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Mit der Seilbahn über den Rhein

Text von Klara Walk
06.11.2023
Nachhaltigkeit

Was in Paris und La Paz über den Köpfen der Anwohner schwebt, könnte auch in Köln oder Stuttgart Realität werden: eine Stadtseilbahn als Ergänzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Gondelbahnen haben ihre Stärken, wenn es darum geht, geographische Hindernisse zu überwinden. Experten empfehlen deshalb, Stadtseilbahnen sachlich und ergebnisoffen zu beurteilen.

2025 nimmt in Paris eine besondere Nahverkehrslinie den Betrieb auf: die C1, eine Stadtseilbahn. Sie verbindet Créteil im Südosten der französischen Hauptstadt mit Villeneuve-Saint-Georges im benachbarten Val-de-Marne und bindet letzteres so an die Pariser Metro an. An fünf Stationen entlang der 4,5 Kilometer langen Strecke werden Fahrgäste ein- und aussteigen können. Alle 30 Sekunden kommt eine Kabine – der Traum vieler auf S- und U-Bahnen angewiesener Großstadtpendler. „Die urbane Seilbahn wird bald eine effiziente und innovative Transportlösung auf schwierigem Terrain bieten“, verspricht Valérie Pécresse, Präsidentin der Region Île-de-France und des öffentlichen Verkehrsunternehmens Île-de-France Mobilités.

In der Gondel zur Arbeit

Seilbahnen kennt man aus dem Urlaub. Aber Seilbahnen als Teil des ÖPNV-Netzes, nutzbar mit einem normalen Nahverkehrsticket? Das gibt es bisher in keiner deutschen Stadt. Dabei gibt es einige positive internationale Beispiele: Im indischen Varanasi fahren bereits urbane Seilbahnen im Linienverkehr und befördern bis zu 3.000 Pendler pro Stunde und Richtung. La Paz, Bolivien, hat eigenen Angaben zufolge mit zehn Strecken sogar das größte Seilbahn-Liniennetz der Welt. „Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Jahren eines der vielen bereits angedachten Seilbahnprojekte in Deutschland auch umgesetzt wird“, sagt Sebastian Beck. Er ist Infrastruktur-Experte beim Stuttgarter Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer und Co-Autor des Leitfadens „Urbane Seilbahnen im öffentlichen Nahverkehr“, herausgegeben vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr.

Seilbahnen können exklusiv die Ebene plus Eins nutzen. Sie müssen sich die Strecke nicht mit anderen teilen.
Sebastian Beck, Infrastruktur-Experte bei Drees & Sommer

Unterwegs auf Ebene plus Eins

Bislang gibt es hauptsächlich zwei Wege, wie man Hindernisse – dazu zählen Flüsse, Berge und Täler, aber auch Gleisanlagen oder Industriekomplexe – verkehrstechnisch bewältigt: Entweder man fährt um sie herum, das kostet häufig Zeit. Oder man fährt darunter hindurch beziehungsweise über große Brückenanlagen darüber hinweg, beides ist mit hohen Bau- und Betriebskosten verbunden.

Hier bringt die Seilbahn ihre Stärken ins Spiel. „Seilbahnen können exklusiv die Ebene plus Eins nutzen“, sagt Beck und ergänzt: „Sie müssen sich die Strecke nicht mit anderen teilen.“ So können sie nicht nur Hindernisse überwinden, sondern fahren, je nach System, bei Bedarf auch kontinuierlich im Umlauf. Mit einer Seilbahn machen Stadtplaner den Raum am Boden frei. Strecken, die nicht mit Gleisen oder Asphalt belegt sind, können zu Grünflächen oder Parks werden – wertvolle Räume in dicht bebauten Städten. Hinzu kommt: Seilbahnen bestehen zu einem hohen Prozentsatz aus Stahl, der recycelt und mittlerweile sogar grün produziert werden kann. „Wird die Seilbahn dann auch noch mit Ökostrom betrieben, steigt der Nachhaltigkeitsfaktor weiter“, erklärt Beck die Aspekte, die Seilbahnen zu einem nachhaltigen Verkehrsmittel machen können.

Zwischen Idee und Realität

So attraktiv die Idee einer Stadtseilbahn klingt, umgesetzt hat sie in Deutschland bisher niemand. Zwar haben die Autoren des Leitfadens bei ihrer Recherche rund 150 Projekte identifiziert. „Man könnte sagen, fast jede deutsche Stadt hat mal über eine eigene Seilbahnlinie als Ergänzung zum ÖPNV nachgedacht“, sagt Beck. Aber umgesetzt wurde bisher keine. Das liegt auch daran, dass Planer bisher möglicherweise nicht ergebnisoffen genug an die Sache herangegangen sind. „Die Seilbahn kann die passende Mobilitätsform für eine verkehrsplanerische Aufgabe sein – sie muss es aber nicht“, sagt Beck.

Denn mitunter wäre eine Seilbahn zwar technisch und stadtgeographisch unproblematisch, aber es fehlt schlichtweg das Fahrgastpotenzial. So wie in München im Fall der Anfang 2022 verworfenen Trasse am Frankfurter Ring: „Die Seilbahn wäre zwar realisierbar, aber sie brächte keine spürbare Verbesserung für die Verkehrssituation am Frankfurter Ring – und das bei relativ hohen Kosten“, sagt Georg Dunkel, Mobilitätsreferent der Landeshauptstadt München. Den 433 Millionen Euro Investitionskosten für eine Seilbahntrasse stünden 19 Millionen Euro Investitionskosten für einen Expressbus gegenüber. Keine Frage, wofür sich München entschied.

Grundsätzlich ist die Seilbahn dann sehr stark, wenn man topographische Hindernisse überwinden muss oder den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten befahren möchte.
Christian Wieder, Verkehrswissenschaftliches Institut der Universität Stuttgart

Auch in Stuttgart hat ein Team mehrere mögliche Trassen untersucht. Christian Wieder vom Verkehrswissenschaftlichen Institut der Universität Stuttgart (VWI) gehört zu den Gutachtern, die an einer Machbarkeitsstudie beteiligt waren. „Grundsätzlich ist die Seilbahn dann sehr stark, wenn man topographische Hindernisse überwinden muss oder den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten befahren möchte“, sagt er. „Aber es gibt einfach Strecken, da sind andere Verkehrsmittel stärker. Dann auf Teufel komm raus auf eine Seilbahn setzen zu wollen, schädigt nur den Ruf des Verkehrsmittels.“ Ob die Stuttgarter künftig in Gondeln einsteigen, ist noch offen: Die finalen Ergebnisse sind zum Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht.

Pendeln über den Rhein

Wieder empfiehlt, Seilbahnen ernsthaft und sachlich als Möglichkeit in die Gesamtabwägung miteinzubeziehen. Genau so macht es zum Beispiel die Kölner Stadtverwaltung. Sie hat dem Verkehrsausschuss nach der Durchführung einer Machbarkeitsstudie empfohlen, eine Seilbahnlinie – das Rheinpendel – in den Mobilitätsplan der Stadt aufzunehmen. Mit dem Mobilitätsplan will die Stadt die Mobilitätswende gemeinsam mit den Kölnern gestalten.

Den Ausschlag dafür gab aber nicht nur, dass eine Seilbahn den die Stadt teilenden Rhein relativ einfach überqueren könnte. „Die Planer sehen hier die Möglichkeit, ein Seilbahnsystem als sinnvolle Ergänzung in den ÖPNV zu integrieren. Darüber hinaus erkennen sie aber auch ein nicht unerhebliches touristisches Anziehungspotenzial“, so der Kölner Pressesprecher Robert Baumanns zu der Frage, warum die Stadtplaner das Rheinpendel im Mobilitätsplan sehen möchten. Kurz: Wer in Deutschland eine der ersten ÖPNV-Seilbahnlinien baut, baut gleichzeitig – wenn auch unbeabsichtigt – mit Sicherheit eine Attraktion, die zusätzliche Nutzer in die Städte locken wird.

33 Kilometer
ist das Seilbahn-Liniennetz in La Paz, Bolivien, lang.
Quelle: lapaz.doppelmayr.com

232,8 Mio. Euro
würde das Rheinpendel in Köln kosten.
Quelle: Stadt Köln

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