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„Indoor-Farmen, das neue Standbein der Landwirtschaft“

Text von Sarah Neu
17.09.2024
Nachhaltigkeit

Pflanzen, die nie Tageslicht sehen und deren Wurzeln nicht in Erde stecken? Agrarwissenschaftler Senthold Asseng ist sich sicher: Indoor-Pflanzenbau könnte eine Lösung für globale Probleme sein. 

Herr Asseng, können Pflanzen indoor überhaupt gedeihen?

Senthold Asseng: Aber ja, wir kontrollieren ihre Wachstumsbedingungen komplett, von der Lichteinstrahlung über die Bewässerung bis zur Nährstoffzufuhr. Beim Indoor-Farming wachsen die Pflanzen nicht in der Erde, sondern in einer wässrigen, nährstoffreichen Lösung. 

Das geschieht in großen, meist mehrstöckigen Hallen. Klingt nach ziemlich viel Technik, die da eingesetzt wird.

Allerdings, zentraler Faktor ist die LED-Beleuchtung, die das Sonnenlicht ersetzt und aus der die Pflanze ihre Energie zieht. Außerdem überwachen Sensoren Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Lichtintensität, CO₂-Gehalt und die Nährstoffkonzentration des Wassers. Aktuell wird in den Anlagen noch von Hand geerntet – in Zukunft sollen das allerdings Roboter übernehmen. 

In Indoor-Anlagen kann Weizen fünf- bis sechsmal im Jahr geerntet werden.
Senthold Asseng, Agrarwissenschaftler TU München

Welche Vorteile hat Indoor-Farming im Vergleich zum Ackerbau? 

In Indoor-Farmen lassen sich sehr hohe Erträge erzielen – ohne dass der Nährstoffgehalt der Pflanze darunter leidet. Nehmen wir Weizen als Beispiel: Auf dem Feld lassen sich pro Hektar Land im weltweiten Durchschnitt 3,5 Tonnen Weizen im Jahr ernten. In einer Indoor-Farm könnten wir auf der gleichen Grundfläche mit 100 übereinander gestapelten Etagen pro Jahr theoretisch 20.000 Tonnen anbauen – also fast das 6.000-fache. Das liegt nicht nur daran, dass der Weizen in den Indoor-Anlagen unter optimalen Bedingungen wächst, sondern auch daran, dass dort fünf- bis sechsmal im Jahr geerntet werden kann. Auf dem Feld hingegen ist nach einer Ernte im Jahr Schluss.  

Sie sagten theoretisch. In der Praxis gibt es Anlagen mit so hohen Erträgen also noch nicht?  

Für Weizen nicht, nein. Die größte Herausforderung ist der hohe Stromverbrauch. In der Indoor-Farm müssen wir die Sonne ersetzen, die auf dem Feld umsonst ist. Das ist sehr teuer. In der Folge läge der Preis für Indoor-Weizen weit über dem aktuellen Weltmarktpreis für Weizen – er wäre im Moment also nicht wettbewerbsfähig. Um das Problem zu lösen, sind vor allem wir Forscher gefragt: Wir müssen Wege finden, den Indoor-Anbau von Weizen wesentlich energieeffizienter zu machen. Aber auch über Subventionen könnte man nachdenken. Die traditionelle Landwirtschaft wird schließlich auch stark bezuschusst. 

Wie sieht das bei anderen Indoor-Pflanzen aus? Die brauchen doch auch viel Energie.

Ja, aber für andere Nahrungsmittel bekommt man oft weit mehr Geld als für Weizen. Für Indoor-Blattgemüse gibt es beispielsweise schon einen Markt – zumindest gab es ihn. Denn mit der Energiekrise 2022 mussten viele Indoor-Farmen schließen, die zu dem Zeitpunkt sogar erste Profite mit Salat und Co. machten – darunter auch Infarm aus Berlin, die ihr Indoor-Gemüse damals sogar in deutschen Supermärkten verkauften. Wenn die Strompreise allerdings weiterhin sinken, bin ich mir sicher, dass in den nächsten zehn Jahren wieder mehr Unternehmen ins Indoor-Farming einsteigen. 

In Deutschland ließen sich Indoor-Farmen – wenn man sie im großen Stil denkt – in alten Tagebaugruben oder Industriegebieten errichten.
Senthold Asseng, Agrarwissenschaftler TU München

Sie sehen also auch in Deutschland eine Zukunft für diese Anbauvariante?

Ja, in Deutschland ließen sich Indoor-Farmen – wenn man sie im großen Stil denkt – in alten Tagebaugruben oder Industriegebieten errichten. Ich sehe es im kleineren Rahmen aber auch auf den Höfen der Landwirte. Die wissen schließlich am besten, worauf es bei der Pflanzenzucht ankommt, bringen also das richtige Know-how für den Indoor-Anbau mit.  

Was halten die deutschen Landwirte von dieser Idee? 

Als wir anfingen, mit Vertretern der Landwirtschaft über Indoor-Farming zu sprechen, waren sie sehr skeptisch. Aber mein Gefühl ist, dass immer mehr Landwirte das Konzept als Chance sehen. Ich sprach mal mit einem Landwirt, der einen Hof mit Nutztieren geerbt hat. Er hat die Tiere verkauft und sich mit den so frei gewordenen Hallen auf Gelder beworben, um darin Gemüse vertikal anzubauen. Das ist sicherlich kein Einzelfall! Ich beobachte, dass immer mehr Landwirte nach neuen Möglichkeiten suchen, ihren Hof fit für die Zukunft zu machen. 

Ersetzen Indoor-Farmen irgendwann den Acker? 

Nein, Indoor-Farming wird die Arbeit auf dem Feld nicht ersetzen. Wir brauchen weiterhin Felder, um den größten Teil der Nahrungsmittelproduktion abzusichern. Indoor-Farmen werden vielmehr zum neuen Standbein der Landwirtschaft – was wiederum dem Acker zugutekommt, der wieder häufiger ökologisch bewirtschaftet werden kann. Das ermöglicht wieder mehr Biodiversität auf dem Feld. Zwar kostet das zunächst Ertrag, da Bauern bei ökologisch angebautem Weizen etwa 20 bis 25 Prozent weniger ernten als bei konventionell angebautem. Allerdings könnten wir den Ertragsausfall im Feld dann durch Indoor-Produktion ersetzen. 

Indoor-Farming kann also auch zur Ernährungssicherheit beitragen?

Ja, in Indoor-Farmen könnten wir zusätzlich Nahrungsmittel auf kleinster Grundfläche produzieren – unabhängig von Region, Boden und Wetterbedingungen. Ernteausfälle durch Dürre oder Starkregen gibt es bei dieser Anbaumethode nicht. Vor allem in trockenen Regionen mit wenig Wasser sehe ich großes Potenzial. 

Um einen Kilogramm Weizen auf dem Acker anzubauen, sind 1.500 Liter Wasser nötig – in der Indoor-Farm für die gleiche Menge nur 150 Liter. 
Senthold Asseng, Agrarwissenschaftler TU München

Indoor-Farming verbraucht also weniger Wasser als die traditionelle Landwirtschaft? 

Ja, etwa 90 Prozent weniger. Das liegt daran, dass kein Wasser im Boden versickert oder beim Verdunsten an die Atmosphäre verloren geht. Bleiben wir beim Weizen-Beispiel: Um einen Kilogramm Weizen auf dem Acker anzubauen, sind 1.500 Liter Wasser nötig – in der Indoor-Farm für die gleiche Menge nur 150 Liter. 

Braucht es beim Indoor-Anbau Pestizide? 

Nein, da wir die Umwelt ausklammern, kommen die Pflanzen gar nicht erst in Berührung mit Bakterien, Pilzerregern oder Schädlingen. Das einzige Risiko ist der Mensch, der zum Beispiel bei Kontrollen oder der Ernte Keime einschleppen kann. Deshalb sind auch die Hygienevorschriften sehr streng. 

Haben Sie schon einmal Indoor-Gemüse probiert?

Ja klar, Salat und Tomaten. Ich fand es total lecker. 


Zu Person 
Professor Senthold Asseng ist Agrarwissenschaftler und beschäftigt sich bei seiner Forschung mit dem Wachstum von Pflanzen – auf dem Feld und in Indoor-Farmen. An der Technischen Universität München leitet er seit drei Jahren den Lehrstuhl für Digital Agriculture. Mit seinem Team entwickelt und testet Asseng Modelle, die Pflanzenwachstum unter verschiedenen Bedingungen simulieren. Dazu führt er Versuche mit Indoor-Weizen durch. Ziel ist es, das Wachstum von Pflanzen besser zu verstehen, um sowohl die Landwirtschaft auf dem Feld resistenter gegen den Klimawandel zu machen als auch den Anbau in Indoor-Farmen zu optimieren.

100 Millionen Hektar 
fruchtbarer Boden gehen jedes Jahr weltweit durch Erosionen verloren.
Quelle: Vereinte Nationen

13 Prozent (ca.) 
könnte die globale Weizenernte auf dem Feld bis zum Jahr 2050 allein durch die Pilzkrankheit Weizenbrand sinken.
Quelle: Technische Universität München

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