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Das zweite Leben für Handy & Co.

Text von Sina Hoffmann
28.02.2024
Nachhaltigkeit

Das gemeinnützige Unternehmen AfB social & green IT bereitet ausgemusterte IT-Geräte, wie Smartphones, Laptops und Drucker, wieder auf. Neben Refurbishing steht bei dem europaweiten Unternehmen mit Hauptsitz im badischen Ettlingen auch der soziale Mehrwert im Mittelpunkt: Fast die Hälfte der Mitarbeiter hat eine Behinderung.

Ohne Computer, Smartphones und Drucker kommt kein Unternehmen mehr aus. Da verwundert es nicht, dass nach einer Studie der Beratungsgesellschaft McKinsey die Nutzung der Hardware über den gesamten Lebenszyklus hinweg bis zu zweimal mehr Emissionen verursacht als der Betrieb von Rechenzentren – nämlich 13 bis 17 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr allein in Deutschland. Der Betrieb von Computern und Internet verursacht damit ähnlich viele Emissionen wie der internationale Luftverkehr. Dabei könnten wir unseren ökologischen Fußabdruck schnell reduzieren - einfach, indem wir die Geräte länger nutzen. Um für mehr Nachhaltigkeit im IT-Sektor zu sorgen und die Lebensdauer der Geräte zu verlängern, bieten immer mehr Dienstleister sogenannte Refurbished-Produkte an, also Geräte, die wiederaufbereitet werden und dadurch ein zweites Leben bekommen.

Einer dieser Anbieter ist das gemeinnützige und inklusive IT-Unternehmen AfB, die Abkürzung steht für Arbeit für Menschen mit Behinderung. „Unsere Ressourcen auf der Erde sind begrenzt, wir können und sollten es uns nicht leisten, Geräte wegzuwerfen, die eigentlich noch vollfunktionsfähig oder reparierfähig sind“, sagt Daniel Büchle, Geschäftsführer von AfB. Das Geschäftskonzept klingt so einfach wie effektiv: Die Mitarbeitenden holen die gebrauchten Geräte bei Unternehmen und Behörden ab, löschen sämtliche Daten, reparieren die Hardware bei Bedarf und verkaufen sie weiter. Allein 2023 bearbeitete AfB an seinen 20 Standorten in Deutschland, Österreich, Frankreich, der Schweiz und der Slowakei rund 666.000 Geräte.

Die Aufbereitungsbilanz kann sich sehen lassen: Gut zwei von drei Geräten hat das Unternehmen 2023 in die Kreislaufwirtschaft zurückgeführt – der Rest dient als Ersatzteillager oder wird recycelt. Dadurch hat AfB im Vergleich zur Neuproduktion rund 66.000 Tonnen CO2, rund 480 Millionen Liter Wasser, 252.300 Megawattstunden Primärenergie und 31.000 Tonnen Rohstoffe in Eisenäquivalenten, wie Kupfer, Silber, Gold und Palladium, eingespart. 

Unsere Ressourcen auf der Erde sind begrenzt, wir können und sollten es uns nicht leisten, Geräte wegzuwerfen, die eigentlich noch vollfunktionsfähig oder reparierfähig sind.
Daniel Büchle, AfB-Geschäftsführer

Vom Start-up zum Marktführer

Mit seinem Geschäftsmodell profitiert AfB vom stark gewachsenen Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Vor einigen Jahren waren die Unternehmenskunden noch sehr skeptisch, wenn sie davon hörten. So bezweifelten viele, dass ein gemeinnütziges Inklusionsunternehmen tatsächlich hochwertige und sensible IT-Dienstleistungen erbringen kann. „Viele dachten, dass wir mit ein paar Leuten in einer Werkstatt sitzen und herumbasteln“, erzählt Büchle, der das Unternehmen gemeinsam mit dem Gründer Paul Cvilak im Jahr 2004 aufgebaut hat.

AfB musste in den Folgejahren einiges an Überzeugungsarbeit leisten und beweisen, dass man genauso professionell arbeitet wie die Konkurrenz. „Wir wollen kein Mitleid und keine Geldspenden, sondern haben den Anspruch, besser als unsere internationalen Wettbewerber zu sein“, so Büchle. Das gelinge nur, weil AfB seine Innovationskraft und Flexibilität aus der Start-up-Phase beibehalte, gleichzeitig aber eine professionelle Organisationsstruktur habe und alle Lösungen, vom Transport bis zum Wiederverkauf, aus einer Hand anbiete.

Das IT-Unternehmen hat mittlerweile mehr als 1.600 Geschäftskunden von seinem Konzept überzeugt, darunter Banken, Versicherungen, öffentliche Einrichtungen und namhafte Konzerne wie Siemens, DHL oder Telekom. Und auch für sie lohnt sich die Zusammenarbeit: Mit den Einnahmen aus dem Verkauf finanzieren sie neue Geräte und verbessern gleichzeitig durch die positiven ökologischen und sozialen Effekte ihr Nachhaltigkeits-Rating.

Aus Alt mach Neu

Im Durchschnitt tauschen die Unternehmen alle vier Jahre ihre Hardware aus und beauftragen AfB mit der Abholung nicht mehr benötigter Geräte. Diese werden unter höchsten Sicherheitsstandards ins videoüberwachte Lager der nächstgelegenen Niederlassung transportiert, wo ihnen die AfB-Mitarbeiter zu Leibe rücken: Nach zertifizierten Standards löschen sie mithilfe einer speziellen Software alle Daten. Anschließend werden die Geräte für die Zweitnutzung aufbereitet, oft ist dafür auch eine Reparatur oder ein Upgrade notwendig. Dafür ist unter anderem Anja Spangenberg verantwortlich. Die gelernte Tischlerin arbeitet seit 2018 im Refurbishment in der thüringischen Niederlassung des Inklusionsbetriebs. Sie baut Laptops und Smartphones auseinander, ersetzt kaputte Teile und aktualisiert das Betriebssystem. „Je nachdem, was kaputt ist und wie groß der Schaden ist, dauert es circa 30 Minuten, einen Laptop zu reparieren“, erklärt sie.

An der nächsten Station testen ihre Kollegen das Gerät und stellen sicher, dass alles einwandfrei funktioniert. Anschließend werden die Refurbished-Geräte in die Ladengeschäfte an acht deutschen Standorten wie Nürnberg, Berlin und Köln gebracht oder im Onlineshop mit einem Preisnachlass von im Durchschnitt 40 Prozent im Vergleich zur Neuware verkauft. Zur Kundschaft gehören überwiegend Privatpersonen sowie Schulen, gemeinnützige Organisationen und kleine Unternehmen. 

Wir wollen kein Mitleid und keine Geldspenden, sondern haben den Anspruch, besser als unsere internationalen Wettbewerber zu sein.
Daniel Büchle, AfB-Geschäftsführer

Barrieren gemeinsam überwinden

Refurbishing-Spezialistin Spangenberg hatte, bevor sie zu AfB kam, bereits bei einem anderen IT-Dienstleister Geräte repariert. Der größte Unterschied zu ihrem alten Arbeitgeber: Bei AfB hat fast die Hälfte der knapp 660 Mitarbeitenden eine Behinderung, körperlich oder geistig. Durch die große Bandbreite an Behinderungen ist der Arbeitsalltag kaum vergleichbar. „Hier steht niemand hinter dir und kontrolliert, wie viele Geräte du pro Tag bearbeitet hast“, sagt Spangenberg. Auch der Zusammenhalt spielt eine größere Rolle: „Jeder unterstützt jeden, anders würden unsere Abläufe nicht funktionieren.“ Weil sie immer ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Kolleginnen und Kollegen hat, ist Spangenberg seit 2021 Vertreterin der Schwerbehinderten. Ihre Aufgabe ist es, Menschen mit Behinderung zu unterstützen und individuelle Lösungen für sie zu finden. Ein Beispiel: „Um uns die Arbeit zu erleichtern, haben wir vor einiger Zeit in einer Abteilung die Netzteile der verschiedenen Laptop-Marken mit bunten Kabelbindern farblich markiert – rot steht für HP und blau für Lenovo und so weiter“, erzählt sie.

Auch eine gute Organisation trägt zur erfolgreichen Inklusion bei: Die Räume sind barrierefrei, einfache Sprache auf Arbeitsanweisungen oder Dokumenten erleichtert die Kommunikation und alle haben einen Arbeitsplatz, der auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ausgelegt ist. Spangenberg beobachtet immer wieder, wie wichtig ihren Kollegen der Job bei AfB ist: „Sie gewinnen ihr Selbstbewusstsein wieder und entwickeln sich weiter“, sagt sie und hört immer wieder, dass in Behindertenwerkstätten viele unterfordert seien und zu wenige soziale Kontakte hätten.

Auf Expansionskurs

Perspektivisch soll AfB weiterwachsen – dabei steht das Ziel, für noch mehr Inklusion und Ressourceneinsparung zu sorgen, immer an erster Stelle. Aktuell denkt AfB über einen weiteren Standort in Südeuropa nach. Zudem soll in den kommenden Jahren das selbst gesetzte Ziel von insgesamt 500 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Menschen mit Behinderung erreicht werden. Dass sich AfB auf Erfolgskurs befindet, bestätigen zahlreiche Auszeichnungen. Erst im November 2023 wurde das IT-Unternehmen für die ressourcenschonende Wiederaufbereitung und -vermarktung gebrauchter IT-Geräte mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewürdigt – und das bereits zum dritten Mal.

45 Prozent
weniger CO2 verursacht ein Smartphone, das 4,5 Jahre statt drei Jahren genutzt wird.
Quelle: Myclimate

7,2 Prozent
der weltweit im Einsatz befindlichen Rohstoffe werden nach Gebrauch wiederverwendet oder einem Recyclingprozess zugeführt.
Quelle: Circle Economy

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