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Gebäudehaut aus Wasser

Text von Marie Welling
26.03.2025
Nachhaltigkeit

In den Städten wird es heißer, gleichzeitig bringen Starkregenereignisse die Kanalisation immer öfter zum Überlaufen. Forschende der Universität Stuttgart setzen diesen Auswirkungen des Klimawandels etwas Positives entgegen: eine Hausfassade, die Regenwasser auffängt, speichert und das Gebäude kühlt.

Der Beton ist glühend heiß und auf den Straßen flirrt die Luft. Im Sommer steht vielerorts die Hitze buchstäblich zwischen den Häusern. Das begünstigt den sogenannten urbanen Hitzeinsel-Effekt: In großen Städten kann es im Sommer bis zu zehn Grad heißer sein als im Umland. Das Problem der Hitzeinseln wird sich in den kommenden Jahren aufgrund des Klimawandels noch verschärfen. So könnte es etwa in München 2050 doppelt so viele heiße Tage geben wie noch im Jahr 2000, hat eine Stadtklimasimulation des Deutschen Wetterdienstes ergeben. Doch die Wissenschaft arbeitet schon an Abkühlungsmöglichkeiten.

Zweite Haut aus Polyester

Wie wäre es zum Beispiel mit einer Kühldecke für Gebäude? Was erst einmal mehr nach einem Kunstprojekt als nach einer Lösung für den Hitzestau in Großstadtlagen klingt, testet die Universität Stuttgart bereits seit einigen Jahren am Demonstrator-Hochhaus der Hochschule. Hydroskin heißt die flexible Fassade aus Polyester, die Regenwasser aufnimmt und die Umgebung kühlt. Sie besteht aus drei Lagen: Die äußerste Schicht ist wasserdurchlässig und schützt die zweite, wabenförmige Schicht vor Schmutz und Insekten.

Die Textilien für die Fassade bestehen aus reinem Polyester und können perspektivisch aus recycelten PET-Flaschen hergestellt werden.
Christina Eisenbarth, Architektin und Entwicklerin der Hydroskin

In den Waben sammelt sich Regenwasser und wird an eine Folie – die dritte Schicht – weitergeleitet. Darauf fließt das Wasser über eine Rinne abwärts in einen Tank. Von dort wird es im Haus verteilt und kann beispielsweise für die Toilettenspülung verwendet werden. An heißen Tagen kann das kostbare Nass zurück in die flexible Fassade gepumpt werden. Dort verdunstet es und sorgt rund ums Gebäude für Abkühlung. Hinter der innovativen Idee steckt die Architektin Christina Eisenbarth, die auch auf Nachhaltigkeit Wert legt: „Die Textilien für die Fassade bestehen aus reinem Polyester und können perspektivisch aus recycelten PET-Flaschen hergestellt werden“, sagt Eisenbarth. 

Vorteile fürs Recycling

Trotz ihrer drei Schichten wiegt die Hydroskin nur circa ein Kilogramm pro Quadratmeter und ist lediglich vier Zentimeter dick. Weil die flexible Fassade so ein Leichtgewicht ist, können Immobilienentwickler sie sowohl an Neubauten als auch an bereits bestehende Gebäude anbringen lassen, deren Fassade keine schweren zusätzlichen Lasten tragen kann. „Die Hydroskin wird einfach an die bestehende Fassade geschraubt“, erklärt Lucio Blandini, Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren an der Universität Stuttgart. Dank der Schraubtechnik sind die Komponenten nicht nur leicht austauschbar. Die Konstruktionsweise hat zudem Vorteile in Sachen Kreislaufwirtschaft: „Man kann die einzelnen Komponenten einfacher recyceln, weil sie nicht durch Kleber miteinander verbunden sind“, sagt Blandini. 

Besonders gut geeignet ist die zusätzliche Haut für hohe Gebäude. Denn je höher ein Bau ist, desto mehr Wasser kann es durch die Hydroskin speichern. „Da es mit zunehmender Gebäudehöhe immer windiger wird, fällt der Regen nicht mehr senkrecht nach unten, sondern strömt vermehrt gegen die Fassade“, erklärt Eisenbarth den Effekt. Durch die wasserdurchlässige Oberfläche kann die Hydroskin beinahe den kompletten Regen aufnehmen, der auf die Fassade trifft. Das entlastet die Kanalisation und kann bei Starkregen vor Überschwemmungen schützen. Wird das Wasser ins Innere geleitet, soll ein mit Hydroskin ausgestattetes Wohngebäude bis zu 46 Prozent Frischwasser einsparen können. 

Preisgekrönter Kühlungseffekt

Die Fassade fürs Gebäude hat außerdem einen positiven Einfluss auf das Mikroklima im umliegenden Quartier. An einem heißen Tag sei es normal, dass eine dunkle Hausfassade bis zu 90 Grad heiß werde, erklärt Architektin Eisenbarth. Die Wände nehmen die Sonnenstrahlen auf – und dadurch heizt sich nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch die Umgebungsluft auf. Hier soll Hydroskin Abhilfe verschaffen. „Textilien heizen sich grundsätzlich weniger auf als beispielweise Beton“, sagt sie. Wenn dann noch das aufgefangene und gespeicherte Wasser aus den Waben verdunstet, kühlt das die Hauswand noch weiter ab. „Wir haben an heißen Sommertagen teilweise Temperaturen von gerade einmal 17 Grad Oberflächentemperatur gemessen.“

Eine Fassade, die sowohl das Wasser aufnimmt als auch die Umgebungsluft kühlt, ist eine gute Lösung, um Städte fitter zu machen für den Klimawandel.
Garcia Soler, Kompetenzzentrum für Klimafolgen und Anpassung

Der starke Kühlungseffekt war einer der Gründe, warum Eisenbarths Erfindung den Blauen Kompass erhalten hat. Der vom Bundesumweltministerium gemeinsam mit dem Umweltbundesamt vergebene Preis prämiert Projekte zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Selbstverständlich wünsche man sich in erster Linie, dass Städte insgesamt grüner werden, sagt Natalia Garcia Soler vom Kompetenzzentrum für Klimafolgen und Anpassung des Umweltbundesamts. „Aber eine Fassade, die sowohl das Wasser aufnimmt als auch die Umgebungsluft kühlt, ist eine gute Lösung, um Städte fitter zu machen für den Klimawandel“, begründet Garcia Soler die Auszeichnung für Hydroskin. 

Hydroskin - bald marktreif

Nachdem Eisenbarth und ihr Team die Erfindung in den vergangenen zweieinhalb Jahren am Demonstrator-Hochhaus in Stuttgart getestet haben, ist die Fassadenverkleidung nun fast marktreif. Weil es bei Immobilien nicht zuletzt ums Aussehen geht, gibt es die Folie übrigens in verschiedenen Designs: Die Oberfläche lässt sich bedrucken. Außerdem kann die Textilfassade entweder glatt an der Wand hängen oder bauchförmig nach vorne gebauscht werden. Die Kosten: zwischen 300 und 700 Euro pro Quadratmeter – je nach Design und Komplexität der Hydroskin. Individualisieren lässt sich die zweite Haut fürs Gebäude nicht nur unter ästhetischen Gesichtspunkten. Interessenten können beispielsweise eine vierte Schicht aus Fleece hinzufügen, die noch einmal mehr Wasser speichert – dafür aber dann schwerer wird.

903 Liter
Regen fielen durchschnittlich pro Quadratmeter in Deutschland im Jahr 2024.
Quelle: Deutscher Wetterdienst  

41,2 Grad 
wurden am 25. Juli 2019 in Duisburg gemessen – die höchste Temperatur in Deutschland seit Aufzeichnung der Wetterdaten.
Quelle: Deutscher Wetterdienst 

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