Die Leder-Alternativen
Traubenreste, Holzfasern und Fischhäute als Ersatz für Leder? Die Suche nach nachhaltigen Materialien führt zu überraschenden Ansätzen. Te:nor hat sich einige der tragbaren Alternativen genauer angeschaut.
Leder ist out. Nicht nur, weil die Gerberei-Industrie in vielen Ländern wegen ihrer schlechten Arbeitsbedingungen, den erheblichen Gesundheitsbelastungen für die Bevölkerung und der massiven Umweltverschmutzung in der Kritik steht. Auch der anhaltende Trend der Verbraucher, tierische Produkte zu meiden, trägt immer öfter dazu bei, dass Ledertaschen, -schuhe und -bekleidung zum Ladenhüter werden. Und da Kunstleder wegen der verwendeten Materialien als nicht nachhaltig gilt – zur Herstellung werden meist Erdöl und Weichmacher genutzt –, gewinnen in jüngster Zeit Lederalternativen auf Pflanzenbasis zunehmend an Aufmerksamkeit. Doch wie umweltfreundlich sind Lederimitate aus Apfel, Weintrauben oder Holz tatsächlich?
Lederersatz eins: Trauben statt Tier
Unter der Marke Paul Eys designt und vertreibt Timo Reyser puristische Sneaker. Auch ihn trieben die problematischen Zustände in der Lederindustrie und vor allem der Verzicht auf tierische Produkte dazu an, nach Alternativen zu suchen. „Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Tierhäute von Kühen oder Schweinen lediglich ein Abfallprodukt der Fleischindustrie sind“, erklärt er. Leder sei ein fester Bestandteil der Wertschöpfungskette und fördere so indirekt die Fleischproduktion. Deshalb ließ Reyser sich 2022 zahlreiche Muster von Ersatzmaterialien zusenden, von denen eines sofort überzeugte: Weinleder. Es ist in Optik, Haptik und Atmungsaktivität Tierleder sehr ähnlich.
Das Weinleder, das Reyser vom italienischen Unternehmen Vegea bezieht, basiert auf Trester. Vegea sammelt und trocknet Schalen, Kerne und Stiele, die bei italienischen Winzern nach dem Pressen der Weintrauben übrigbleiben. Das Unternehmen vermahlt die Masse zu einem feinen Pulver und mischt sie mit dem Kunststoff Polyurethan. „Man benötigt rund 20 Prozent davon, damit sich die Bestandteile dauerhaft miteinander verbinden“, erklärt Reyser. Die Mischung wird anschließend in dünnen Schichten auf einen Textilträger aufgetragen, gewalzt und getrocknet. Zum Schluss folgt die Farbe – fertig ist das Weinleder.
Bei diesem Verfahren entfällt das Gerben und damit der Einsatz von Chrom, das bei unsachgemäßer Anwendung hochgiftig werden kann. Aber vor allem benötigt die Prozedur kein Wasser. Zum Vergleich: Bis zu 50 Tonnen Wasser sind nötig, um aus einer Tonne Rohhaut rund 200 Kilogramm bis 250 Kilogramm gegerbtes Leder zu erzeugen. Die weniger gute Nachricht: Der Recyclingprozess von Produkten aus Weinleder ist aufwendig, da die einzelnen Bestandteile erst mühsam voneinander getrennt werden müssen.
Lederersatz zwei: Handtaschen aus Holz
Die meisten Lederalternativen enthalten einen bestimmten Anteil Kunststoff. Das gilt auch für die Hand- und Brieftaschenkollektion von Rupert Stockinger, Gründer des Unternehmens 2g8er. Dabei bestehen seine Produkte aus Holzleder. Für dieses Material verarbeitet Stockinger unter Zugabe von rund zehn Prozent einer Kunststoffverbindung die Holzfasern mit hohem Druck zu einem mehrschichtig vernetzten Material. Das Verfahren erinnert an die Herstellung von Leimverbundplatten, bei der Schichten aufgetragen und verpresst werden. Für das Färben und Versiegeln verwendet der Österreicher unter anderem Wachs von Kerzenresten. Das Endprodukt ist wasserabweisend, reiß- sowie abriebfest und wiegt bei einer Dicke von nur einem halben Millimeter rund drei Viertel weniger als Echtleder.
Der Gründer des Unternehmens 2g8er greift für die dafür benötigten Holzfasern vor allem auf Schadholz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern zurück: „Mir war es wichtig, ein regional verfügbares Material zu nutzen, das, im Vergleich zu Leder aus Ananasblättern oder Kaktus, deutlich kürzere Transportwege hat.“
Anfangs recht steif, entwickelt Holzleder mit der Zeit eine weiche, geschmeidige Struktur sowie eine lederähnliche Patina. Weil sein Produkt erklärungsbedürftig ist, sucht Stockinger auf Märkten den direkten Kontakt zu den Kunden. Da der Österreicher immer mehr Produktionsschritte auslagert, hat er in Zukunft wieder mehr Zeit dafür – ebenso wie für seinen Reparaturservice. Denn zur nachhaltigen Firmenphilosophie von 2g8er gehört: Ein abgerissener Druckknopf oder eine aufgegangene Naht sind noch lange kein Grund, ein Produkt in den Müll zu werfen.
Lederersatz drei: Fashion aus Fisch
Veganer Lederersatz hat mittlerweile einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Doch es gibt auch eine noch fast unbekannte Alternative vom Tier: Fischleder. Früher vor allem in Regionen verbreitet, in denen Fisch ein wichtiges Nahrungsmittel war, erlebt das Material heute ein Comeback auch abseits der Küsten und Flussufer. Und zwar in Österreichs nördlichster Stadt: in Litschau. Dort haben die Designer des Unternehmen Yupitaze die fast vergessene Handwerkstradition der Fischleder-Herstellung für sich entdeckt. Abgeschaut haben sie es sich von Angehörigen des sibirischen Urvolkes der Nanai.
Inzwischen haben die Litschauer ein Verfahren entwickelt, bei dem die natürliche Farbe und die charakteristische Schuppenstruktur, die je nach Fischart variiert, erhalten bleibt. Viele Fischleder kommen zudem ohne Kunststoffzusatz aus und lassen sich unter Einsatz von Baumrinden, Edelkastanien und Pflanzenextrakten schonend gerben.
Lederersatz vier: künftig ohne Kunststoffe?
Nachhaltig hergestelltes Fischleder oder die veganen Lederalternativen belasten die Umwelt zwar deutlich weniger als herkömmlich produziertes Echtleder, aber es besteht weiterhin Raum für Verbesserungen. Reyser und Stockinger zeigen sich optimistisch: Schon bald könnten biologisch abbaubare Bindemittel den Kunststoffanteil in ihren Produkten ersetzen. Einen vielversprechenden Ansatz verfolgt zum Beispiel das deutsche Start-up Revoltech, das aktuell an einer Lederalternative aus Hanf und biologischem Kleber arbeitet. Sogar einen ersten Kunden haben sich die Darmstädter schon gesichert: Volkswagen plant, das Material ab 2028 in seinen Autos zu verbauen.
41 Kilogramm
Viehfutter werden für ein Kilogramm Rinderhaut benötigt.
Quelle: Change Your Shoes
441 Milliarden US-Dollar
Umsatz betrug der weltweite Lederwarenmarkt im Jahr 2022.
Quelle: Fortune Business Insights
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