer gerade Zeit und Lust hat, schließt sich den Freitagsdemonstrationen an. Immer mehr Organisationen folgen diesem Beispiel, so auch Rhine CleanUp, ein Düsseldorfer Verein, der die Ufer von 26 Flüssen von Tüten, Flaschen und anderen Unrat befreit. Gründer Joachim Umbach beobachtet: „Die Bereitschaft der Menschen, sich ehrenamtlich zu engagieren und selbst anzupacken ist deutlich gestiegen.“ Der Erfolg gibt ihm Recht: Am bundesweiten Aktionstag im September 2023 sammelten insgesamt 50.000 Helfer 300 Tonnen Müll ein.

1.000 Flüsse
weltweit leiten 80 Prozent des Plastikmülls in die Ozeane.
Quelle: Ocean Cleanup

2 Prozent
der weltweiten Spenden fließen in den Klimaschutz.
Quelle: ClimateWorks Foundation

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