Schwarzes Kraftwerk
Photovoltaik-Anlagen gehören auf das Dach oder an den Balkon – denkt man. Das könnte sich bald vielerorts ändern, wie das MVZ Diagnosezentrum Marburg zeigt: Die Fassade des Gebäudes ist fast komplett mit schwarzen Solarmodulen verkleidet. Die Anlage sieht nicht nur gut aus, sondern produziert auch jede Menge nachhaltigen Strom. Das Projekt könnte Schule machen.
Marburg, ein Städtchen in Mittelhessen, idyllisch an der Lahn gelegen. Der Bahnhof mit seinem aufwendig neu gestalteten Vorplatz gilt als Visitenkarte der Stadt. 2015 erhielt er den Titel „Bahnhof des Jahres“ – darauf sind die rund 77.000 Marburger besonders stolz. Ein Gebäude allerdings galt jahrelang als Schandfleck des Areals und als besonders hässlich: das MVZ Diagnostikzentrum. Ein mehrstöckiger Betonklotz, grau in grau und ohne Schick. Aber mit der Sanierung im Jahr 2021 wandelte er sich zur optisch ansprechenden Immobilie – mit wegweisendem Charakter für ökologische urbane Energiegewinnung.
Das Besondere an diesem Gebäude ist seine schwarze Fassade. Sie ist bestückt mit 161 rahmenlosen Modulen. Da diese sowohl von vorne als auch von hinten durch eine Glasschicht vor Umwelteinflüssen geschützt werden, sprechen Fachleute von Glas-Glas-Modulen. Das Unternehmen Sunovation GmbH im unterfränkischen Elsenfeld fertigte diese in 28 verschiedenen Geometrien. Damit nicht genug: Auch die Fassadenrundung des Gebäudes ist kantenlos mit Photovoltaik-Modulen ausgestattet. Sunovation arbeitete beim Modulverbund mit einem kalten Verfüllprozess. Dieser ermöglichte es, die Photovoltaik-Zellen spannungsfrei in die gebogenen Gläser einzubetten. Die rückseitigen Rahmen sind gebogen und passgenau mit den gewölbten Glas-Glas-Modulen verklebt. „Wir sind auf leistungsstarke und zugleich ästhetisch ansprechende Photovoltaiklösungen spezialisiert. Neue Gebäude- oder Bestandsbauten mit einer gebäudeintegrierten Photovoltaik optisch und funktional aufzuwerten, geschieht am besten mit individuell an den Baukörper angepassten Elementen – so wie beim Projekt MVZ“, erklärt Geschäftsführer Heribert Ley.
Nach zwei Jahren erfolgt nun der Praxis-Check: Hat sich die Sanierung gelohnt? Sind Solaranlagen an Fassaden ein Modell für die Zukunft? Für Hagen Plaehn, Partner der Gesellschaft a.p.l - architekten plaehn und lüdemann in Hannover und verantwortlich für das Projekt MVZ Marburg, ist die Antwort klar. „Auf jeden Fall, wir werden künftig noch viel mehr energieerzeugende Gebäudehüllen sehen.“
Das hat gute Gründe. Zwar erzeugt eine Solaranlage an der Fassade über das Jahr gesehen weniger Strom als eine auf dem Dach. Sie ist aber stark in Zeiten, in denen klassische Aufdachanlagen eher wenig Ertrag bringen, also in den Morgen- und Abendstunden sowie im Winter. „Anlagen auf Fassaden können den Verbrauch in einem Gebäude besser decken, da die Leistung viel gleichmäßiger über den Tag anfällt“, sagt Plaehn. Das MVZ Marburg brachte es im Jahr 2022 auf eine Leistung von 25.000 Kilowattstunden und deckte damit knapp vier Prozent des gesamten Energiebedarfs.
Das ist auf den ersten Blick recht wenig. Allerdings ist zu bedenken, dass es zu wenige Dächer in Deutschland gibt, um den hohen Bedarf an erneuerbaren Energien langfristig zu decken. Deshalb werden Wandflächen als Ergänzung dringend gebraucht. Geht es nach Plaehn, könnte fast jedes Haus eine Glas-Photovoltaik-Fassade haben. „Bei Gebäuden mit vielen Fenstern besteht jedoch das Handicap, dass die Module sehr kleinteilig ausfallen – entsprechend hoch wäre der Herstellungsaufwand“, so Plaehn.
Dennoch bereiten derzeit gleich mehrere weitere Hersteller ihren Markteintritt vor oder erweitern ihre Leistungspalette, um entsprechend angepasste Module fertigen zu können. Allerdings müssen die Behörden ihnen noch die notwendigen Genehmigungen erteilen – und deren Mühlen mahlen bekanntlich langsam. Der Vorstoß aber ist gemacht. „Ansonsten bedarf es für die Glas-Photovoltaik-Anlagen nur ein wenig mehr Planung und Technik als für eine herkömmliche Fassade, aber das rechnet sich langfristig finanziell“, meint Solararchitekt Plaehn.
Dieser Überzeugung ist auch der Verein zur Förderung privater Sonnenkraftwerke, der die Finanzierung der MVZ-Fassade übernahm. Die Marburger Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, die Photovoltaik bundesweit vorantreiben. „Es lag nahe, dass wir bei einem fortschrittlichen Vorhaben bei uns am Ort gerne eingestiegen sind“, sagt Hans-Christian Quast, Vorsitzender der Sonneninitiative e. V. Im Fall des Ärztehauses funktionierte das Finanzierungskonzept so: Der Radiologe, dem das Gebäude selbst gehört, ist nicht gleichzeitig der Eigentümer der Photovoltaikanlage. Das heißt: Er bezieht den Strom für die Praxen weiterhin aus dem Netz. Dafür zahlt er den ortsüblichen Preis. Die PV-Module gehen erst in einigen Jahren in sein Eigentum über, wenn sie abgeschrieben sind und sich amortisiert haben.
Der Verein Sonneninitiative e. V ist Betreiber der Anlage. Er speist den Strom ins Netz ein. „Wir kooperieren mit den Stadtwerken Marburg, die uns den Strom zu Konditionen abkaufen, dass sich die Investition rechnet“, so Quast. Die einzelnen Module wiederum gehören privaten Geldanlegern sowie einigen örtlichen Vereinen. Sie kauften sich ein, wobei die Investitionssumme jeweils bei mindestens 10.000 Euro lag. „Unsere Geldgeber erzielen eine garantierte Effektivverzinsung von fünf Prozent Rendite pro Jahr über einen Zeitraum von zwanzig Jahren, die aus der Einspeisung des Stroms resultiert“, erklärt Quast. Kein schlechtes Ergebnis, zumal es sich um ein wirklich nachhaltiges Investment handelt.
Unterm Strich scheint das Resümee damit durchweg positiv zu sein. „Wir arbeiten nun alle zusammen daran, das Gebäude noch weiter zu sanieren, damit auch noch die beiden Obergeschosse eine Fassaden-Photovoltaik erhalten“, sagt Quast. Ab Herbst 2023 sollen dann auf rund 150 Quadratmetern 102 zusätzliche, individuell angefertigte Photovoltaik-Module für grünen Strom sorgen. Die entsprechenden Bauanträge hat der Eigentümer des MVZ bereits eingereicht.
55 Kilowatt-Peak
beträgt die gesamte installierte Leistung des MVZ Marburg.
317 Quadratmeter
misst ist die Photovoltaik-Fassade des ersten Bauabschnitts am MVZ Marburg.
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