Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

Neue Heimat für alte Bäume

Text von Maria Kessen
27.06.2022
Nachhaltigkeit

Wenn ein Baum im Weg steht, heißt es meistens: fällen und junge Bäume als Ersatz nachpflanzen. Doch inzwischen gibt es Maschinen, mit denen man auch ältere Bäume umsetzen kann. Und das lohnt sich; denn wer alten Baumbestand erhält, leistet einen Beitrag zum Klima.

Einen alten Baum verpflanzt man nicht – für Jens Schmidt, Gärtner aus dem schleswig-holsteinischen Lutzhorn, gilt die alte Redensart nur bedingt. Hundert Jahre alte Exemplare verpflanzt auch er nicht. Ansonsten ist aber mehr möglich, als man vielleicht denkt. Entscheidend für die Frage, ob ein Gewächs von einem Ort zum anderen verpflanzt werden kann, sind vor allem Faktoren wie Bodenverhältnisse, Standfestigkeit, Standzeit, Pflanzenvitalität und Umfang. Als ungefähre Richtschnur gilt: Bäume bis zu einem Stammumfang von 1,20 Zentimetern und einer Höhe von zehn Metern können verpflanzt werden.

Schmidt hat schon mehr als 20 Jahre Erfahrung darin, Bäume vor dem Fällen zu bewahren. Sie sind nicht nur seine Leidenschaft, sondern auch sein Beruf. Neben dem Umpflanz-Service betreibt er in Lutzhorn eine Baumschule für Winterhand-Veredelung und züchtet vor allem japanische Zierkirschen aus der Familie der „Rosa Cean“.

In den vergangenen Jahren hat sich sein Geschäftsfeld erweitert. Früher, vor 20 Jahren, fragten hauptsächlich Baumschulen aus dem Kreis Pinneberg bei Schmidt an. Nach einigen Jahren erhielt er auch Anrufe von Gartenlandschaftsbaubetrieben, Kommunen und Privatleuten. Mittlerweile ist er im Umkreis von 80 bis 100 Kilometern für seine Kunden im Einsatz. Die Motive für das „Umpflanzen“ sind vielfältig: Gemeinden wollen Straßen und Radwege verbreitern und die Bäume stehen dann im Weg. Oder eine Umbaumaßnahme macht es notwendig, den vorhandenen Baumbestand neu anzuordnen. Manche Landschaftsgärtner bevorzugen für ihre Projekte „ausgewachsene“ Exemplare statt frisch gepflanzter Bäumchen – weil diese sich besser einfügen. Andere Kunden haben einfach ein ungutes Gefühl, wenn sie eine Säge an einen alten Baum ansetzen. „Viele Menschen schrecken heute davor zurück, ihn einfach abzuholzen, und schauen sich nach neuen Lösungen um“, sagt Schmidt.

Auch aus Gründen des Klimaschutzes ist es sinnvoll, einen Baum zu verpflanzen, denn jede Pflanze produziert Sauerstoff. Grundsätzlich können alte und hohe Bäume mehr CO2 verwerten als jüngere oder frisch gepflanzte Gewächse. Wieviel CO2 das Grün bindet, hängt von vielen Faktoren ab, wie Daniel Klein, ehemaliger Wissenschaftler am Wald-Zentrum der Universität Münster in einer Studie für das Internationale Institut für Wald und Holz NRW festgestellt hat: Baumart, Alter, Holzdichte und Zuwachsrate spielen eine entscheidende Rolle. Außerdem sind Faktoren wie Klima, Bodenqualität oder die Wasserversorgung wichtig.

Bäume, so Klein, legen in den ersten Jahren nach der Pflanzung eher geringe Biomassevorräte an. Mit zunehmendem Alter binden sie vermehrt CO2. Nach Berechnungen von Klein muss eine Buche ungefähr 80 Jahre lang wachsen, um eine Tonne CO2 zu binden. „Pro Jahr bindet die Buche 12,5 Kilogramm CO2. Sie müssten also 80 Exemplare pflanzen, um jährlich eine Tonne CO2 durch Bäume wieder zu kompensieren“, sagt Klein.

Es lohnt sich demnach, dem Grün an einem neuen Ort eine zweite Chance zu geben. „Neues gestalten – Altes erhalten“, lautet Schmidts Motto. Zum Umpflanzen rückt er mit einem speziellen Radlader an. Je nach Größe wählt er zwischen drei verschiedenen Ballenstechern, die jeweils aus vier Spaten bestehen. Mit dem größten Ballenstecher kann er Bäume mit einem Wurzelballen von bis zu zwei Metern Durchmesser und einem Stammumfang von einem Meter aus der Erde heben.

Auch Michael Florenz, Gärtner und Inhaber einer Baumschule am Niederrhein, versetzt für seine Kunden, darunter viele Baumschulen, Pflanzen. Pro Jahr sind es ungefähr 1.000 Exemplare. Bis zu 100 Kilometer hat er bereits für eine Verpflanzung zurückgelegt. „Mit dem Baum im Schlepptau kann die Straße schon mal zur Herausforderung werden“, sagt Florenz. Meistens wird das Grün jedoch nur wenige Meter verpflanzt. Im März 2022 setzte Florenz zum Beispiel im botanischen Garten von Köln aufgrund einer Umbaumaßnahme zwölf hochgewachsene Palmen auf dem Gelände um.

Bevor Florenz die Baumwurzel aus der Erde holt, bewässert er diese mit bis zu 200 Litern Wasser. „Es ist wichtig, dass der Wurzelballen feucht ist, damit die Pflanze die extreme Stresssituation der Wurzeldurchtrennung gut übersteht“, sagt Florenz. Nachdem der Fachmann den Baum mit dem Ballenstecher aus dem Boden geholt hat, lädt er ihn auf seinen Raupenlader und transportiert ihn an den neuen Bestimmungsort. Sobald das Gehölz im neuen Grund verpflanzt ist, muss es wieder ausreichend gewässert werden. Zudem erhält die Krone einen Schnitt. Und zum Schutz vor Wind und Sturm muss der Baum sturmsicher angepfählt, also festgebunden, werden. „Umgepflanzte Bäume sind sehr kopflastig“, sagt Florenz. „Die Pflanze darf sich aber nicht bewegen, damit sie Wurzeln bilden kann.“

Leider wird nicht jeder Baum von Unternehmen fachmännisch verpflanzt, berichtet Schmidt. Dies kann dazu führen, dass sich im Kernwurzelbereich Haarrisse bilden, durch die Pilze eindringen können. Es kann einige Zeit vergehen, bis in solchen Situationen klar ist, dass ein Baum die Verpflanzung nicht überleben wird: Der Sterbeprozess kann bis zu drei oder vier Jahre dauern, so Schmidt.

Rund 1.500 Euro netto kostet bei Florenz die Umpflanzung. Die Nachpflege kostet extra: Ungefähr einmal pro Woche fährt Florenz zum neuen Standort, um zu wässern und zu kontrollieren. „Grundsätzlich muss der Baum das erste Jahr nach der Umpflanzung permanent gewässert werden“, sagt Florenz. Nach drei bis fünf Monaten hat das Grün in der Regel über die Wurzelbildung genug Bodenfestigkeit erhalten, damit die Pfähle wieder entfernt werden können. „Das ist jedes Mal ein majestätischer Anblick“, schwärmt der Gärtner.

1.800 kg CO2
speichert eine Fichte, die 25 Meter hoch ist und auf Brusthöhe einen Durchmesser von 45 Zentimetern aufweist.
Quelle: Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft

25 Prozent
aller Bäume in Deutschland sind Fichten – es ist damit die häufigste Baumart.
Quelle: Naturschutzbund Deutschland e. V.

Ähnliche Artikel