Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

Küchenmaschine 2.0

Text von Sina Hoffmann
04.09.2024
Nachhaltigkeit

Essen kochen, anrichten, servieren und anschließend das schmutzige Geschirr spülen – Aufgaben, die normalerweise mehrere Mitarbeiter einer Großküche beschäftigen, können Kochroboter völlig autonom übernehmen. Die smarten Helfer entlasten das ohnehin unterbesetzte Personal und sorgen dafür, dass weniger Lebensmittel verschwendet werden.

Egal ob in der Schulmensa, in der Firmenkantine oder an der Autobahnraststätte – dort zu essen ist meistens kein kulinarisches Vergnügen. Ungesunde Fertiggerichte gehören zum Standard, was nicht nur negative Auswirkungen auf unseren Körper, sondern auch auf die Umwelt hat. Um Speisen frisch zuzubereiten, fehlt es meist an Personal. Laut Hotel- und Gaststättenverband suchten Gastronomiebetriebe im Jahr 2023 mehr als 65.000 zusätzliche Arbeitskräfte. Die Folgen: Kürzere Öffnungszeiten und damit weniger Umsatz, die Qualität von Speisen und Service leidet und die verbleibenden Fachkräfte sind zunehmend überlastet. Zwei Hamburger Start-ups haben sich diesen Herausforderungen angenommen und – unabhängig voneinander – eine Lösung gefunden: Küchenroboter.

Küchenmaschinen: Der neue Kollege ist smart

Ein Exemplar des jungen Unternehmens Goodbytz GmbH verstärkt seit Mai 2024 das Küchenpersonal des Uniklinikums Tübingen. Der Roboter besteht aus einem Edelstahlkasten mit futuristischen lila LED-Leuchten, in dem sich Herd, Kühlschrank und Spülmaschine befinden. Wählt der Gast am zugehörigen Automaten das gewünschte Gericht aus und bezahlt, beginnen seine drei Stahlarme mit der Arbeit: Nach einem genau definierten Ablaufplan holen sie Zutaten aus dem Kühlschrank, füllen diese in Töpfe und Schüsseln. In nur wenigen Minuten hat der smarte Küchenhelfer ein Gericht gekocht, angerichtet, serviert und sogar noch seinen Arbeitsplatz aufgeräumt. Bis zu 150 Mahlzeiten schafft er pro Stunde. Bei moderaten Preisen zwischen sechs und neun Euro pro Essen, kann das Uniklinikum nun mehr Menschen als zuvor Zugang zu günstigem, frisch zubereitetem, gesundem und nachhaltigem Essen bieten.

Dass das Essen nicht nur gesund und günstig ist, sondern auch schmeckt, zeigte die Hamburger Ghost Kitchen der Goodbytz-Gründer.

Das Küchenpersonal des Uniklinikums muss lediglich dafür sorgen, dass der Kühlschrank stets mit geschnittenen Zutaten gefüllt ist. Stärkehaltige Lebensmittel wie Reis, Nudeln oder Kartoffeln kochen sie vor. Bis zu 72 verschiedene Zutaten finden im Roboter Platz, die Rezepte kann der Betreiber selbst programmieren: Von Salaten über Pasta bis hin zu internationalen Gerichten – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Darüber hinaus bietet der Roboter auch fertige Menüs zur Auswahl an, entwickelt von einem Team um Michael Wolf, ehemaliger Küchenchef in der Bullerei, dem Restaurant von TV-Koch Tim Mälzer.

Auszeichnung für den Roboterkoch

Dass das Essen nicht nur gesund und günstig ist, sondern auch schmeckt, zeigte die Hamburger Ghost Kitchen der Goodbytz-Gründer Hendrik Susemihl, Kevin Deutmarg und Philipp von Stürmer. Bei einer Ghost Kitchen handelt es sich um ein Restaurant ohne Gastraum, bei dem nur über Lieferdienste bestellt werden kann. Dass dort ein Roboter kocht, wussten die Kunden jedoch nicht. So sollte gewährleistet werden, dass sie Qualität und Geschmack unvoreingenommen bewerten. Das Ergebnis ist eindeutig: Im Testzeitraum von 2022 bis 2023 gehörte das Restaurant bei Lieferando zu den besten 15 Prozent in Deutschland. 

Ihre Ghost Kitchen haben die Gründer schon wieder geschlossen, stattdessen konzentriert sich das Start-up nun auf die Vermietung der Roboter. Die Miete liegt im niedrigen vierstelligen Bereich pro Monat. Hinzu kommt ein variabler Preisanteil pro Gericht. Ab 150 verkauften Essen pro Tag soll sich die Anschaffung rechnen, so die Kalkulation.

Vollautomatisiertes Küchensystem auf kleinstem Raum

Ein ähnliches Konzept verfolgt die Firma Circus. Das Hamburger Foodtech-Unternehmen hat mit dem Circus Autonomy One eine Robotik-Lösung samt eigenem Betriebssystem entwickelt, die die gesamte Wertschöpfungskette der Zubereitung von Speisen automatisiert. Das Ergebnis: In einer Art gekühltem Foodtruck arbeitet der Kochroboter auf rund sieben Quadratmetern völlig autonom. Nur die Zutaten müssen von Hand nachgefüllt werden. Das System kostet zwischen 150.000 und 250.000 Euro – ein Bruchteil dessen, was eine herkömmliche Großküche kostet.

Das System von Circus kann mehr als 100 Gerichte pro Stunde zubereiten, der Verkaufspreis liegt, wie bei Goodbytz, bei sechs bis neun Euro.

Auch Circus hat sich die gute Qualität der Technologie und der zubereiteten Speisen mit Ghost Kitchens in Hamburg und Köln bestätigen lassen. Nach mehr als 50.000 ausgelieferten Bestellungen hat das Unternehmen die Essenslieferungen nun pausiert, um die Entwicklung von Hard- und Software Richtung Serienreife voranzubringen. Das System von Circus kann mehr als 100 Gerichte pro Stunde zubereiten, der Verkaufspreis liegt, wie bei Goodbytz, bei sechs bis neun Euro. „Wir greifen mit unserem Produkt nicht den Lieblingsitaliener um die Ecke an“, erklärt Nikolas Bullwinkel, CEO von Circus. Der 28-Jährige hat bereits 2020 den Lieferdienst Flink gegründet und kennt die Branche genau. Sein Ziel: „Wir wollen die veralteten und ineffizienten Strukturen der funktionalen Gastronomie revolutionieren, in der ohnehin alle Prozesse durchstandardisiert sind.“ 

Mit KI gegen Lebensmittelverschwendung

Mit ihren Küchenrobotern gehen die beiden Start-ups noch ein anderes großes Problem an, das Gastronomen und Gäste umtreibt: die Verschwendung von Lebensmitteln. Pro Kantinenküche fallen laut einer Studie des Thünen-Instituts aus Braunschweig rund 28 Tonnen Lebensmittelabfälle jährlich an – das entspricht knapp 100 Gramm Abfall pro Mahlzeit. Dank KI und maschinellem Lernen kann das Kochsystem von Circus jeden Aspekt der Lebensmittelproduktion optimieren. So kann es Essgewohnheiten vorhersagen und die Zutaten besonders präzise einsetzen. Anstatt wie ein menschlicher Koch nach Augenmaß zu arbeiten, wiegt ein Roboter die Zutaten genau ab und portioniert jede Bestellung aufs Gramm gleich. „In einem klassischen Restaurant müssen am Ende des Tages viele Lebensmittel weggeworfen werden, da sie außerhalb der Kühlung lagen oder zu viel zubereitet wurde. Unser System ist in sich geschlossen und wird gekühlt, daher sind die hygienischen Bedingungen viel besser und die Zutaten halten in der Regel zwei bis drei Tage“, sagt Bullwinkel. Das reduziert nicht nur die Abfallmengen, sondern auch die Einkaufskosten.

Der KI-Küche gehört die Zukunft

Argumente, die überzeugen. Zwar setzten Gastronomen künstliche Intelligenz bisher vor allem zur Text- und Sprachverarbeitung ein, etwa um Kundenbestellungen aufzunehmen. Doch mehr als die Hälfte der Restaurants in Deutschland sehen KI als relevant für ihr Geschäft an, so eine Statista-Umfrage. Mit ihren Geschäftsmodellen gehören die beiden Hamburger Start-ups daher zu den Pionieren. Und stoßen sowohl bei Investoren als auch internationalen Großküchenbetreibern auf reges Interesse.

Goodbytz hat 2023 bereits die ersten Küchenassistenz-Roboter bei Kunden installiert, bis nächstes Jahr will das Unternehmen insgesamt 100 Roboter bauen. Während Goodbytz in einer Finanzierungsrunde Ende letzten Jahres zwölf Millionen Euro einsammeln konnte, ging Circus Anfang des Jahres 2024 überraschend an die Börse. Auf seiner Warteliste stehen nach eigenen Angaben mehr als 8.000 Installationen. Unter anderem sind Partnerschaften mit dem Berliner Flughafen und dem Kebab-Franchise von Lukas Podolski geplant. International konnte sich das Unternehmen eine erste Kooperation mit chinesischen Partnern sichern: Dort sollen 92 Bildungseinrichtungen mit 5.400 Robotern ausgestattet werden.

16 Millionen
Menschen in Deutschland essen täglich in Kantinen, Mensen oder ähnlichen Einrichtungen. 
Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

20 Millionen
Jobs könnten Roboter im globalen Produktionssektor bis 2030 ersetzen.
Quelle: Oxford Economics

Unser Nachhaltigkeitsnewsletter Be.Wirken

Ähnliche Artikel