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„Andere Länder schauen auf deutsche Wälder“

Text von Maria Kessen
17.04.2023
Nachhaltigkeit

Jürgen Bauhus ist Experte für Waldbau und weiß: In der Forstwirtschaft ist es wie bei der Geldanlage – wer Risiken minimieren will, muss auf die richtige Mischung im Portfolio achten.

Professor Bauhus, sind Sie oft im Wald anzutreffen?

Der Wald fängt hier in Freiburg-Zähringen direkt vor meiner Haustür an, deswegen kann ich dort jeden Tag eine Runde drehen. Für mich ist es ein Ort der Entspannung, der Raum zum Nachdenken gibt. Gleichzeitig gibt es im Wald immer etwas zu entdecken: Ich freue mich an der Natur, an Pflanzen, Pilzen, Tieren und an den Jahreszeiten.

Wie geht es den Wäldern in Deutschland?

Nicht gut. In den letzten Jahren sind fast eine halbe Million Hektar Wald abgestorben, hauptsächlich Fichtenbestände – das entspricht fast fünf Prozent der deutschen Waldfläche. Aber auch vielen anderen Baumarten geht es schlecht. Die aktuelle Waldzustandserhebung hat ergeben, dass 35 Prozent der Bäume deutliche Kronenverlichtungen als Indiz für erhebliche Schäden aufweisen.

Woran erkennt der Laie, dass ein Baum stirbt?

Einen sterbenden Baum erkennt man zum Beispiel daran, dass er deutlich weniger dicht belaubt ist oder Teile der Krone bereits abgestorben sind. Weitere typische Symptome sind etwa Pilze am Stamm, Bohrlöcher und Fraßgänge von Insekten, ein nasser Ausfluss am Stamm– hierbei verfärbt sich die Rinde stellenweise schwarz – oder der Rindenbrand. Dies beobachten wir nicht nur bei den „üblichen Verdächtigen“, wie bei Fichten, sondern auch bei Buchen und Kiefern. Sie alle haben gemeinsam, dass sie meistens nicht von heute auf morgen sterben, sondern über einen langen Zeitraum hinweg, eben aufgrund der anhaltenden Trockenheit.

Wie viele trockene Sommer kann ein Baum ertragen, bevor er stirbt?

Die Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten. Aber eins ist sicher: Im letzten Jahrzehnt hat die Trockenheit eine neue Qualität erreicht – nicht nur in Bezug auf die Dauer, sondern auch hinsichtlich der Intensität. Früher dauerten die Trockenphasen meistens nicht länger als ein Jahr. Von 2018 bis 2020 hatten wir jedoch eine anhaltende Trockenheit.

Was war an diesen Jahren so besonders?

Die Sommer waren extrem trocken und in den dazwischen liegenden Wintern reichten die Niederschläge nicht aus, um den Boden mit Wasser zu sättigen. Dies hat zu dem sehr weit verbreiteten Baumsterben geführt. Heute beobachten wir ein Phänomen, das wir als „hot drought“, zu Deutsch „heiße Trockenheit", bezeichnen. Dabei werden die Bäume durch die Hitze noch mehr belastet. Wir beginnen gerade erst, das Zusammenspiel von Hitze und Trockenheit zu verstehen.

Muss sich der deutsche Wald verändern, wenn er überleben will?

Die natürlichen Anpassungsmechanismen des Waldes reichen an vielen Standorten nicht mehr aus. Wenn wir den Wald retten wollen, müssen wir vor allem die Diversität der Baumarten fördern. Das bedeutet: weg von Reinbeständen und hin zum Mischwald. Gleichzeitig geht es darum, einzelne Bäume resilienter und resistenter gegenüber Stressereignissen wie dem Klimawandel zu machen.

Welche Vorteile hat der Mischwald?

Mit dem Mischwald wappnen wir uns gegen das Risiko des Verlusts ganzer Baumarten. Es ist genau wie bei einer finanziellen Anlagestrategie, wo man auf ein diverses Portfolio setzt, um negative Entwicklungen zu kompensieren.

Aber gemischte Wälder sind kein Selbstläufer, oder?

Richtig, Mischwälder bringen für die Forstwirtschaftsbetriebe und Waldbesitzer sogar Nachteile mit sich. Sie benötigen zum Beispiel eine intensivere Pflege. Außerdem sind sie komplexer zu bewirtschaften. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Forstbetrieb nur das Holz einer Baumart auf dem Markt anbietet oder mehrerer Arten. Forstbetriebe, die etwa nur Fichte verkaufen, haben für den Großteil des Holzes nur ein oder zwei Abnehmer. Aber bei einem diverseren Bestand werden sie künftig ein viel größeres Sortiment haben und deshalb auch mehr Abnehmer benötigen. Die Komplexität steigt also. Zudem steigt die Organisation des Abverkaufs, weil Ernte, Zwischenlagerung und Abtransport aufgrund der verschiedenen Baumarten zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen müssen. Unterm Strich geht der Umbau der Wälder für die Waldbesitzer in der Regel mit höheren Ausgaben einher.

Was ist mit der Einnahmenseite?

Das Spektrum verschiebt sich von den ertragsstarken Baumarten, wie der Fichte, hin zu jenen, die deutlich geringere Erlöse erzielen. Mit den Gewinnen aus dem Holzverkauf subventionieren die Forstbetriebe aber die meisten anderen Aufgaben. Etwa den Bau von Wegen oder Erholungseinrichtungen, Brandschutzmaßnahmen oder Maßnahmen des Naturschutzes. Wenn man bedenkt, dass Forstbetriebe über 90 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Holzverkauf erzielen, fällt das schon ins Gewicht. Dies ist ein Punkt, der in der Gesellschaft oft nicht gesehen wird.

Wie kann man gegensteuern und den Waldbesitzern helfen?

Wir müssen neue Geschäftsmodelle für die Forstwirtschaft und die Waldbesitzer entwickeln, die an deren Bereitstellung von Ökosystemleistungen wie den Klimaschutz ansetzen. Anstatt Ökosystemleistungen wie „Biodiversität“ einzeln zu honorieren, sollten wir auf den Zustand der Wälder abzielen. Der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik hat deshalb vor eineinhalb Jahren einen Vorschlag gemacht, wie Waldbesitzer für den Erhalt gewünschter Waldzustände gefördert werden können. Mit dem Programm „Klimaangepasstes Waldmanagement“ hat das Bundeslandwirtschaftsministerium im Jahr 2022 einige Kernelemente unserer Idee aufgegriffen: Die deutschen Waldbesitzer müssen künftig eine Liste von elf Kriterien erfüllen, die bescheinigen, dass ihr Wald resilient und anpassungsfähig ist. Wer alle Punkte erfüllt, kann eine Förderung von bis zu 100 Euro pro Jahr und Hektar erhalten. Das Programm richtet sich an private und kommunale Waldbesitzer, ist mit 900 Millionen Euro ausgestattet und findet nach Angaben des Ministeriums bisher sehr guten Zuspruch.

Für Ihre Forschungen reisen Sie weltweit. Von welchen Ländern kann Deutschland lernen?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Der deutsche Wald ist speziell. Das liegt auch daran, dass wir möglichst viele Waldfunktionen auf kleiner Fläche anbieten wollen. Der Wald dient uns gleichzeitig als Erholungsort, Hort der Biodiversität und Quelle des nachwachsenden Rohstoffs Holz. Andere Länder trennen hier oft strikt – davon könnten wir in einigen Aspekten etwas lernen. Ansonsten erlebe ich eher das Gegenteil, also dass andere europäische Länder auf Deutschland schauen. So besteht in Schweden etwa ein großes Interesse an naturnaher Waldbewirtschaftung. Allein dieses Jahr habe ich schon drei Anfragen für Exkursionen von Forstleuten erhalten, die sich das bei uns ansehen wollen.

 

Zur Person
Jürgen Bauhus ist Professor für Waldbau an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seit 2013 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Waldpolitik. Das 15-köpfige Gremium berät die Bundesregierung bei Fragen rund um die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern.

11,4 Millionen Hektar
Wald gibt es in Deutschland.
Quelle: BMEL

62 Millionen Tonnen
CO2 speichert der deutsche Wald jährlich – das sind sieben Prozent der Emissionen Deutschlands.
Quelle: Bolte et al. 2021

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