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Vertikaler Kiez für alle

Text von Mia Pankoke
11.05.2022
Nachhaltigkeit

In Berlin-Kreuzberg soll Deutschlands höchstes Wohnhaus aus Holz entstehen. Mit dem WoHo will der Projektentwickler UTB nicht nur der Flächenversiegelung trotzen und dem Klimawandel entgegenwirken, sondern auch noch Wohnungen für jeden Geldbeutel schaffen.

Ein Hochhauskomplex aus Holz, fast 100 Meter hoch. In den lichtdurchfluteten Fluren und auf der begrünten Dachterrasse mit Blick über Berlin trifft man nicht nur seine Bewohner an, sondern gleich die ganze Nachbarschaft. Die Kinder spielen in der Kita, während ihre Eltern in den kleinen Lebensmittelläden einkaufen, schnell etwas in der öffentlichen Werkstatt reparieren oder in einem der begrünten Höfe entspannen.

So idyllisch stellen sich die Planer des Projektentwicklers UTB das Leben in Deutschlands größtem Holzhaus mitten in Kreuzberg vor. In den vier einzelnen Holzkuben, die leicht versetzt übereinandergestapelt sind, ist Platz für rund 150 Wohnungen und 18.000 Quadratmeter gemeinschaftliche Nutz- und Grünfläche. „Auf den 29 Etagen des WoHos wohnen nicht nur Menschen mit unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten, sondern die Lese-Cafés, Ateliers oder der Urban-Gardening Bereich sind genauso für alle zugänglich wie eine Wellness-Oase mit Sauna und Bar“, beschreibt Thomas Bestgen, Geschäftsführer der UTB Unternehmensgruppe seine Vision. Er möchte das Kreuzberger Nachbarschaftsgefühl so von der Horizontalen in die Vertikale verlegen.

Kein Ufo in Kreuzberg
Neuen Wohnraum, Platz zum Arbeiten und öffentliche Freizeitflächen auf einmal schaffen? Das klingt nach einer unlösbaren Aufgabe. Schließlich stecken Großstädte wie Berlin seit Jahren in einem Dilemma: In den Jahren 2015 bis 2020 hat die Einwohnerzahl in Berlin insgesamt um 4,4 Prozent zugenommen und der Berliner Senat rechnet auch für die kommenden Jahre mit starkem Wachstum. Einer Prognose zufolge wird die Bevölkerung in der Hauptstadt bis 2025 von derzeit 3,75 auf 3,9 Millionen Menschen ansteigen – ein Zuwachs von rund 20.000 Menschen pro Jahr, die alle auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung sein werden. Gleichzeitig mangelt es an Ausgleichsflächen wie Parks oder Spielplätzen. Einer Studie des Berliner Umwelt- und Naturschutzamtes zufolge fehlen allein in Kreuzberg heute schon 100 Hektar wohnungsnahe Grünflächen.

Hochhäuser als Wohnraum bieten sich bei den steigenden Bodenpreisen und dem vorherrschenden Flächenmangel als Lösung geradezu an. Doch Betonbunker, in denen die Bewohner anonym ein und aus gehen, sind für den Berliner Projektentwickler Bestgen Konzepte der Vergangenheit. „Hochhäuser werden schon lange für ihre Anonymität und wenig durchmischte Sozialstruktur kritisiert“, so Bestgen, der seit 15 Jahren Wohnquartiere in ganz Deutschland plant. In der vertikalen Nachbarschaft in Kreuzberg will er das nun besser machen: „Das WoHo wird kein Ufo, das in Kreuzberg landet und keinen Bezug zur Nachbarschaft hat“.

Wohnraum für alle
Sein Rezept lautet durchmischte Wohnungsverteilung. „Die Wohnungen werden nicht mit jedem Stockwerk teurer. Das heißt, kein reiner Sozialbau in den unteren Geschossen und nicht nur Eigentumswohnungen oben“, erklärt Bestgen. Stattdessen sollen betreutes Wohnen, Studentenapartments und Eigentumswohnungen in engem nachbarschaftlichen Miteinander auf einer Etage liegen. „Die Eigentumswohnungen werden die Sozial- und Genossenschaftswohnungen querfinanzieren“, so Bestgen. Für ein Drittel der Wohnungen ist eine Mietpreisbindung in Höhe von 6,50 Euro je Quadratmeter nettokalt eingeplant.

Holz – Baustoff der Zukunft?
Doch nicht nur das Nebeneinander von Wohnen, Arbeiten und Freizeitgestaltung ist für Bestgen das Besondere am WoHo-Projekt. „Nachhaltigkeit und Bauen sind zurzeit oft noch große Widersprüche“, sagt er und geht sogar einen Schritt weiter. Er plant gemeinsame Räume für Waschmaschinen und Trockner. Statt Pkw-Stellplätzen sind Car- und E-Bike-Sharing-Angebote, E-Ladestationen und Fahrradgaragen vorgesehen. All das soll dem Schutz von Ressourcen dienen und unnötigen Flächenverbrauch vermeiden. „Es geht darum, den künftigen Bewohnern nachhaltiges Leben leicht zu machen, weil wir schon ab der Planung alles daraufhin ausgerichtet haben“, sagt Bestgen.

Zu diesem nachhaltigen Aspekt passt auch die Wahl des Baustoffs: Die vier Baukörper des WoHo sollen in Holz-Hybrid-Bauweise errichtet werden. Das heißt Erdgeschoss, Treppenhäuser und Fahrstuhlschächte bestehen aus Stahl-Beton. Der Rest der tragenden Konstruktion wird aus Holz gebaut. Damit liegen die Projektentwickler voll im Trend: Laut dem aktuellen Home Report des Think-Tanks Zukunftsinstitut hat das Interesse am Bauen mit Holz in den letzten Jahren stetig zugenommen. Kein Wunder, denn die Holzbauweise bietet nicht nur eine Verbesserung in puncto Akustik und Luftqualität. „Schätzungen zufolge könnte mit dem Austausch von Stahlträgern durch Holzwerkstoffe der CO2-Ausstoß um fast zehn Tonnen pro Tonne Holz reduziert werden“, sagt die Autorin des Home Reports, Oona Horx-Strathern. Zusätzlich binden Holzhäuser langfristig Kohlenstoff: Das Holz eines gefällten Baums speichert noch 40 bis 100 Jahre lang CO2. Professor Achim Vogelsberg von der Technischen Hochschule Mittelhessen schätzt, dass allein durch den Einsatz von Holzdecken mehr als 4.000 Tonnen CO2 gebunden werden. Zum Vergleich: Um diese Menge an CO2 zu verbrauchen, kann man 600 Mal von Berlin nach New York fliegen.

Doch Holz ist, wie alle natürlichen Rohstoffe, nur begrenzt verfügbar. „In Deutschland wächst aber täglich so viel Holz nach, dass es theoretisch das komplette Material für das WoHo deckt“, sagt Entwickler Bestgen. Ein Vergleich, der hinkt: Holz wächst zwar nach, aber das dauert. Bis ein Baum so groß ist, dass er für den Hausbau verwendet werden kann, vergehen Jahrzehnte. Auch Bestgen bleibt daher realistisch: „Wie bei allen Ressourcen geht es um den achtsamen Umgang damit. Wenn jetzt plötzlich nur noch mit Holz gebaut würde, hätten wir ganz schnell einen großen Mangel.” Angesichts der massiven Abholzung in verschiedenen Regionen ist es besonders wichtig, dass der Baustoff aus zertifizierten Quellen stammt. Diese Zertifikate stellen sicher, dass Wälder verantwortungsvoll bewirtschaftet werden und zum Beispiel Kahlschlag oder Pestizide verboten sind. Für das WoHo möchte Bestgen daher schnell wachsende, aber tragfähige Arten wie Buchen aus nachhaltiger Forstwirtschaft verwenden.

Zu hundert Prozent steht das Material noch nicht fest und bis zum Baustart könnte sich noch einiges ändern, zum Beispiel, wenn die Holzpreise weiter anziehen. Und da sich das WoHo derzeit im Bebauungsplanverfahren befindet, wird es wohl noch dauern, bis der Traum vom Wohnen im vertikalen Kiez Realität wird: Projektentwickler Bestgen rechnet damit, dass frühestens 2026 die ersten Mieter einziehen.

85,4 Meter
hoch ist das derzeit höchste Holzhaus der Welt: das Mjøstårnet im norwegischen Brumunddal.
Quelle: https://www.moelven.com/mjostarnet?fbclid=IwAR3I4Xo_zai1Ep5LVVdaEoFoF01mqREtFdqPtvNjQt2GUUxiLrPQA96Ctvc

600 Kilogramm CO2
setzt die Herstellung einer Tonne Zement, dem Hauptbestand von Beton, frei.
Quelle: https://www.holzbauwelt.de/objekttypen/holzhochhaeuser.html

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